Nach Nawalny-Tod meutern Tausende Russen gegen Putin – und spüren Russlands Justiz-Keule

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Proteste nach dem Nawalny-Tod unterdrückt Russlands Machtapparat mit einem massiven Polizeiaufgebot. © IMAGO/Andrei Bok/SOPA Images

Nach dem Nawalny-Tod gehen Tausende in Russland auf die Straße. Sie wittern die Vertuschung der Todesursache. Doch die Justiz reagiert mit Strafen.

Moskau – Sie leben gefährlich, trotzdem treibt sie die Wut auf die Straße: Nach den Meldungen vom Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny schwillt die Protestbewegung in Russland wieder an. Einer der Mutigen ist Grigory Mikhnov-Voitenko. Der Priester der Apostolisch-Orthodoxen Kirche, einer von der Russisch-Orthodoxen Kirche unabhängigen religiösen Gruppe, rief am Samstag in den sozialen Medien zu einer Gedenkfeier für den verstorbenen Oppositionsführer auf – und wurde umgehend vor seinem Haus festgenommen, wie der US-Sender CBS berichtete. Besonders bitter: In der Arrestzelle soll er einen Schlaganfall erlitten haben, woraufhin er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Proteste nach Nawalny-Tod in Russland: Justiz reagiert mit 400 Festnahmen – Urteile im Eilverfahren

Doch trotz der Repressionen des Kreml und einigen bizarren Reaktionen lassen sich in Russland viele tausende Menschen nicht unterkriegen. Nach dem Nawalny-Tod flammte in 36 Städten eine Protest- und Gedenkveranstaltungswelle auf. Überall legten Menschen Blumen nieder und zündeten Kerzen an Denkmälern für die Opfer von politischer Gewalt an. Jedoch kam es dabei zu mehr als 400 Festnahmen.

Und die Justiz in Russland ist schnell. So haben Gerichte nach dem Tod von Kremlgegner Nawalny in Eilverfahren bisher mehr als 200 Strafen gegen die an spontanem Gedenken teilnehmenden Trauernden verhängt. Allein in St. Petersburg ordneten die Gerichte der Millionenmetropole gegen 199 Menschen Arrest oder Geldstrafen an, auch in der russischen Hauptstadt Moskau gab es mehrere solcher administrativen Strafen. In St. Petersburg kamen mehr als 154 Menschen in eine Arrestzelle, die meisten für mehrere Tage, wie die Huffington Post berichtete.

Die Strafen vor den Gerichten in St. Petersburg ergingen laut den Protokollen wegen Störung der öffentlichen Ordnung nach unerlaubten Versammlungen auf einem öffentlichen Platz. Dafür drohen laut Gesetz in Russland Geldstrafen bis zu 20.000 Rubel, Pflichtarbeitsstunden für die Allgemeinheit oder bis zu 15 Tage Arrest.

Tod im Straflager: Die Todesursache von Alexey Nawalny bleibt rätselhaft

Nach offiziellen Angaben war der Gegner von Kremlchef Wladimir Putin am Freitag in dem Straflager mit dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“ gestorben. Die Todesursache und der Ort, an dem die Leiche aufbewahrt wird, sind weiter unklar. Nach offiziellen Angaben brach der körperlich geschwächte Nawalny nach vielen Tagen in immer wieder angeordneter Einzelhaft bei einem Hofgang in dem Lager nördlich des Polarkreises bei eisigen Temperaturen zusammen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos. Jedoch gibt es immer wieder starke Zweifel an den offiziellen Angaben. So gibt es anonyme Augenzeugen-Berichte aus dem Gefängnis, wonach Nawalnys Körper viele blaue Flecken aufgewiesen haben soll. Unklar ist auch, ob wirklich ein Krankenwagen gerufen wurde.

