Streit in der Ampel um 12-Punkte-Plan – Politologe: „Minderheitsregierung nicht ausgeschlossen“
Die FDP sorgt mit einem Papier für Wirbel. Die Partei selbst findet: viel Lärm um nichts. Ein Politologe sagt derweil, eine Regierung ohne FDP sei nicht ausgeschlossen.
Berlin – Gelb ist einfach nicht rot, das wird in diesen Tagen immer deutlicher. Erst vor ein paar Tagen hatte SPD-Chef Lars Klingbeil bei einer Diskussionsrunde in Stuttgart recht klar gesagt, was er vom neoliberalen Kurs des Koalitionspartners FDP hält. Es ging um soziale Themen, das ganze Paket: Rente, mehr Wertschätzung gegenüber Menschen in Pflegeberufen, Bildung. Vor „20 Jahren“ hätten sich auch in der SPD viele am „neoliberalen Gerede“ beteiligt, so Klingbeil. Das sei zum Glück vorbei.
SPD-Chef Klingbeil unzufrieden mit FDP-Forderungen für Deutschland
Heute müsse es darum gehen, die Schere zwischen Arm und Reich endlich zu schließen, so Klingbeil: „Ich will, dass 95 Prozent der Menschen in diesem Land mehr Geld in der Tasche haben. Aber dafür müssen die oberen fünf Prozent, die wahnsinnig viel haben, etwas abgeben.“ Und niemand solle bis „72 oder noch länger“ arbeiten müssen. Die Lösung seiner Partei: mehr Erbschaftssteuer, eine höhere Spitzensteuer und Investitionen in Bildung und Gesundheit. Dafür müsse Deutschland eben auch Schulden machen: „Man muss es Finanzminister Christian Lindner zurufen: Die Schuldenbremse darf keine Zukunftsbremse sein.“

Das ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die FDP jetzt in einen 12-Punkte-Plan hineingeschrieben hat. In dem Beschlusspapier wird unter anderem die Abschaffung der Rente mit 63 gefordert sowie Sanktionen beim Bürgergeld und dass die Bundesregierung mindestens drei Jahre lang keine neuen Sozialleistungen beschließen soll. Die Kritik folgt auf dem Fuße. „Wenn die FDP glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig“, sagte Klingbeil jetzt zum FDP-Vorstoß auf Anfrage.
Strack-Zimmermann (FDP) zum neuen Ampel-Streit: „Kein Grund zur Aufregung“
FDP-Vorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann hält die Kritik innerhalb wie außerhalb der Koalition für viel Lärm um nichts. „Wir haben am kommenden Sonntag einen Bundesparteitag der FDP. Dies ist ein Leitantrag hierfür und kein Scheidungspapier“, sagte sie gegenüber IPPEN.MEDIA. Das 12-Punkte-Papier selbst sei „vielmehr ein Gesamtkonzept für die Überwindung der Wirtschaftsschwäche, mit wichtigen Aspekten zu Sozialsystemen“: „Wir kommen daher schlicht unserem programmatischen Auftrag nach. Angesichts der Tatsache, dass auch Grüne und SPD andauernd Konzepte beschließen, die nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt sind, gibt es keinen Grund zur Aufregung.“

Etwas anders sieht das Uwe Jun, Parteienforscher und Professor für Politikwissenschaft an der Uni Trier. Für ihn liegt sind die FDP-Forderungen eine klare Willensbekundung, nicht mehr mit Positionen der Koalitionspartner mitgehen zu wollen. „Sie sieht, dass Deutschland beim Wirtschaftswachstum der Industrienationen Schlusslicht ist, und will besonders in der Wirtschaftspolitik andere Wege gehen“, so Jun gegenüber IPPEN.MEDIA. „Bemerkenswert ist, wie die Forderungen die Kernbereiche der Koalitionspartner betreffen, also die Energiepolitik der Grünen und die Sozialpolitik der SPD. Der Vorstoß ist provokant.“
Meine news
CDU-Politiker Frei: Olaf Scholz befindet sich „in einer Parallelwelt“
Da die Ampel-Koalition gerade in Verhandlungen für den Haushalt 2025 steckt, befindet sich die FDP Jun zufolge in einer Position der Stärke. Kanzler Olaf Scholz braucht die FDP-Stimmen. „Sie kann nun markieren, wo ihrer Ansicht nach ein Ausweg aus der ökonomischen Misere ist“, so Jun über den Zeitpunkt des Forderungskatalogs.
Eine „ökonomische Misere“ beobachtet auch Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU im Bundestag. Frei macht den Bundeskanzler für die schlechte Lage verantwortlich und spricht davon, dass Scholz sich in einer Parallelwelt befinde, wenn er von einem wirtschaftlichen „Turnaround“ spreche. „Weite Kreise der Industrie sind fassungslos angesichts seiner Weigerung, sich mit der tatsächlichen Lage zu beschäftigen. Zumindest die FDP beweist in der Ampel Realitätssinn“, sagte Frei unserer Redaktion. Frei und die Union begrüßen die wirtschaftspolitischen Positionen der Freien Demokraten, haben dennoch Kritik auch parat. „Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die selbsternannte Fortschrittskoalition steht still. Auch von diesem Papier bleibt nichts außer schönen Worten“, sagte Frei.
Ampel-Minderheitsregierung ohne FDP „nicht ausgeschlossen“
Dass mit dem FDP-Vorstoß das Ende der Koalition eingeleitet werde, wie CSU-Chef Markus Söder mutmaßte, ist für Parteienforscher Jun nicht so klar. „Neuwahlen halte ich für ausgeschlossen. Die sind nur möglich, wenn Scholz die Vertrauensfrage stellt – damit würde er ohne die Stimmen der FDP seine eigene Kanzlerschaft vorzeitig beenden.“ Der Wissenschaftler ergänzt jedoch: „Wenn der Haushalt für 2025 steht, halte ich eine Minderheitsregierung ohne Beteiligung der FDP aber nicht für ausgeschlossen.“