Wie die Regierung für faire Löhne sorgen wollte, doch ein Bürokratiemonster erschuf

Der Unternehmer Thomas G. Schneider versteht nicht, dass sich der Staat immer stärker in die Lohngestaltung einmischt. Schneider ist geschäftsführender Gesellschafter des weltweit tätigen Kölner Logistikunternehmens Hasenkamp, das etwa auf den Transport von Kunst- und Kulturgütern, auf Umzüge sowie auf Logistikdienstleistungen für komplexe und sensible Technologien spezialisiert ist. Zu den Kunden von Hasenkamp zählen beispielsweise staatliche Museen und Behörden aus Kommunen, Land oder Bund. Für Unternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen, soll es bald neue Vorschriften geben. Die Koalition plant das sogenannte „Tariftreuegesetz“, das sicherstellen soll, dass die Beschäftigten in der Privatwirtschaft, die öffentliche Aufträge abarbeiten, tarifvertraglich bezahlt werden. Das wird zu noch mehr Bürokratie führen. 

Um was geht es?

Das Bundesarbeitsministerium hat vor Kurzem den Entwurf eines Tariftreuegesetzes vorgelegt.  Das Kabinett will darüber bereits am 6. August beraten, danach befassen sich Bundestag und Bundesrat mit der Vorlage. Ziel der Regierung ist, die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte zu verbessern. Dies mag sich gut anhören, doch wird das mit immer mehr Vorschriften und Auflagen erreicht? 

Der Gesetzentwurf verpflichtet Unternehmen, die sich auf staatliche Aufträge ab 50.000 Euro bewerben, tarifvertragliche Bedingungen, wie Tariflöhne, Weihnachtsgeld, Urlaubsansprüche, Ruhezeiten und Ruhepausenzeiten auch dann einzuhalten, wenn sie nicht tarifgebunden sind. Es gibt zum Beispiel im Mittelstand und bei Start-ups viele Unternehmen ohne Tarifbindung. Tarifverträge gelten nur für knapp ein Viertel aller Unternehmen und etwa die Hälfte der Beschäftigten. Das Tariftreuegesetz will das ändern: Es soll auch für Subunternehmer gelten, allerdings nicht für Aufträge der Bundeswehr. Im militärischen Bereich soll es schließlich schnell gehen und die Genehmigungsverfahren schlanker werden. Hier fragt man sich: Wäre das nicht ein Ziel, das der Staat für alle Wirtschaftsbereiche verfolgen sollte? 

Dies sieht das Bundesarbeitsministerium anders. Es will in einer Rechtsverordnung festlegen, welche Bedingungen für welche Aufträge sowie Branchen eingehalten werden müssen. Die Unternehmen müssen dokumentieren, dass sie sich bei der Durchführung des staatlichen Auftrags an die Tarifbedingungen halten und ihre Mitarbeiter über die Konditionen informieren. Eine neue Behörde, die bei der Deutschen Rentenversicherung eingerichtet werden soll, soll die Unternehmen anlassbezogen kontrollieren. 

Weniger Bürokratie? Nein, mehr!

Dies würde bedeuten, dass nicht-tarifgebundene Unternehmen, die am Vergabeverfahren teilnehmen wollen, stundengenaue Lohn-, Urlaubs- und Arbeitszeitabrechnungen in die Kalkulation einstellen und nachweisen müssten. Dies wäre extrem aufwendig, weshalb damit zu rechnen ist, dass sich noch weniger Betriebe auf staatliche Aufträge bewerben. Dies dürfte insbesondere für mittelständische Betriebe und solche aus Ostdeutschland gelten. Allein die Ankündigung, dass eine neue Kontrollinstanz geschaffen wird, lässt viele Familienunternehmer den Kopf schütteln. Hat die Bundesregierung nicht weniger statt mehr Bürokratie versprochen? 

