Hohenkammer nach „tausendjährlichem“ Hochwasser: Eiserner Zusammenhalt in schwersten Tagen
In Hohenkammer wird nach dem Rekordhochwasser aufgeräumt. Dabei wird das enorme Ausmaß der Schäden deutlich – aber auch die starke Gemeinschaft im Ort.
Hohenkammer - Dass ein asiatisches Nachrichten-TV mal aus Hohenkammer sendet, hätte sich dort wohl keiner träumen lassen. Und sicher würde man gern darauf verzichten. Denn das Kamerateam ist wegen des verheerenden Hochwassers gekommen, das am Sonntag an der Glonn gewütet hat.

Was sich dort so Dramatisches abgespielt hat, lässt sich am Dienstag nur noch erahnen. Die Sonne scheint, vor dem Feuerwehrhaus sitzen Menschen auf Bierbänken, essen und trinken, manche lachen. Fast wie bei einem Dorffest – wären da nicht die verschlammten Klamotten, die erschöpften Gesichter oder die Sperrmüllladungen, die nebenan aus Traktorschaufeln in Container donnern. Der Platz ist gerade das Herz des Orts: Hier wird koordiniert, Kraft getankt und Hausrat entsorgt. Und hier kann man sich gegenseitig die Angst und den Frust von der Seele reden.
Schicksalhaftes Wiedersehen mit Feuerwehr-Freunden aus Traunstein

Mitten im Gewusel steht Ulrich Moosmeier. Der Feuerwehrkommandant trägt Kappe, Neonweste und Funkgerät am Hals, und er strahlt eine beeindruckende Ruhe aus – obwohl bei dem Einsatzleiter ständig das Handy klingelt. „Es gibt hier auch kein lautes Wort“, sagt der 57-Jährige. „Alle arbeiten Hand in Hand.“ Der Schock vom Wochenende sitzt zwar noch tief, wird inzwischen aber auch von positiven Erlebnissen überstrahlt: „Durch einen Aufruf sind gestern hunderte Helfer gekommen, um Häuser zu entrümpeln und zu putzen. Das war sehr erleichternd und ein super Gefühl.“ Parallel kamen den eigenen Feuerwehrleuten noch knapp 70 auswärtige Kameraden zur Hilfe, manche privat. „So konnten wir bereits alle Keller ohne Öl auspumpen.“

Um die acht Anwesen, die mit Öl verseucht sind, kümmert sich nun ein Spezialtrupp der Feuerwehr Traunstein: aus der Stadt, in der hunderte Feuerwehrkräfte aus dem Kreis Freising bei der Schneekatastrophe im Januar 2019 tagelang Dächer freischaufelten. Als eines der Traunsteiner Feuerwehrautos am Dienstagmittag auf den Hof rollt, begrüßt Moosmeier sie herzlich. In zwei bis drei Tagen, so erklärt er später, sollte die Ölwasserbeseitigung abgeschlossen sein.
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Unterstützende Landwirte und vorzügliche Verpflegung für Helfer
Von der Gemeinde und vom Freisinger Kreisbrandrat, sagt Moosmeier, sei alles an Hilfe beschafft worden, was man benötigt habe. „Als Manfred Danner dann angerufen hat, ob wir Verpflegung für den Abend brauchen, hab‘ ich gesagt: Wir sind bestens versorgt.“ Denn da hatten das hiesige Café Waldhof und die Metzgerei Geisenhofer schon für die Helfer aufgekocht – und sie tun das immer noch. So konnten sich Einsatzkräfte und jeder, der wollte, mit Rinderbraten, Ravioli oder Hähnchenhaxen stärken. Gratis. Während Moosmeier spricht, grüßt er hinüber zum roten Bulldog, den Landwirt Christoph Drahtmüller am Feuerwehrhaus vorbeifährt. „Uns sind die Container ausgegangen, da hat uns Christoph seinen Hänger zur Verfügung gestellt.“ Auch viele andere Bauern steuern immer wieder die Sammelstelle an und liefern Unrat von Nachbarn ab.

