Putin-Protest bei Trauerfeier: Nawalny-Anhänger trotzen Einschüchterung durch Kreml-Schergen
Die Gefahr für eine Verhaftung ist groß: Bei der Beerdigung von Alexej Nawalny kommt es zu Protesten gegen Putin – trotz der massiven Polizeipräsenz.
Moskau – Sie wollen sich nicht mundtot lassen machen: Tausende Menschen haben am Rande der Beerdigung von Alexei Nawalny ihrer Wut freien Lauf gelassen. Trotz Strafandrohung protestierten sie bei der Trauerfeier für den im Straflager gestorbenen Kremlgegner offen gegen Präsident Wladimir Putin. „Russland ohne Putin!“, „Putin ist ein Mörder!“, „Russland wird frei sein!“ und „Nein zum Krieg!“ skandierten die Menschen im Chor, wie die Nachrichtenagentur dpa am Freitag (1. März) berichtete. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot angerückt war, ließ sie gewähren. Unklar war aber zunächst, ob die Demonstranten in den kommenden Tagen noch mit einer Verhaftung und mit Razzien rechnen müssen.
Am offenen Sarg haben Angehörige am Freitag in Russland Abschied von dem toten Kremlgegner Alexej Nawalny genommen. Nach einem langen Hin und Her mit den Behörden wird der 47-Jährige auf einem Friedhof in einem südlichen Stadtteil von Moskau beigesetzt, in dem er 17 Jahre lang gewohnt hatte. Zugelassen zu der Trauerfeier waren nur engste Familienmitglieder, seine im Ausland lebende Ehefrau Julia Nawalnaja und seine beiden Kinder waren jedoch nicht dabei. Ihnen droht bei Einreise nach Russland eine Verhaftung.
Beerdigung von Alexej Nawalny: Anti-Putin-Proteste begleiten die Trauerfeier
Das Unterstützerteam von Nawalny, das wegen drohender Festnahme ebenfalls im Ausland ist, rang mit den Tränen, als die Angehörigen den Leichnam im offenen Sarg küssten. Die Live-Bilder von der Beerdigung waren in einem Youtube-Stream zu sehen. Ein Orchester spielte Trauermusik. Gespielt wurde das Lied „My way“. Anschließend wurde die Leiche mit einem Tuch abgedeckt, bevor der Sarg verschlossen und in die Erde gelassen wurde. Bei Instagram veröffentlichte Ehefrau Julia dann einen emotionalen Abschiedsgruß.
„Wir vergessen nicht“: Demonstranten werfen Putin den Tod von Nawalny vor
Trotz der Beschränkungen durch die Behörden für die Nawalny-Trauerfeier hatten sich tausende Menschen auf dem Weg zum Friedhof und vor der Kirche versammelt, um sich vom Kremlkritiker zu verabschieden. Bereits in den Tagen zuvor hatte die Polizei Absperrungen aus Metallgittern aufgebaut. Dahinter riefen die Demonstranten „Nawalny, Nawalny, Nawalny“ und sie skandierten „Wir vergessen nicht. Wir vergeben nicht“. Viele der Rufe stammen von Nawalny, die in Freiheit einst Zehntausende Menschen zu Protesten gegen den Kreml auf die Straße gebracht hatte. Die Mitarbeiter Nawalnys riefen die Menschen auf, Ruhe zu bewahren.
Zuvor hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow vor unerlaubten Protesten gewarnt. In Russland drohen bei Demontrationen gegen den Ukraine-Krieg, aber auch gegen den Kreml empfindliche Strafen. Kremlherrscher Putin will sich in zwei Wochen bei einer Wahl als Präsident im Amt bestätigen lassen. Unterstützer und Angehörige Nawalnys sowie Menschenrechtler werfen Putin vor, er habe den russischen Oppositionsführer deshalb in Haft ermorden lassen. Der Kreml weist das zurück. Doch auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden warfen Putin eine Beteiligung an dem Tod von Nawalny vor.
Nawalny war am 16. Februar nach Behördenangaben im Straflager mit dem inoffiziellen Namen „Polarwolf“ in der sibirischen Arktisregion Jamal gestorben. Die Umstände seines Todes sind rätselhaft und nicht geklärt. Der durch einen Giftanschlag 2020 und wiederholte Einzelhaft im Lager geschwächte Politiker soll bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen und trotz Wiederbelebungsversuchen gestorben sein. Nach Angaben von Nawalnys Team ist im Totenschein von „natürlichen“ Ursachen die Rede. Doch an der offiziellen Darstellung gibt es immer wieder Zweifel.
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Greift Putin wegen Protesten durch? Verhaftungen nach Beerdigung von Nawalny befürchtet
Doch Proteste versuchte der Kreml umgehend im Keim zu ersticken. Bereits in den Tagen nach der Todesmeldung von Nawalny nahm die Polizei hunderte Menschen in Russland fest, die ihre Stimme gegen Putin erhoben hatten. Auch stiller Protest wurde nicht geduldet. Menschen, die an öffentlichen Orten Blumen niederlegten, fanden sich umgehend in Polizeigewahrsam wieder. Wie der Tagesspiegel berichtete, riefen Menschenrechtsorganisationen deshalb zu besonderer Vorsicht auf. Sie hätten dazu geraten, keine Fahnen, Fotos von Nawalny, Bänder oder Abzeichen mitzuführen, die in Russland verboten sind, hieß es. Dazu gehört schon der Buchstabe N in einem Kreis – ein Symbol, das die russische Staatsmacht als „extremistisch“ eingestuft hat.
Am Freitagnachmittag hielt sich die Polizei aber zunächst auffallend zurück. Zwar soll es vereinzelt zu Festnahmen gekommen sein, Die Sicherheitsorgane hätten sich sehr „passiv verhalten“, berichtete ARD-Korrespondentin Ina Ruck auf tagesschau.de. Jedoch seien überall rund um die Trauerfeier Kameras installiert worden. Allein dadurch gilt es nicht als ausgeschlossen, dass die Behörden auch noch im Nachhinein durchgreifen werden, wenn die internationale Aufmerksamkeit nachgelassen hat. (jkf)