Versicherung gegen Naturschäden bald Pflicht? Frankreich macht es vor

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Erneut führt eine Flut zur Debatte um die verpflichtende Elementarschadenversicherung. Frankreich zeigt, wie es geht - doch Deutschland bleibt uneins.

Berlin – Im Zuge des Hochwassers in großen Teilen Süddeutschlands werden Forderungen nach einer verpflichtenden Elementarschadenversicherung wieder laut. Denn: In Deutschland sind Millionen Haushalte nicht gegen Naturkatastrophen versichert. Neben den persönlichen Schäden und Schicksalen kosten die Wetterextreme Steuerzahlerinnen und Steuerzahler jährlich Milliarden. In Frankreich dagegen läuft es günstiger und besser. Wie kommt das?

Deutsche Steuerzahler zahlen Milliarden für Fluthilfe – französische nichts

„Anfang der 80er hatte Frankreich viele Flutschäden zu beklagen und wie Deutschland heute noch keine flächendeckende Absicherung“, weiß Jakob Thevis, stellvertretender Vorsitzender des Zentrums für europäischen Verbraucherschutz und Experte in Sachen Versicherungen gegen Naturschäden. Thevis hat eine Studie über das französische Versicherungssystem verfasst und plädiert dafür, dieses auch in Deutschland einzuführen. „Wir müssten in Deutschland sofort anfangen“, fordert der Experte.

Anders als in Frankreich ist in Deutschland nur etwa die Hälfte der Gebäude gegen Elementarschäden wie Überschwemmungen oder Erdbeben versichert. Je nach Bedrohungslage der Region steigen die Kosten für eine solche Versicherung, die oft sogar in Nichtrisikogebieten bei mindestens 200 bis 300 Euro jährlich liegen. Manchen Menschen bieten Unternehmen für ihr Haus wegen zu hoher Flutgefahr gar keine Versicherung an. Diese Situation führt dazu, dass bei Naturkatastrophen regelmäßig der Staat als Geldgeber einspringen muss, weil zu wenige Menschen versichert sind. Allein im Zuge der Überschwemmungen im Ahrtal zahlten Steuerzahlerinnen und Steuerzahler rund 30 Milliarden Euro.

Fast alle Franzosen mit Elementarschadenversicherung

Ganz anders ist die Lage in Frankreich. Statt der Hälfte sind dort 98 Prozent der Menschen über eine Elementarschadenversicherung geschützt. Statt bei mehreren Hundert Euro, liegt der Versicherungsbeitrag dort derzeit bei durchschnittlich 26 Euro, demnächst bei 42. Außerdem musste der französische Staat seit Einführung des Systems 1982 nur ein einziges Mal bei einer Katastrophe mit eigenen Mitteln aushelfen. Eine Pflichtversicherung im klassischen Sinne hat Frankreich dennoch nicht.

In etlichen süddeutschen Gemeinden herrscht nach Dauerregen Ausnahmezustand. Flut und Überschwemmung plagen tausende Haushalte. Dagegen versichert sind längst nicht alle.
In etlichen süddeutschen Gemeinden herrscht nach Dauerregen Ausnahmezustand. Flut und Überschwemmung plagen Tausende Haushalte. Dagegen versichert sind längst nicht alle. © IMAGO/Bernd März

Stattdessen hat der Staat Versicherer dazu verpflichtet, bei jeder abgeschlossenen Hausrats- oder Gebäudeversicherung einen Sondersatz von zwölf Prozent (die durchschnittlichen 26 Euro) für die staatlich festgelegte Elementarversicherung abzukoppeln, der in einen separaten Geldtopf fließt. Versicherungsexperte Thevis zufolge ein Gewinn für alle: „Das französische System macht mit seinem günstigen und flächendeckenden System nicht nur die Menschen glücklich. Auch die Versicherer werden nicht vernachlässigt, denn es gibt einen staatlichen Rückversicherer.“ Sollten die Kosten also über die Mittel der Versicherer steigen, springt der Staat ein. Passiert ist das in 42 Jahren ein Mal.

