„Immer noch eine gefährliche Substanz“: Jugendamt skeptisch vor Cannabis-Freigabe
Trotz Legalisierung warnen Experten aus dem Kreis Ebersberg vor Cannabiskonsum. Insbesondere die Auswirkungen auf Jugendliche sehen sie kritisch.
Landkreis – Die Bundesregierung hat sich auf eine Legalisierung der Droge Cannabis zum 1. April dieses Jahres verständigt. Bei den zuständigen Stellen im Landkreis Ebersberg löst diese Ankündigung trotz möglicher Arbeitsentlastung mehr Stirnrunzeln als Vorfreude aus.
Jugendamt: „Immer noch eine gefährliche Substanz“
Zwar soll Kiffen für Unter-18-Jährige verboten bleiben, doch Sachgebietsleiter Florian Robida und Bernhard Wacht von der Jugendgerichtshilfe befürchten, dass die Freigabe für Erwachsene auch den Cannabis-Konsum bei Jugendlichen begünstigen könnte. Denn: Was für Erwachsene keine Straftat ist, kann wohl auch für Minderjährige keine sein: Ein Jugendlicher, der von der Polizei mit Schnaps erwischt wird, bekommt den Stoff zwar abgenommen und eine deutliche Ansage, aber keine Anzeige, erläutert Wacht – höchstens erfolgt eine Mitteilung ans Jugendamt.
Wäre das bei Cannabis genauso, vermutet der Jugendgerichtshelfer: „Die erzieherische Konsequenz könnte wegfallen.“ Schon jetzt merke er bei den Unter-18-Jährigen eine zunehmende Verharmlosung bei dem Thema, nach dem Motto: „Das wird eh legal.“ Und neben dem Schwarzmarkt hätten Minderjährige eine zusätzliche Bezugsquelle: Über-18-Jährige, etwa aus dem Freundeskreis, die die Droge legal besitzen dürfen.
Jugendamtschef Robida sagt: „Auch wenn es keine verbotene Substanz mehr ist, ist es immer noch eine gefährliche.“ Bei der Drogenaufklärung beruft sich das Jugendamt auf Studien, die Cannabis massive Auswirkungen auf die Gehirnbildung attestieren – je früher der Konsum beginnt, desto gravierender die Auswirkungen auf Denk- und Erinnerungsleistungen. Robida wünscht sich vor allem klare Regelungen, damit das Amt in der Präventionsarbeit reagieren kann: „Ich mache, was der Gesetzgeber sagt.“
Das Thema Legalisierung birgt aus Sicht des Jugendamts auch Chancen, etwa eine bessere Kontrolle von Streckmitteln und künstlichen Cannabinoiden, mit denen die Droge vom Schwarzmarkt oft versetzt sei. Diese könnten unabsehbare körperliche und psychische Folgen bis hin zur Psychose auslösen. Dazu komme, so Wacht, dass der Wirkstoffgehalt der Cannabis-Blüten seit Jahrzehnten steige. Er sieht eine Verklärung dessen, wozu sich die Droge entwickelt hat: „Über das, was die Woodstock-Generation damals geraucht hat, würden unsere Burschen und Mädels heute nur lachen.“
Amtsgericht: „Eine gewisse Form von Entlastung“
Nicht ganz zehn Prozent aller Verfahren zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten am Amtsgericht Ebersberg entfielen in den vergangenen Jahren auf das Thema Betäubungsmittel. Cannabis ist statistisch nicht gesondert erfasst, macht aber erfahrungsgemäß den Löwenanteil an den gerichtlichen Drogenverfahren aus – allerdings auch im Zusammenhang mit Handel oder Mengen, die nach neuer Gesetzeslage strafbar blieben. Gerichtssprecher Frank Gellhaus über die möglichen Folgen einer Legalisierung zur EZ: „Mein Eindruck ist, dass es eine gewisse Form von Entlastung geben wird, welche aber, jedenfalls beim Amtsgericht Ebersberg, letztlich in einem eher überschaubaren Ausmaß bleiben dürfte.“ Personaleinsparungen werde es nicht geben.
