Alle wollen die „Wirtschaftswende“: FDP, Grüne, SPD und Union im Ideen-Clinch um das Wie
Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist in Gefahr, da sind sich Regierung und Opposition einig. Welche Maßnahmen nun die richtigen sind, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Auch innerhalb der Koalition.
Berlin – Selten fiel die Reaktion der Ampel-Koalition so einig aus, wie auf den 12-Punkte-Plan der CDU-Spitze. Der Vorstoß sei „an Absurdität nicht zu überbieten“, hieß es als Reaktion auf den Brief der Union an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Auf der einen Seite blockiere die Union ein Gesetz zur Förderung der Wirtschaft, auf der anderen Seite fordere sie mehr für Unternehmen, so die Kritik aus den Reihen der Ampel. Doch da hörte die Einigkeit dann auch auf. Denn innerhalb der Koalition gibt es unterschiedliche Sichtweisen über die geeigneten Wirtschaftsmaßnahmen für einen starken Standort Deutschland.
12-Punkte-Plan der CDU in förmlichem Brief an Bundeskanzler Scholz – und Reaktion der Regierung
Die Union will Sozialabgaben wieder auf maximal 40 Prozent des Bruttolohns deckeln, Überstunden von Vollzeitbeschäftigten steuerlich begünstigen und die ersten 2000 Euro Arbeitseinkommen im Jahr für Rentner steuerfrei stellen. Mit diesen und weiteren Maßnahmen wie etwa einer dauerhaften Senkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum soll der Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt werden und an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. „Es gibt eine leichte Irritation über diesen Brief, wenn man sich das tatsächliche Handeln der Union gerade im Zusammenhang mit dem Wachstumschancengesetz ansieht“, sagte eine Regierungssprecherin zu den Vorschlägen am Montag in Berlin.
Das Wachstumschancengesetz der Bundesregierung habe das Ziel, die Unternehmen und die deutsche Wirtschaft massiv zu unterstützen, hieß es weiter. Alle, denen die Dynamisierung der deutschen Wirtschaft tatsächlich am Herzen liege, seien zunächst einmal gehalten, diesem Gesetz zuzustimmen, sagte die Sprecherin in Richtung der Union. Die hatte zuvor angekündigt, dem Gesetz nur zustimmen zu wollen, wenn die Ampel-Koalition die Streichung der Steuervergünstigungen beim Agrardiesel zurücknimmt. Ein Sprecher der Bundesregierung bezeichnete das als eine „sachfremde Verknüpfung“. Über den 12-Punkte-Plan von Merz fällte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Verena Hubertz, das Urteil einer Liste von „Wünsch-dir-was“, und fragte: „Wie soll das ganz konkret umgesetzt werden, wie soll das gegenfinanziert werden?“
Lindner will „Wirtschaftswende“ und weist Habecks Vorschlag zurück
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte jüngst betont, dass die steuerlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nicht mehr aktuell seien. „So sehe ich das auch“, sagte der Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu ntv. Das sei eine gute, gemeinsame Basis. Doch jetzt müssen Konsequenzen folgen, „denn wenn wir nichts tun, wird Deutschland ärmer“, so der Minister. Welche Maßnahmen die richtigen sind, darüber gehen die Meinungen innerhalb der Ampel-Koalition offenbar auseinander. Gegenüber Merkur.de von Ippen.Media räumte der Finanzminister unlängst ein, dass die von der Ampel für den Wirtschaftsstandort Deutschland auf den Weg gebrachten Maßnahmen noch nicht ausreichen. „Die Wettbewerbsbedingungen wurden so lange vernachlässigt, dass wir eine Wirtschaftswende brauchen“, so Lindner.
Bis zum Sommer will die Ampel den Haushalt 2025 klären, darin enthalten sein sollen Maßnahmen, um die Grundlage für eine solche Wirtschaftswende zu legen, wie Lindner zur Bild sagte. „All die sozialen und ökologischen Vorhaben, die wir in Deutschland haben, sind nur finanzierbar mit einem belastbaren, stabilen wirtschaftlichen Fundament und das müssen wir nun stärken“, so der Finanzminister. Er sprach damit die Devise aus, andere Ressorts und Vorhaben nachzuordnen. Allerdings betonte der Finanzminister auch, dass dies nicht als Kampfansage oder Anlauf zum Koalitionskrach verstanden werden solle, der ein Ende der Ampel bedeuten könne.
Ein Großteil der Wähler würde einen solchen Bruch offenbar positiv sehen: Wie eine repräsentative Insa-Umfrage unlängst ergab, waren 47 Prozent der Befragten der Meinung, dass die FDP die Regierung verlassen solle. Ein Regierungsbruch würde allerdings auch ein großes Risiko für die Liberalen bergen.
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Diese Maßnahmen fordert Lindner für den Wirtschaftsstandort Deutschland
Mit nur 84 Millionen Menschen ist Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Gleichzeitig war die Bundesrepublik im Jahr 2023 die einzige Nation unter den westlichen Industrieländern, in der die Wirtschaft schrumpfte. Wirtschaftsminister Habeck hatte zur Stärkung der heimischen Wirtschaft ein milliardenschweres Sondervermögen zur Entlastung von Firmen vorgeschlagen, was Lindner zurückwies. Das „Diskussionsangebot“ von Habeck nehme er zwar an, sagte der Finanzminister in der Welt am Sonntag. Doch „hunderte Milliarden Euro Schulden zu machen, um Subventionen auf Pump zu zahlen“ würde laut Lindner die „soziale Marktwirtschaft deformieren.“ Stattdessen fordert der FDP-Chef unter anderem „ein Dynamisierungspaket, um private Investitionen, Gründergeist und Wettbewerbsfähigkeit zu entfesseln“.
Zudem brauche es mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, etwa durch weniger Bürokratie, und ein Klimaschutzgesetz, „das die planwirtschaftlichen Vorgaben überwindet“. Außerdem ist Lindner für eine Energiepolitik, „die sich vor allem auf Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise konzentriert“. Die Energieversorgung müsse bezahlbar werden, so seine Forderung. „Wenn man etwas ändern will bei der Unternehmensbesteuerung, dann ist der Verzicht auf den Soli der realistischste und schnellste Weg“, ergänzte der Finanzminister gegenüber ntv. Dafür müsste aber eine Gegenfinanzierung gefunden werden, räumte der Politiker ein. Wie genau, müsste man in der Ampel diskutieren. Sparen könne man etwa bei der Bekämpfung der illegalen Migration in den Sozialstaat. Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hatte im vergangenen Jahr betont, Deutschland brauche 1,5 Millionen Zuwanderer pro Jahr, um den Fachkräftemangel hierzulande auszugleichen.