Das geplante Gesetz betrifft auch Unternehmen wie Hasenkamp, die eigene Haustarife haben.  „Wir haben schon lange einen eigenen Haustarif entwickelt, der unsere Mitarbeiter fair und überdurchschnittlich vergütet. Wenn das nicht so wäre, hätten wir eine hohe Fluktuation, was aber nicht der Fall ist“ sagt der Unternehmer Schneider. Den von der neuen Bundesregierung avisierten Bürokratieabbau kann er nicht erkennen. Im Gegenteil, denn neben der Tatsache, dass die entsprechenden Nachweispflichten bei den Behörden für die jeweiligen Mitarbeiter erbracht werden müssen, ist es ebenfalls vorgesehen, dass wir dies auch für unsere Nachunternehmer erbringen sollen. Für diesen zusätzlichen bürokratischen Aufwand müssten auch neue, zusätzliche Kapazitäten im Unternehmen aufgebaut werden. Er meint: Schade, dass wir in Deutschland hier wieder einen Weg einschlagen wollen, der am langen Ende nur zusätzliche Kosten verursacht und weitere Administration entstehen lässt.

Wenn Unternehmen das Tariftreugesetz nicht einhalten, müssen sie mit Vertragsstrafen zwischen ein und zehn Prozent des Auftragswerts rechnen. Das sind empfindliche Strafen. 

Heute ist Bürokratie-FREI-Tag: Gisela Meister-Scheufelen, „Miss Bürokratieabbau“ von der Stiftung Familienunternehmen und Politik, stellt absurde bürokratische Hemmnisse vor, die Zeit, Nerven und Geld kosten. 

Die Verfassungsmäßigkeit ist zweifelhaft

Unternehmen, die sich - in der Regel aus Kostengründen - gegen eine Mitgliedschaft in einem Arbeitsgeberverband entscheiden und deshalb an Tarifverträgen auch nicht mitwirken, werden gezwungen, die Tarifvereinbarungen zu übernehmen. Dies stellt einen staatlichen Eingriff nicht nur in die Tarifautonomie dar, sondern auch in die unternehmerische Freiheit.  Diese ist ebenso grundgesetzlich garantiert und bedeutet, dass Unternehmer darin frei sind, innerhalb des gesetzlichen Rahmens (Mindestlohngesetz, Urlaubsgesetz, Arbeitszeitgesetz etc.) die Arbeitsbedingungen im Betrieb festzulegen. Der Eingriff ist erheblich, da das Auftragsvolumen öffentlicher Aufträge des Bundes bei jährlich immerhin knapp 40 Milliarden Euro liegt. Hinzu kommt das kreditfinanzierte „Sondervermögen“ für Infrastrukturmassnahmen in Höhe von 500 Milliarden Euro, das innerhalb von zwölf Jahren investiert werden soll.    

Bürokratievermeidung heißt vor allem, dass ein Gesetz praktikabel sein muss

Die Praktikabilität des Gesetzes ist zu bezweifeln, da die Einhaltung der Tarifbedingungen nur für die Dauer des staatlichen Auftrags und nur für die Arbeitnehmer gilt, die den Auftrag ausführen. Dies kann dazu führen, dass Arbeitnehmer eines Betriebs zeitweise für gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt werden. Das stört den Betriebsfrieden und kann unnötige Arbeitsprozesse zur Folge haben. Wenn Mitarbeiter nur zum Teil an staatlichen Aufträgen arbeiten und zum Teil Privataufträge erledigen oder Mitarbeiter sich krankheitsbedingt vertreten, sind die Abrechnungen für den Arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, praktisch nicht leistbar. Es kommt hinzu, dass sie Tarifvertragsregelungen, die ihnen nicht vertraut sind, für jeden Arbeitnehmer gesondert anwenden müssen.

Überbordende Dokumentationspflichten

Erneut zeigt sich, dass den Unternehmen misstraut wird und Dokumentationspflichten einem Verstoß gegen das Gesetz vorbeugen bzw. ihn erschweren sollen. Pikanterweise handelt es sich hier auch noch um einen Vertragspartner der öffentlichen Hand, also um privatwirtschaftliches und nicht hoheitliches Handeln. Bei Zuwiderhandlung droht dem Unternehmen eine „Vertragsstrafe“, die es aber nicht etwa bei Schlechtleistung zahlen muss, sondern bei Verletzung von Arbeitnehmerschutzregeln. Der Staat vermischt hier Gemeinwohlinteressen und fiskalisches Handeln.

Es soll eine neue Behörde gegründet werden

Dafür soll eine neue Prüfstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Bund errichtet werden.  Doch das passt nicht in die Zeit.  Die seit Jahren geforderte und mehr als notwendige Staatsreform verlangt die Reduzierung von Behörden und Aufgaben sowie die Bündelung von Zuständigkeiten. Jetzt ist exakt das Gegenteil geplant.