Meine news
Einen „massiven Mehraufwand an Arbeit“ sieht Gellhaus dafür auf die Justiz in der Übergangsphase zurollen. Schon jetzt sei die zuständige Staatsanwaltschaft München dabei, jene Cannabis-Verfahren herauszufiltern, bei denen die Strafe noch nicht vollstreckt ist. Hier können die Täter auf eine rückwirkende Änderung bis hin zum Straferlass hoffen. Auf Antrag müssten die entsprechenden Taten nach der Legalisierung aus dem Bundeszentralregister, quasi dem behördlichen Kerbholz, getilgt werden. Auch werde zur Überwachung der neuen Regeln, von Höchstmengen, bis zu den geplanten Verkaufslokalen, eine Menge Arbeit auf die Justiz zukommen, so Gellhaus.
Polizei will konsequent einschreiten: „Wirkung wird weiter verharmlost“
„Fest steht, dass die Bayerische Polizei konsequent nach gültiger Rechtslage einschreiten, kontrollieren und Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verfolgen wird“, schreibt das für den Landkreis zuständige Präsidium Oberbayern Nord in Ingolstadt auf EZ-Anfrage. Neben der Sorge um den Schutz Minderjähriger, den die Polizei mit dem Jugendamt teilt, warnen die Beamten auch vor einer Gefahr für den Straßenverkehr.
„Seit Jahren steigt die Zahl der Fahrten unter Drogeneinfluss und die Zahl der drogenbedingten Verkehrsunfälle stetig an“, schreibt ein Sprecher. „Durch die Legalisierung wird die Wirkung von Cannabis weiter verharmlost, häufige Fehleinschätzungen mit dann erheblichen Auswirkungen auf die Straßenverkehrssicherheit sind hier vorprogrammiert.“ Wie das Amtsgericht sieht auch das Präsidium eher mehr als weniger Kontrollarbeit auf seine Beamten zukommen. Die beiden Dienststellen Poing und Ebersberg äußern sich nicht zu konkreten Fallzahlen. Die Statistik sei noch nicht abgeschlossen.
Suchtberatung: „Gesetz ist nicht klug zu Ende gedacht“
Caritas-Expertin Margit Schwarz sagt: „Aus Suchthelfersicht ist die Legalisierung bestimmt eine Chance.“ Sie sagt aber auch: „Das Gesetz ist nicht klug zu Ende gedacht.“ Es sei sinnvoll, gerade bei jungen Menschen die drastischen strafrechtlichen Konsequenzen abzubauen. Suchtbekämpfung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Cannabis sei ohnehin schon das meistkonsumierte Suchtmittel neben Alkohol, weswegen Therapiebedürftige in der Grafinger Fachambulanz aufschlügen.
Klassischerweise sei es der Umgang mit einer negativen Gefühlssituation, etwa einer beginnenden Depression, der gerade junge Menschen zum Konsum verleite, der bis in die Abhängigkeit, vor allem psychisch, führen könne. Auch wenn das in Konsumentenkreisen gern bestritten wird. Wer ohne die Droge nicht mehr zurechtkomme, brauche in der Regel Unterstützung, um davon loszukommen. Und hier sieht Suchtexpertin Schwarz das Problem:
Es seien nicht genug Mittel zur Prävention und Frühintervention vorgesehen – also um Abhängigkeiten vorzubeugen und schnell einzugreifen, um größeren Schaden abzuwenden. „Dafür braucht es Geld“, sagt sie. Die Caritas-Beratungsstelle gehe davon aus, dass mit der Legalisierung auch ein erhöhter Bedarf an Therapieangeboten einhergehen werde – gerade, weil ein Alter von 18 Jahren aus medizinischer Sicht für einen verhältnismäßig risikoarmen Konsum zu früh sei: „Das wird eine nachschwappende Welle werden.“
Mehr News finden Sie in unserer brandneuen Merkur.de-App, jetzt im verbesserten Design mit mehr Personalisierungs-Funktionen. Direkt zum Download, mehr Informationen gibt es hier. Sie nutzen begeistert WhatsApp? Auch dort hält Sie Merkur.de ab sofort über einen neuen Whatsapp-Kanal auf dem Laufenden. Hier geht‘s direkt zum Kanal.