Ampel-Streit: Die FDP auf Lambsdorffs Spuren
Es raucht gewaltig in der Ampel. Wandelt FDP-Chef Christian Lindner 42 Jahre später auf den Spuren von Otto Graf Lambsdorff?
München – Die Pressekonferenz nach der FDP-Vorstandssitzung dauert schon fast 20 Minuten, da platzt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Kragen. Mehrfach ist er jetzt gefragt worden, ob das Wirtschaftspapier der FDP keine Provokation der Koalitionspartner sei. Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh habe sogar erklärt, das Zwölf-Punkte-Papier lese sich wie eine „Austrittserklärung“ der FDP aus der Koalition.
Djir-Sarai will davon nichts wissen. SPD-Chefin Saskia Esken schlage alle zwei Wochen vor, die Steuern zu erhöhen, schimpft er. Sehe das irgendwer als Provokation der FDP? Oder: „Wenn in Deutschland ein Fahrrad umfällt, kommt Herr Mützenich und stellt die Frage, ob die Schuldenbremse so einzuhalten wäre.“ Sei das eine Provokation der FDP durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden? Nein! Es sei das Recht jeder Partei, ihre Vorstellungen vorzutragen. Der General stellt klar: „Das hier ist eine Koalition und keine Fusion!“

„Wirtschaftswende“ heißt das Zauberwort, das nicht zuletzt der FDP die Wende bringen soll. Schon im Februar prägte es Parteichef Christian Lindner im Interview mit unserer Zeitung. Kurz zuvor hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Bundestag eine aufrüttelnde Rede gehalten. „Aus der gemeinsamen Lageanalyse muss jetzt eine veränderte Politik folgen“, sagte Lindner damals und verlangte ein „Dynamisierungspaket, das Arbeitsmarkt, Bürokratie, Energie und Steuern umfasst“.
12-Punkte-Plan der FDP soll Schwerpunkt des Parteitags werden
Nun macht die FDP konkrete Vorschläge. Bei einzelnen Punkten hatte man bereits in den vergangenen Wochen Reaktionen getestet. Das Papier soll Schwerpunkt des Parteitags am Wochenende werden. Konkret geht es um Steuerentlastungen (kalte Progression), Bürokratieabbau oder die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Beim Sozialstaat verlangt die FDP ein Moratorium, also keine neuen Sozialleistungen für mindestens drei Jahre, schärfere Bürgergeld-Regeln und eine Abschaffung der Rente mit 63. „Das ist das, was das Land jetzt in dieser speziellen Situation braucht“, sagt Djir-Sarai. Die Welt sei nach zwei Jahren Ukraine-Krieg eine völlig andere als die Welt zu der Zeit, als der Koalitionsvertrag verhandelt wurde. „Gute Politik bedeutet auch, dass man das eigene Handeln bewertet und die möglichen Defizite, die existieren, ändert.“ Andere Industrienationen seien besser aus der Krise gekommen als Deutschland.
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12-Punkte-Plan der FDP: Erinnerungen an Lambsdorff Brandbrief
Immer wieder wird nun an einen Brandbrief erinnert, den Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) vor 42 Jahren an SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt schickte – er forderte eine „Vorwärtsstrategie“ zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Heute wird er allgemein als „Scheidungsbrief“ zwischen der sozial-liberalen Koalition gesehen. Lambsdorff schrieb ihn am 9. September 1982; am 1. Oktober endete die Kanzlerschaft Schmidts durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Fortan regierte die FDP mit dem Bundeskanzler Helmut Kohl.
2024 wird es dazu nicht kommen, schon weil Union und FDP die Mehrheit fehlt. Die FDP weist Parallelen zurück. Dennoch verschärft CSU-Chef Markus Söder am Montag nochmals die Wortwahl. „Die Ampel ist nichts mehr anderes als eine Ruine“, sagt er vor Journalisten, „eine reine Ruine“. Söder fordert eine neue Regierung vor Herbst 2025 und wirft der Ampel vor, nur mehr „an Ämtern und Dienstwagen“ zu hängen: „Die kleben halt aneinander.“ Die FDP solle „Lambsdorff machen, also rausgehen“.
Ampel-Koalitionsbruch? Es kursieren Szenarien
Was dann geschehen würde, ist allerdings auch in der Union nicht ganz klar; es kursieren Szenarien einer rotgrünen Minderheitsregierung, eine GroKo unter Scholz auf Zeit oder eben vorgezogene Neuwahlen. In eine Regierung mit den Grünen einzusteigen, hält Söder weiterhin für falsch. Mit den Grünen sei „kein Staat zu machen, nicht in Deutschland, nicht in Europa“.
Die Ampel wird sich irgendwie mit den FDP-Vorschlägen beschäftigen müssen. Vor allem die SPD ärgert sich. „Wir lassen nicht zu, dass Politik auf dem Rücken derjenigen gemacht wird, die hart arbeiten und das Land am Laufen halten“, sagte Parteichef Lars Klingbeil. „Wer 45 Jahre lang in Krankenhäusern, Kitas oder auf dem Bau für unser Land schuftet, hat ein Recht auf eine abschlagsfreie Rente. Das bleibt.“
Generalsekretär Kevin Kühnert grollt, Lindners Wirtschaftswende bestehe vor allem „aus der Beschimpfung von Arbeitnehmern“. Und trotzdem bemüht sich Grünen-Chef Omid Nouripour demonstrativ um Gelassenheit. „Die Koalition arbeitet – und das wird sich nicht ändern, weil es Parteitagsbeschlüsse gibt.“