Verteidigungsminister Pistorius - Er soll uns vor Putin schützen: Jetzt kämpft Pistorius gegen Störfeuer im eigenen Land
Dass Pistorius mit dem Amt gefremdelt hat oder sich erst hineinstolpern musste, kann man nicht behaupten. Schon als Innenminister in Niedersachsen verschrieb er sich dem Kampf um Deutschlands Sicherheit und machte sich als „roter Sheriff“ einen Namen.
Der Osnabrücker, der mit 16 Jahren in die SPD eintrat und zum rechten Flügel der Partei gehört, fuhr einen harten Kurs gegen islamistische Gefährder. Früh wies er auf die Verflechtungen von extremistischen Reichsbürgern und AfD hin.
Betont bissig zeigte sich der Innenpolitiker auch gegenüber Leuten aus der eigenen Partei. Als SPD-Chefin Saskia Esken 2020 über „latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte“ schwadronierte, grätschte Pistorius beherzt dazwischen. „Die Polizei in Deutschland steht fest auf dem Boden von Recht und Verfassung“, wies er Esken zurecht.
Als „roter Sheriff“ beliebt, in Umfragen an der Spitze
Mit seiner Geradeaus-Art gilt Pistorius vielen Menschen als vertrauenswürdig und authentisch – Eigenschaften, die in der Politik heutzutage selten zu finden sind. Die Mischung aus Hemdsärmeligkeit und staatsmännischem Auftreten kommt gut an beim Volk.
Seine ehemalige Lebensgefährtin Doris Schröder-Köpf, Ex-Frau von Altkanzler Gerhard Schröder, beschreibt ihn als „die perfekte Verbindung aus Erfahrung und Offenheit, Erdung und Vorstellungskraft, Verantwortungsgefühl und Großzügigkeit.“ Pistorius sei „ein Kind der Mitte – privat und politisch“.
Kein Wunder also, dass er laut Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands ist. Niemand aus der Ampel-Spitze kann ihm auch nur annähernd das Wasser reichen. Scholz, Habeck, Lindner – neben Pistorius verblassen sie alle.
Von vielen Bürgern gemocht und geschätzt zu werden, mag für einen Minister wohltuend sein. Ein hartes Kriterium für den Erfolg seiner Arbeit sind die Sympathiewerte nur bedingt. Als oberster Befehlshaber der Bundeswehr in turbulenten Zeiten muss sich Boris Pistorius an seinen Erfolgen messen lassen.
Doch gerade in jüngster Zeit ist Pistorius viel mit Dingen beschäftigt, die man eher als Misserfolge einstufen muss. Der 20. Verteidigungsminister der Bundesrepublik, der Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen will, gerät zunehmend in die Negativ-Schlagzeilen.
Aktuelles Beispiel: Die „Taurus-Abhöraffäre“. In einem vermeintlich internen Gespräch tauschten sich vier hochrangige Bundeswehroffiziere über die politisch heikle Frage aus, ob Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern sollte. Die Erörterung wurde von den Russen abgehört und propagandistisch ausgeschlachtet.
Nach einem Jahr werden erste kritische Stimmen laut
Der Vorfall wirft kein gutes Licht auf die Bundeswehr und fällt letztlich auch auf Pistorius als oberster Dienstherr des ausspionierten Quartetts zurück.
Auch wenn der Minister mit professioneller Krisenkommunikation aufwartet und von einem „individuellen“ Fehler eines Beteiligten spricht – es bleibt ein Fiasko. Nicht nur für die Truppe, sondern auch für die Bundesregierung inklusive Pistorius.
Das Debakel um abgeflossene Informationen ist freilich nur eines von vielen Themen, mit denen sich der studierte Jurist herumschlagen muss. Letztens fragte das Magazin Spiegel unverblümt: „Ist Pistorius ein Blender?“
Die Autoren murren, der Minister falle nahezu jede Woche mit neuen Ideen auf, zur allgemeinen Wehrpflicht, zu Ausländern in der Bundeswehr und so weiter. „Aber: Setzt er sie auch um?“ Es bestehe die Gefahr, dass er als „Ankündigungsminister“ in die Geschichtsbücher eingehe.
Angeblich würden viele Untergebene schon über ihn „lästern“. Einer der Vorwürfe: Pistorius habe bei den Verhandlungen für den Haushalt 2024 zu wenig für die Truppe herausgeholt. Ungnädig urteilt der Spiegel: „Pistorius scheut offenbar den Konflikt mit seinem Kanzler und dem Finanzminister. Und man fragt sich, ob es Feigheit ist oder Kalkül.“
Auch der angekündigte Umbau – gemeint ist die Verschlankung und Umstrukturierung – des aufgeblähten, oft schwerfälligen Verteidigungsministeriums mit seinen zwei Standorten in Bonn und Berlin „blieb bisher aus“, bilanziert das Magazin. Noch habe sich kaum etwas in dieser Richtung getan.
Im Haus werde bereits über das „Reförmchen“ des Ministers gespottet, heißt es in dem Pistorius-Porträt, das überschrieben ist mit „Der Scheinharte“.
Gut ein Jahr zuvor hatte ihn dasselbe Blatt noch als „Der Macher“ hochgejubelt und als jemanden gelobt, der „die Ärmel hochkrempelt und loslegt“.
Vom gefeierten „Macher“ zum suspekten „Scheinharten“
Auch in der politischen Opposition, die anfangs wohlwollend mit dem „Neuen“ umging, verfolgt man Pistorius‘ Wirken zunehmend kritisch – und kommt zu wenig schmeichelhaften Einschätzungen. „In seinen Initiativen und Ideen ist Pistorius bisher gescheitert“, analysiert Unionsfraktionsvize Johann Wadephul.
Der neue Minister habe sich mit „knackig vorgetragenen Interviews“ hervorgetan, „die danach vom Kanzler, den SPD-Partei- oder Fraktionsvorsitzenden ziemlich brüsk abgeräumt wurden“. Im Klartext: Der allseits hochgelobte Mann produziert reichlich heiße Luft.
Nun erhält Pistorius auch noch, zumindest indirekt, Gegenwind von seiner Parteikollegin Eva Högl.
In ihrem Jahresbericht für 2023 listet die Wehrbeauftragte eklatante Mängel bei der Truppe auf und fordert mehr Tempo bei der Modernisierung. Wer ihre 175-seitige Dokumentation als eine Art Zwischenzeugnis für Pistorius begreift, muss feststellen: Vieles läuft unter seiner Führung bestenfalls befriedigend.
So beklagt Högl, „dass auch im zweiten Jahr der Zeitenwende substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur auf sich warten lassen“. Die Fortschritte seien bislang „eher punktuell statt flächendeckend, an der Oberfläche statt in der Substanz“. Erfolge bei der Modernisierung seien „überschaubar“.
Kein glatter Affront gegen Pistorius, wohl aber ein deutliches Signal der Unzufriedenheit.
Dazu passt eine aktuelle Civey-Umfrage für FOCUS online. Demnach sind nur 53 Prozent der Bundesbürger mit der Arbeit des Bundesverteidigungsministers zufrieden. Wahrlich kein berauschender Wert.