„Was in Hohenkammer möglich ist, dass einer dem anderen so hilft, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagt Vitus Edlhuber. Der 67-Jährige, dessen Haus an der Hauptstraße direkt an der Glonn liegt, kratzt sich trockenen Schlamm von der Schläfe, während mehrere Frauen verschmierte Schranktüren über sein Grundstück. „Fünf mir unbekannte Damen standen plötzlich vor meiner Tür. Als ich gefragt hab‘, warum sie zu mir kommen, meinten sie: Weil Du in Schwierigkeiten bist.“ Sonntagfrüh, um 3 Uhr, sei noch alles in Ordnung gewesen, erzählt Edlhuber. „Ich bin jede Stunde raus zum Nachschauen, schlafen konnte ich nicht.“ In einer Viertelstunde sei dann der ganze Keller geflutet worden. Kurz darauf habe man ihn evakuiert. „Das ist ein ganz komisches Gefühl: Wenn du alles zurücklassen musst.“ Dass es nötig war, habe ein Blick vors Haus gezeigt: „Alles war voller Wasser, da bekommt man Angst. Wir wussten ja nicht, wo das noch hinführt.“ Trotz des ganzen Schadens wirkt Edlhuber gefasst: „Es geht ja immer noch schlimmer, wenn man mal ans Ahrtal denkt.“
Gewaltige Schäden - kein Versicherungsschutz
„Ich hab‘ gehört, dass Leute Hilfe brauchen“, sagt eine der Frauen – eine 59-Jährige aus dem Ort, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie sei schließlich nur eine von ganz vielen Helferinnen und Helfern. „Da hab‘ ich mir Gummistiefel und Handschuhe gepackt und bin los.“ Ihr eigenes Haus oben im Ort sei verschont geblieben. Auch ihrem Nachbarn habe sie ausgeholfen: „Sein Hühnerstall war fast abgesoffen. Weil wir selbst einen Stall haben, haben wir jetzt noch seinen neun Hühnern Asyl gegeben“, sagt sie und lacht kurz. Dann geht sie wieder zurück in Vitus Edlhubers Keller.

Vor einem gewaltigen Schaden steht am Dienstag auch Mario Held. In seinem Haus an der Jahnstraße, das keinen Keller hat, kam die Glonn bis ins Wohnzimmer. Nebenan, im Haus der Eltern, drückte das Wasser die Sandsäcke von den Kellerfenstern weg und flutete das Untergeschoß bis über die Decke. „Ich wohne seit 40 Jahren hier, das hat‘s noch nie gegeben“, sagt er und zeigt Handyfotos von der Flut. Im Keller hatte ein Mieter gelebt, der Mann wurde ins nahe Schloss Hohenkammer evakuiert. Bis die Rettungskräfte zum Anwesen der Helds, wo auch ihre drei Kinder (6, 10, 13) ausharrten, vordringen konnten, dauerte es quälend lange Stunden. „Die Strömung auf der Straße war so stark, dass es anfangs weder die Wasserwacht noch das THW mit ihren Booten zu uns geschafft haben. Da hätte es einen Hubschrauber gebraucht.“

Den Helds hat das Hochwasser neben dem Wohnraum auch noch ein Büro, den Volkswagen in der Garage, Oldtimer-Motorräder sowie die Glaserei-Werkstatt auf dem Gelände überflutet. Bei der Frage nach einer Elementarversicherung hebt Mario Held nur hilflos die Schultern: „In der Gegend kriegst du einfach keine. Auf dem Schaden bleiben wir sitzen.“ Das, was in dieser schweren Zeit aber auch in Mario Helds Familie gelebt wird und Mut macht, ist der Zusammenhalt. „Meine Schwester, deren Haus es auch erwischt hat, wohnt mit ihren zwei Kindern jetzt erst mal bei uns.“