Rückerverischerer und SPD wollen französisches Modell

Angesichts dieser Bilanz spricht sich auch der weltweit größte Rückversicherer Munich RE, bei dem sich Versicherungen versichern, gegenüber IPPEN.MEDIA für einen Kurswechsel in Deutschland aus. „Flankierend zu den Präventivmaßnahmen der öffentlichen Hand ist der beste Weg für passenden Versicherungsschutz der Haushalte in Deutschland die Integration aller Elementargefahren als Bestandteil der Wohngebäudeversicherung“, heißt es von dem Unternehmen. „Wenn Hauseigentümer keine Elementarschadenversicherung wünschen, sollten sie durch Unterzeichnung einer Haftungsfreistellung explizit auf diesen Vertragsbestandteil verzichten können.“

Auch die Kanzlerpartei hat sich seit dem Ahrtal 2021 für die verpflichtende Integration der Elementarversicherung in die Wohngebäudeversicherung ausgesprochen, sagt Carsten Träger, Obmann der SPD im Bundestagsausschuss für Umwelt und Naturschutz, zu IPPEN.MEDIA. „Wir haben uns in unserem Positionspapier stark am französischen Modell orientiert. Wichtig ist uns ein möglichst breiter Versicherungsschutz zu Prämien, die niemanden überfordern.“

FDP gegen automatische Versicherung gegen Naturschäden

Doch nicht alle sind trotz Milliardenkosten für den Staat von der französischen Alternative begeistert. So etwa Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, der weiterhin auf Freiwilligkeit pocht: „Meiner Erfahrung nach wird beim Abschluss einer Gebäudeversicherung bereits jetzt in der Regel ein zusätzlicher Schutz für Elementarschäden mindestens als Option erwähnt. Die Menschen entscheiden sich aber, das zeigt die Versicherungsquote derzeit, häufig dagegen“, sagt Fricke unserer Redaktion.

Fricke führt weiter aus: „Zu bedenken ist außerdem, ob selbst bei einer Opt-Out-Option die Versicherungskosten nicht trotzdem massiv steigen und damit eine weitere Belastung für alle Hausbesitzer werden würden.“ Versicherer seien verpflichtet, wirtschaftlich zu handeln, weswegen Fricke gegen eine Pflicht ist, aber trotzdem auf eine freiwillig hohe Versicherungsquote hofft. Der FDP-Politiker spricht sich, wie alle Beteiligten, für mehr Prävention aus.

Auch Katastrophenprävention in Frankreich umfangreicher

Ebenfalls gegen französische Verhältnisse ist der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, der sich auf Nachfrage unserer Redaktion ähnlich wie die Freien Demokraten positioniert: „Eine singuläre Pflichtversicherung löst das Problem nicht. Im Gegenteil: Sie verhindert keinen einzigen Schaden“, so Asmussen, der auch voll auf Prävention künftiger Flutkatastrophen setzt.

Dass Deutschland angesichts steigender Wetterextreme mehr in die Vorsorge investieren muss, ist allen Beteiligten klar. So fordern Politik ebenso wie Versicherer, bei Baugenehmigungen künftig mehr auf Risikogebiete zu achten. Doch auch die Prävention wird beim linksrheinischen Nachbarn konsequenter verfolgt, weiß der Experte Thevis: „Will eine Gemeinde vollumfänglich vom System profitieren, muss sie weitreichende Pläne vorweisen und Maßnahmen umsetzen. Wenn gewisse Orte etwa aus Überflutungsgefahr als unbewohnbar gekennzeichnet werden, können Menschen umgesiedelt werden und die Kosten hierfür werden ebenfalls aus der Elementarschadensschutzabgabe finanziert.“

Französisches System „nicht zu schön, um wahr zu sein“

Thevis spricht beim französischen System von einem „sehr günstigen, das alle schützt“, und hält eine Umsetzung auch in Deutschland für machbar. „Das französische System ist nicht zu schön, um wahr zu sein. Deutschland und Frankreich sind gut vergleichbar. Es handelt sich um ähnliche Volkswirtschaften und ähnliche Wetterlagen. Auch der Solidaritätsgedanke in den Ländern ist grundsätzlich ein ähnlicher.“

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