3257 Kriegsdienstverweigerer: Antragsflut bei Bundeswehr auf neuem Höchststand

Seit Jahren schwören Politiker, allen voran Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Bürger auf eine militärische „Zeitenwende“ ein. Unser Land müsse „wehrhaft sein“ und sich „verteidigen können“, fordern sie. Es gehe um die „Verteidigungsfähigkeit Deutschlands“, um die „Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr“, um die „Rückkehr zur Wehrpflicht“.

Mitten in diese Debatte platzt eine Nachricht, die weder Pistorius noch den Befürwortern seines Kurses gefallen dürfte: Immer mehr Menschen in Deutschland lehnen es ab, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen!

Nach FOCUS-online-Informationen steuert die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in diesem Jahr auf den mit Abstand höchsten Wert seit 14 Jahren zu. Das ergaben Recherchen bei der Bundeswehr und beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA), das über die Anträge kampfunwilliger Menschen entscheidet.

Bis Ende August 3257 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung 

So gingen bis Ende August 2025 bei den Karrierecentern der Bundeswehr insgesamt 3257 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung (KDV-Anträge) ein. Schon vier Monate vor Jahresende wurde damit die Zahl der KDV-Anträge im gesamten Jahr 2024 um 9,2 Prozent übertroffen. Seinerzeit waren 2998 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt worden. Im Jahr 2023 waren es insgesamt 1609.

Nimmt man das Jahr 2022 zum Vergleich, hat sich die Zahl der Kriegsdienstverweigerer bis heute mehr als verdreifacht. Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine registrierte die Bundeswehr insgesamt rund 1100 entsprechende Anträge. Im Jahr 2021 waren lediglich knapp 200 Anträge gestellt worden.

„Die Gründe für eine Antragstellung können sehr unterschiedlich sein und sind oftmals privater Natur“, heißt es bei der Bundeswehr. Die Zunahme der Verweigerer zeige, „dass sich die Bürgerinnen und Bürger wieder vermehrt mit dem Thema Landes- und Bündnisverteidigung auseinandersetzen. Sie treffen eine klare Entscheidung und positionieren sich zu diesem Thema“.

Eingehende Anträge leitet die Bundeswehr nach inhaltlicher Prüfung an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) mit Sitz in Köln weiter. Dort wird endgültig entschieden. Das BAFzA ist eine Behörde des von Karin Prien (CDU) geführten Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Bundesamt: Im Vergleich zu 2024 steigende Antragszahl

Eine Sprecherin des Bundesamts bestätigte gegenüber FOCUS online, dass die Gruppe der Menschen, die sich nicht an Kriegseinsätzen beteiligen wollen, immer größer wird: „Im Vergleich zum Vorjahr ist für das Jahr 2025 bisher ein Anstieg eingehender Anträge auf Kriegsdienstverweigerung im BAFzA zu beobachten.“ 

Zugleich erklärte die Sprecherin, dass der Großteil der eingegangenen Anträge bewilligt werde. So seien allein im laufenden Jahr 2071 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung positiv beschieden worden, im gesamten Vorjahr waren es knapp 1500. 

Dabei verweist die BAFzA-Mitarbeiterin darauf, dass die Zahlen der Anträge mit denen der Anerkennungen nicht vergleichbar sind. „Beispielsweise können Anträge, die spät im Jahr eingegangen sind, erst im Folgejahr entschieden worden sein.“

Betroffene, deren Antrag auf Kriegsdienstverweigerung abgelehnt wurde, können gegen diese Entscheidung Widerspruch einlegen und später vor einem Verwaltungsgericht klagen. Der BAFzA-Sprecherin zufolge summieren sich die eingelegten Rechtsmittel für das vergangene und das laufende Jahr auf 104 Widersprüche und sechs Klagen.

Generell gilt: Wer in Deutschland aus Gewissensgründen keinen Kriegsdienst an der Waffe leisten möchte oder kann, darf ihn ablehnen. Dieses Recht ist im Grundgesetz verankert. 

Aus Gewissensgründen kein Kriegsdienst an der Waffe 

In Artikel 4 steht: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ 

Damit wird allen Bürgern das Recht garantiert, den Kriegsdienst – auf entsprechenden Antrag – verweigern zu können. Der Antrag kann sowohl von aktiven Soldatinnen und Soldaten, als auch von Reservistinnen und Reservisten sowie Ungedienten, also männlichen Staatsbürgern, die gemäß Wehrpflichtgesetz zum Kriegsdienst herangezogen werden könnten, gestellt werden.

Der Antrag ist schriftlich beim zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr einzureichen. Er muss die Berufung auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung enthalten. Ein vollständiger tabellarischer Lebenslauf und eine ausführliche Begründung für die Gewissensentscheidung müssen angefügt oder innerhalb eines Monats nachgereicht werden. 

Schaut man sich die gesamte Bundeswehr an, so scheinen die aktuell 3257 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung kaum ins Gewicht zu fallen. Zumal der überwiegende Teil von Ungedienten (2266 Anträge) und Reservisten (856 Anträge) stammt. 

Auch im historischen Vergleich wirken die neueren Antragszahlen eher klein: Zwischen 1991 und 2010 gab es jeweils mehr als 100.000 Kriegsdienstverweigerer pro Jahr, die meisten im Jahr 2002 mit knapp 190.000. Ab 2011 sank die Zahl auf wenige hundert Anträge pro Jahr, jetzt steigt sie wieder drastisch. Seit Einführung der Wehrpflicht 1956 wurden bislang rund 4,2 Millionen Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt.

Schlechte Nachricht für Bundeswehr und Pistorius

Mit Blick auf die angepeilte – auch personelle – Stärkung unserer Armee dürfte die steigende Zahl der Kriegsdienstverweigerer kaum ins Konzept der Bundesregierung passen.

Die Bundeswehr hat derzeit rund 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, darunter etwa 113.000 Zeitsoldaten. Diese Zahl soll bis 2035 auf mindestens 260.000 steigen, um die Landesverteidigung und Nato-Verpflichtungen zu erfüllen. Verteidigungsminister Pistorius hatte deshalb einen – vom Kabinett später beschlossenen – Gesetzentwurf für einen neuen Wehrdienst vorgelegt, der auf Freiwilligkeit setzt. 

Doch sowohl Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz als auch CSU-Chef Markus Söder äußerten jüngst Zweifel, dass eine Freiwilligkeit ausreichen werde, um mehr Soldaten für die Bundeswehr zu bekommen. Die Union macht Druck auf den Koalitionspartner SPD, die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder zu aktivieren.