Ukraine droht folgenschwerer Awdijiwka-Verlust: Kiew geht deshalb ins Panzer-Risiko

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Die ukrainischen Streitkräfte könnten Awdijiwka bald verlieren. Kiew ändert deshalb punktuell seine Panzer-Strategie – unter hohem Risiko.

Awdijiwka – Wer wissen will, wie ernst die Lage für die Ukraine gegen Russland aktuell ist, der oder die muss nur nach Awdijiwka schauen. Den ukrainischen Streitkräften droht Anfang Februar nach monatelangen Kämpfen der folgenschwere Verlust ihrer Bastion im Donbass.

Awdijiwka in Not: Ukrainer schicken wohl Abrams-Panzer gegen russische Armee

Greift Kiew mit Blick auf die Kleinstadt deshalb zum (vorerst) letzten Mittel und ändert im Ukraine-Krieg seine Panzer-Strategie? Ein Video, das bei X (vormals Twitter) eifrig geteilt wird, zeigt etwa den Verlust eines Bradley-Panzers. Der M2 ist deutlich zu erkennen, auch der Volltreffer, den der Schützenpanzer wohl durch eine Mine kassiert, woraufhin die Besatzung aus dem Gefährt türmt.

Das Video soll ebenso aus der Gegend um Awdijiwka stammen wie ein anderes Video eines ukrainischen Senders, das ebenfalls bei X viral geht. Die Bildausschnitte (siehe Tweet unten) dokumentieren den Einsatz eines M1-Abrams-Kampfpanzer der Ukrainer. Dieser fährt angeblich in Richtung der einstigen Industriestadt, die durch die Russen völlig zerstört wurde. Stimmen die Informationen, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, birgt der Einsatz von Abrams an diesem Frontabschnitt ein hohes Risiko.

Einer der gelieferten amerikanischen Abrams-Kampfpanzer im Dienst der ukrainischen Armee.
Einer der gelieferten amerikanischen Abrams-Kampfpanzer im Dienst der ukrainischen Armee. © Screenshot X@Osinttechnical

Abrams-Panzer der Ukrainer: Russische Armee hat wohl Schwachstelle ausgemacht

Denn: Die USA hatten den ukrainischen Streitkräften insgesamt nur 31 Abrams geliefert. Die Stahl-Kolosse gelten wegen ihres enormen Gewichts von über 61 Tonnen als überschaubar geeignet für das Gefecht auf den verschlammten Böden des ukrainischen Winters. Zum Vergleich: Ein deutscher Marder-Schützenpanzer wiegt gerade mal 42,5 Tonnen. Zwar haben die amerikanischen Panzer mit einer reaktiven Panzerung einen Zusatzschutz gegen Panzerabwehrwaffen erhalten.

Aber: Die Russen haben wohl längst eine Schwachstelle am Abrams-Panzer ausgemacht. „Angefangen beim Dach: Es ist groß und sehr dünn, etwa 25 Millimeter. Eine FPV (Kamikaze-Drohne, d. Red.) kann diese Stelle selbst mit einer alten Panzerabwehrladung durchdringen und ein Besatzungsmitglied töten oder verletzen. Die Drohne könnte verschiedene elektronische Komponenten im Turm beschädigen oder ihn in Brand setzen und die Besatzung zur Evakuierung zwingen“, schrieb unlängst der Militär-Analyst Gabriel Silveira laut Wirtschaftsmagazin Forbes bei X.

M1 Abrams der ukrainischen Armee: Kein Schutz gegen russische Lancet-Drohnen

Und: Etliche Videos, die mutmaßlich von der russischen Seite in den sozialen Medien verbreitet werden, lassen darauf schließen, dass sich zum Beispiel der deutsche „Leo“ gegen die Lancet-Drohne, eine sogenannte „lauernde Lenkwaffe“ (loitering weapon), kaum verteidigen lässt. Weil die M1 keine abstandsaktiven Schutzsysteme, zum Beispiel Trophy, haben, die Schrotmunition gegen heranfliegende Geschosse verschießen, sind sie den Drohnen ebenfalls schutzlos ausgeliefert.

Während Deutschland derzeit die Lieferung Dutzender Leopard-1-Panzer vorbereitet, wollten die Ukrainer ihre wertvollen westlichen Panzer von den vordersten Front-Linien eigentlich zurückhalten. Die Hilferufe aus Awdijiwka sind jedoch dramatisch. Der 110. mechanisierten ukrainischen Brigade droht hier nach hohen Verlusten die Einkesselung. Der Telegram-Kanal Ukraine Fights berichtete am 4. Februar, dass „die Lage in der Stadt kritisch geworden“ sei. Russische Kampfflugzeuge hätten den Nordosten der Stadt bombardiert, und russische Truppen hätten ukrainische Kampfformationen umgangen und in Außenbezirken Fuß gefasst.

Awdijiwka im Donbass: 110. mechanisierte ukrainische Brigade in Bedrängnis

„Während wir mehrere Wochen lang sagten, die Situation sei sehr schwierig, aber unter Kontrolle, ist die Situation jetzt sehr schwierig und an manchen Orten kritisch“, sagte Vitaliy Barabash, Leiter der Militärverwaltung der Stadt, laut der unabhängigen Moscow Times: „Das bedeutet nicht, dass alles verloren ist, dass alles sehr schlecht ist. Aber der Feind richtet eine sehr große Menge an Streitkräften auf unsere Stadt.“ Wie das Institute for the Study of War (ISW) anhand seines vorliegenden Kartenmaterials einordnet, sollen die russischen Truppen nur noch wenige hunderte Meter von der verbliebenen ukrainischen Nachschublinie entfernt sein – einer Landstraße.

Laut des Telegram-Kanals Butusov Plus haben sich russische Einheiten nach Straßenschlachten am nördlichen Stadtrand von Awdijiwka verschanzt. Die dort von Moskau aufgefahrenen Einheiten seien den verbliebenen Verbänden der 110. mechanisierte Brigade zahlenmäßig deutlich überlegen. „Awdijiwka braucht dringend neue Reserven und eine Rotation der Einheiten der heldenhaften 110. Brigade“, hieß es in dem Beitrag.

Ukraine-Kleinstadt droht die Einkesselung: Awdijiwka ist im Donbass fast vollständig durch russische Truppen umstellt.
Ukraine-Kleinstadt droht die Einkesselung: Awdijiwka ist im Donbass fast vollständig durch russische Truppen umstellt. © Screenshot X@TheStudyofWar

Ukraine-Krieg: Militär-Experten warnen vor Aufgabe von Awdijiwka

Der Korrespondent des Wall Street Journal, Jaroslaw Trofimow, warnte dennoch vor den Konsequenzen, sollte Awdijiwka aufgegeben werden. Eine Einnahme würde es den Russen ermöglichen, Stellungen rund um Bachmut zu konsolidieren, schrieb er, sowie die Kontrolle über die Autobahn zwischen Donezk und Kramatorsk zu erleichtern und insgesamt die logistischen Möglichkeiten in der Region zu verbessern.

Leon Hartwell, Senior Associate an der London School of Economics and Political Science (LSE), erklärte dem amerikanischen Nachrichtenmagazin Newsweek: „Der Verlust von Awdijiwka würde die Fähigkeit der Ukraine einschränken, Gegenoffensiven gegen Russland im Donbass zu starten, und die Rückeroberung der Stadt angesichts ihrer beeindruckenden Befestigungsanlagen wäre eine außerordentlich anspruchsvolle Aufgabe.“ (pm)

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