Ein Bekannter von mir vermietet eine Wohnung in München. Neu saniert, knapp 80 Quadratmeter. 2400 Euro kalt, plus Nebenkosten. Auf seine Wohnungsannonce meldete sich auch eine sechsköpfige ukrainische Familie. Vater, Mutter, vier Kinder. Die Eltern besuchen einen Sprachkurs, die Kinder gehen in Schule oder Kindergarten. „Die Miete sowie alle Nebenkosten werden vollständig vom Jobcenter München übernommen“, schrieb ihm die Familie.
„Jobcenter zahlt alles“
Beim Lesen der Nachricht fühlte er sich veräppelt. Er konnte nicht glauben, dass der Staat das angeblich alles zahlt. Er sei nicht der Einzige, der solche Anfragen bekomme, schrieb er mir. Ein Freund von ihm vermiete ein nagelneues Reiheneckhaus für 3300 kalt. Auch bei ihm hätten sich viele ukrainische Bewerber gemeldet. Stets mit den Worten: „Jobcenter zahlt alles.“
Ob das in diesem konkreten Fall wirklich so ist, wird sich noch zeigen. Aber: Ich musste nicht lange suchen, um zu sehen, dass er sich zu Recht aufregt. Ähnliche Beispiele zeigen, dass das Jobcenter sehr hohe Summen für Bürgergeldempfänger übernimmt.
Auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer berichtete letztens bei „Maybrit Illner“: Bei ihm in Tübingen könne eine ukrainische Familie mit vier Köpfen, einschließlich Wohnunterstützung, mit einer Zahlung von insgesamt 3200 Euro rechnen. In einem besonders krassen Fall bekam eine Tübinger Bürgergeld-Familie sogar über 6000 Euro monatlich. Weil die Miete so hoch war. Dazu veröffentlichte Palmer kurzerhand den Jobcenter-Bescheid. Der Anreiz, sich Arbeit zu suchen? „Zu gering“, findet er.
Staat gegen Normalverdiener
Ich vermute, das Mitleid normalverdienender Menschen hält sich bei solchen Summen auch in Grenzen. Eher ballt sich die Faust in der Tasche. Rechnet man doch selbst schnell einmal nach, wie viel man monatlich als Arbeitnehmer an den Staat abdrückt, welches stolze Sümmchen für Miete oder Kredit draufgeht und was vom Nettolohn dann noch bleibt. Dem einen oder anderen Vollzeitverdiener könnte schmerzhaft dämmern, dass er ein eher schlechtes Geschäft bei der Sache macht.
Es ist offensichtlich, was hier passiert: Der Staat steigt auf dem Wohnungsmarkt gegen den Normalverdiener in den Ring, der – ironischerweise – aus seinem Gehalt diesen Staat auch noch mitfinanziert.
Auf direktem Weg in den sozialen Unfrieden
Es ist kein Zufall, dass wir in Zeiten leben, in denen sich trotz der unqualifizierten Zuwanderung der letzten Jahre selbst für einfache Jobs keine Leute finden. Gleichzeitig aber – oh Wunder – die Bürgergeldkosten steigen. Die Leute sind nun mal absolut nicht dumm. Sie haben mindestens einmal grob überschlagen, ob es sich lohnt, morgens aufzustehen.
Es gibt auch Menschen, die sich dem Arbeitsleben zwar nicht ganz verweigern, aber ausgefuchst genug sind, noch eine andere Sache verstanden zu haben: Ein bisschen arbeiten ist oft schlauer, als ganz zu arbeiten. Die sich ihr Teilzeit-Gehalt lieber mit Sozialleistungen aufmöbeln. Denn würden sie 40 Stunden pro Woche arbeiten, würde ihnen die staatliche Fürsorge wieder gekürzt – netto bliebe dann kaum mehr übrig als vorher.
Heute ist es der Sozialstaat, der die Menschen schröpft
Man kann es sich vorstellen: Wenn der Haussegen bei der staatlichen Umverteilung so schief hängt, ist der soziale Unfrieden nicht weit. So kittet der Sozialstaat keine Ungerechtigkeiten, so schürt er sie.
Wer sich also fragt, von wem die arbeitende Bevölkerung heutzutage ausgebeutet wird, der landet nicht mehr automatisch beim bösen Kapitalisten. Heute ist es der Sozialstaat selbst, der die Menschen schröpft. Er bedient sich großzügig bei denen, die sich abrackern, und belohnt die, die nichts einzahlen. Arm gegen reich war einmal. Wer zahlt und wer kassiert? So geht die neue soziale Frage.
„Bullshit“ sagt Bärbel Bas
Die meisten Leute im Land haben längst verstanden, dass man auf diese Art ein Land erfolgreich gegen die Wand fährt. Sie wissen intuitiv, wovor Ludwig Erhard bereits vor Jahrzehnten warnte: „Kein Staat kann seinen Bürgern mehr geben, als er ihnen vorher abgenommen hat.“ Erhard konnte sich zu dieser Zeit immerhin auf einen Wirtschaftsboom verlassen, der Geld in die Kassen spülte. Bei uns boomt gerade höchstens noch der Schuldenberg.
Die SPD scheint da jedoch beratungsresistent. Es sei „Bullshit“, dass wir uns diesen Sozialstaat nicht mehr leisten können, ließ Arbeitsministerin Bärbel Bas kürzlich verlauten. Man muss wahrlich kein Hellseher sein, um zu verstehen, was einstige SPD-Wähler in Scharen zur neuen Arbeiterpartei AfD treibt.
„Die goldenen Jahre sind vorbei“
Eigentlich will ich gar nicht so pessimistisch sein. Aber dummerweise ist die Lage noch ernster, als sie auf den ersten Blick wirkt. Denn: Ist die Situation beim Bürgergeld schon vertrackt, ist sie es bei der Rente und dem Pflegesystem erst recht.
„Die goldenen Jahre sind vorbei“, resümiert Rainer Schlegel, der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts, es treffend in einem Interview. Wir müssten endlich weg von der Vollkasko-Mentalität, mahnt er – wir seien nun mal eine alternde Gesellschaft. Und der Staat auf Kante genäht.
Niemand wird so blechen müssen wie wir Jüngeren
Ich weiß, viel ist aktuell die Rede vom „Herbst der Reformen“. Ich fürchte aber, auch der wird nicht der große Wurf. Die älteren Wähler sind an der Wahlurne einfach zu stark. Schon im letzten Vierteljahrhundert hat man deshalb das demografische Problem elegant ausgesessen. Dass die Politik so etwas Sinnvolles wagt, wie das Renteneintrittsalter hochzusetzen – weil wir alle mittlerweile viel länger leben –, wird sich keiner trauen.
Vielleicht wird der Staat die Bürgergeld-Problematik in den Griff kriegen. Aber das war’s auch schon. Fragt man dann noch einmal, wer bei uns in Deutschland zahlt und wer kassiert, wird die Sache klar sein: Niemand wird so viel für unseren Sozial- und Schuldenstaat blechen müssen wie in Zukunft wir Jüngeren