Vertuschung vorgeworfen: Nawalny-Unterstützer fordern Herausgabe der Leiche an Familie

Wegen der ungeklärten Todesumstände und Todesursache fordern die Demonstranten die Herausgabe der Leiche an die Familie. Bislang wurde der Mutter von Nawalny der Zugang zum Leichenschauhaus untersagt. Die Leiche wird einem Medienbericht zufolge im Bezirkskrankenhaus der Stadt Salechard im hohen Norden Sibiriens aufbewahrt. Ob aber eine Obduktion bereits stattgefunden hat und ob der Leichnam wirklich dort ist, ist weiterhin unklar.

Viele Unterstützer und auch westliche Staatschefs werfen dem Kreml um Russlands Präsidenten Wladimir Putin einen politischen Mord vor. Allen voran US-Präsident Joe Biden nannte Putin verantwortlich für den Tod des Kremlkritikers. Die Sorge ist nun groß, dass der Kreml die Hintergründe zu dem Todesfall vertuschen könnte. „Es ist offensichtlich, dass die Mörder ihre Spuren verwischen wollen und seinen Leichnam deshalb nicht übergeben und sogar vor seiner Mutter verstecken“, erklärte die Nawalny-Sprecherin Kira Jarmisch bei Telegram. Seit Monaten hatte das Team des Oppositionellen davor gewarnt, dass der Kreml ein perfides Mordkomplott im Straflager durchziehen könnte.

Nach Nawalny-Tod: 46.000 Russinnen und Russen unterschreiben Online-Petition

Das Nawalny-Team ist dabei nicht alleine. So sollen sich 46.000 Russinnen und Russen einem Online-Aufruf angeschlossen haben, die die Bürgerrechtsplattform OWD-Info am Wochenende gestartet hatte. Wie die unabhängige Nachrichtenplattform Meduzza berichtete, werden die russischen Behörden zur Herausgabe der Leiche aufgefordert. Dies müsse so schnell wie möglich erfolgen, heißt es demnach in der Erklärung. „Wenigstens nach seinem Tod sollte Alexej Nawalny bei seinen Angehörigen sein.“

Russlands Regierung hält Kritik aber weiterhin für unangebracht. Was mit der Leiche passiere, liege nicht in der Kompetenz des Kreml, sagte Putins Sprecher Dimitri Peskow laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax und fügte hinzu: „Nein, das ist keine Frage, die uns betrifft. Wir befassen uns nicht mit dieser Angelegenheit. Das gehört nicht zu den Aufgaben der Präsidentenadministration.“ Die Kompetenzen des Kreml gelten jedoch als unbeschränkt.

Pussy Riot in Berlin: Aktivisten fürchten den verlängerten Arm von Putin bis nach Deutschland

Wie sehr der Einfluss der russischen Sicherheitsorgane reicht, zeigte sich am Wochenende auch in Berlin. Vor der russischen Botschaft startete die Protestgruppe Pussy Riot eine Demo, getarnt mit pinken Sturmhauben. Die Aktion dauerte aber nicht allzulange – auch aus Sorge vor Konsequenzen. So erklärte Pussy Riot, dass auch für Mitglieder der Gruppe die Situation bedrohlich sei. „Wir rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich solidarisch zu zeigen und sich für Gerechtigkeit einzusetzen“, zitierte der Nachrichtensender ntv die Gruppe. „Die Ermordung von Alexei Nawalny und die Bedrohung von Pussy-Riot-Mitgliedern sind Angriffe auf die Grundwerte von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde, die wir entschlossen verteidigen müssen.“

Ehefrau von Nawalny sucht um Unterstützung bei EU: Julia Nawalnaja reist nach Brüssel

Ein bisschen Rückendeckung will die westliche Politik im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Protestierenden auch geben. Nawalnys Witwe, Julija Nawalnaja, reiste am Montag (19. Februar) zu den Beratungen der europäischen Außenminister nach Brüssel. Wie der Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, wollten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen „ein starkes Signal der Unterstützung für die Freiheitskämpfer in Russland senden“ und die Erinnerung an den 47-jährigen Nawalny ehren. Dem Priester Grigory Mikhnov-Voitenko hat das in Moskau allerdings nicht geholfen. (jkf)

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