Tabuthema Tod: Peitingerin begleitet junge Menschen bei der Trauerbewältigung

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Schongau
  4. Peiting

KommentareDrucken

Über den Wolken. (Symbolfoto) © Regina Wahl-Geiger

In der Serie „Hinter dem Horizont“ kommen Menschen zu Wort, die oft mit dem Tod konfrontiert werden. Heute Jessica Ehrlicher, die ehrenamtlich junge Menschen begleitet, die Trauer zu bewältigen haben.

Peiting – Andere Menschen machen Bungee-Jumping oder Computerspiele in ihrer Freizeit, Jessica Ehrlicher beschäftigt sich mit dem Tod. Sie arbeitet seit fast zehn Jahren ehrenamtlich beim Verein „Marienkäfer“ mit, der im Jahr 2012 gegründet wurde, um Kinder und Jugendliche vor, während und nach dem Tod eines Elternteils zu begleiten. Inzwischen wurde das Betätigungsfeld auf das ganze Familiensystem und junge Menschen erweitert, die von schweren Verlusterfahrungen betroffen sind. „Unsere Hauptaufgabe sehen wir darin, die Trauer wieder gesellschaftsfähig zu machen und ein Grundwissen und Verständnis für die Trauer von Kindern und Jugendlichen zu schaffen“, sagt Jessica Ehrlicher über den Verein, der ursprünglich in Aidenried angesiedelt war und nun seinen Sitz in Riegsee hat.

„Marienkäfer wurde von Gudrun Huber gegründet, die in der Krisenintervention tätig war und erlebt hat, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen oft übersehen werden und es auch kaum Anlaufstellen gibt, wenn die Mutter oder der Vater in einer Familie sterben. Sie erfuhr zum Beispiel von einem Buben, dessen Mutter im Krankenhaus im Sterben lag, wovon er aber nichts wusste. Ihm war gesagt worden, es gehe ihr besser und sie werde wieder gesund. Auch als die Mutter gestorben war, sagte dem Buben zunächst keiner, was passiert war. Später meinte der Bub, dass die Lügen der Erwachsenen das Schlimmste waren. Nach solch einem Umgang mit dem Tod eines Elternteils müssen Kinder und Jugendliche oft zusätzlich zur Trauer noch mit immenser Verunsicherung zurechtkommen. Um ein Trauma zu vermeiden, ihnen beizustehen und sie in schwierigen Zeiten zu begleiten, wurde „Marienkäfer“ ins Leben gerufen.

Jessica Ehrlicher will den Tod und das Sterben aus der Tabuzone holen

Seit Jessica Ehrlicher im Jahr 2015 mit dem Verein in Kontakt kam, engagiert sie sich ehrenamtlich und „mit Herzblut“ für die Belange von jungen Menschen, die mit einem schweren Verlust zu kämpfen haben. Es ist ihr wichtig, den Tod und das Sterben aus der Tabuzone herauszuholen, in die sie ihrer Beobachtung nach oft gesteckt werden. Ihrer Ansicht nach braucht es einen anderen Umgang diesen Themen: „Ich wünsche mir, dass über Sterben und Tod genauso frei und offen gesprochen wird, wie über eine Geburt. Beides gehört zum Leben“, sagt Jessica Ehrlicher. Sie ist überzeugt davon, dass Kinder und Jugendliche einen anderen Zugang zum Lebensende und dem Tod finden könnten, wenn sich ihre Eltern offen damit auseinandersetzen und darüber reden würden.

Ihrer Ansicht nach ist es damit noch nicht getan: Sie wünscht sich, dass Erwachsene Kinder dazu einladen, dem Tod zu begegnen. Das beginne mit einer kindgerechten und offenen Kommunikation über Krankheiten. „Die Begegnung mit Sterbenden am Sterbebett zählt dazu und sich von den Verstorbenen zu verabschieden und sie zu berühren. Denn Berühren heißt Begreifen. Wenn Kinder den Tod begreifen, unterstützt es sie auch darin, die Endlichkeit des Lebens zu verstehen“, sagt Jessica Ehrlicher.

Ihrer Erfahrung nach trauern Kinder und Jugendliche anders als Erwachsene. „Kleinere Kinder sind absolut im Hier und Jetzt. Sie haben noch kein Zeitgefühl und können weder den Tod noch die Endlichkeit begreifen“, sagt die Peitingerin. Das gelte auch, wenn die Mutter oder der Vater eines kleinen Kindes sterben. Das kann dann ihrer Beobachtung nach bei einem Todesfall in der Familie Unverständnis hervorrufen. „Für Erwachsene ist Freude und Lebendigkeit nach einer Verlusterfahrung oftmals schwer zu ertragen“, sagt Jessica Ehrlicher.

Kleinere Kinder – etwa bis zum Grundschulalter – hätten auch eine ganz sichere Vorstellung davon, was nach dem Tod kommt beziehungsweise, wo sich der Tote befindet. „Jedes Kind kennt den Platz, an dem der Verstorbene ist“, sagt Jessica Ehrlicher. Wenn sie oder die anderen Begleiter von „Marienkäfer“ in eine Familie gerufen werden, nachdem ein naher Angehöriger gestorben ist, dann ließen sie das betroffene Kind aufmalen, wie es sich den Ort vorstellt, an dem die Mama oder der Papa jetzt sind.

„Viele sprechen mit den Verstorbenen.“

Da würden die erstaunlichsten Plätze, wie zum Beispiel eine Achterbahn, ein Trampolin oder ein Strand gezeichnet, erzählt Jessica Ehrlicher – oft in einem Himmel, von dem die Kinder von den Erwachsenen im Umfeld hörten: „Die Kinder malen einen Ort, an dem sie den Verstorbenen sicher aufgehoben wissen. Sie sehen mit dem Herzen.“

Etwa im Alter von acht Jahren ändere sich die kindliche Sichtweise auf den Tod, sagt die Peitingerin. „Ab diesem Alter vermischen sich die Phantasie und die Realität.“ Jugendliche bekämen das Wissen, dass der Tod jeden treffen könne. Da brauche es oft ein offenes Gesprächsangebot, wenn der Vater oder die Mutter gestorben seien. Die Schwierigkeit sei mitunter, dass die Buben und Mädchen nach außen hin so funktionieren wie vor dem Todesfall. „Sie wollen dem überlebenden Elternteil keine Probleme machen und nicht auffallen. Und sie wollen den Verstorbenen stolz machen“, erzählt Jessica Ehrlicher.

Die meisten Jugendlichen seien sehr klar in dem, was sie im Trauerfall über den Tod und den Toten denken. „Sie haben ihre eigenen Bilder und kommen über ihre Herzensbindung mit den Angehörigen in Kontakt“, so Jessica Ehrlicher. Ein Bub habe ihr zum Beispiel erzählt, dass er seinen Papa spüre, wenn er die Augen schließe. „Viele sprechen mit den Verstorbenen.“

Jessica Ehrlicher sieht es als Bereicherung, sich bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit mit jungen Menschen, die sich in einem Trauerprozess befinden, über den Tod, das Sterben und das Danach austauschen zu dürfen. „Kinder und Jugendliche haben unheimlich viel dazu zu sagen. Ich empfinde es als Geschenk, ihnen zuhören zu dürfen.“

Alle News und Geschichten sind auch auf der Facebook-Seite der Schongauer Nachrichten zu finden.

Auch interessant

Kommentare