21. Juli 1944: Als der Luftkrieg Gauting erreichte
Die Gemeinde gedenkt an diesem Sonntag der Toten des Bombenangriffs vom 21. Juli 1944. Dabei starben insgesamt 36 Menschen.
Gauting – Am 21. Juli 1944 erlebte Gauting die ganze Brutalität des Krieges. Bei einem Bombenabwurf starben Dutzende von Menschen, viele von ihnen in einem Luftschutzraum der Firma Rößler an der Münchener Straße. An diesem Sonntag, 21. Juli, gedenkt die Gemeinde anlässlich der 80. Wiederkehr gemeinsam mit den Pfarreien ab 11.30 Uhr in St. Benedikt in einem ökumenischen Gedenk- und Friedensgottesdienst der Toten. Über die Ereignisse dieses schwarzen Tages in der Geschichte Gautings sprach Volker Ufertinger mit Archivarin Regine Hilpert-Greger.
Frau Hilpert-Greger, was genau ist am 21. Juli 1944 passiert?
Am 21. Juli flogen als Teil eines breitgefächerten Angriffs 193 amerikanische B24-Bomber von Norden in Richtung München. Hauptziele waren Fabriken, die Rüstungsgüter herstellten wie BMW in Neu-Aubing und Dornier in Oberpfaffenhofen. Ins Visier genommen wurden auch Betriebe chemischer Industrie (Raketentreibstoff für die V2) sowie Rangierbahnhöfe zur Zerstörung der Infrastruktur. Die Gegenwehr fiel wohl unerwartet heftig aus, was die Zielrichtung und Zielgenauigkeit der Angriffe beeinträchtigte. Aus einem Verband von fünf oder sechs Flugzeugen wurde eine Maschine entweder von der Kraillinger Batterie getroffen oder hatte sonstige technische Schwierigkeiten. Sie flog tiefer, gab „Abwurfzeichen“ und löste einen Notabwurf aus. Daraufhin entledigten sich auch die anderen Flugzeuge ihrer restlichen Bombenlast.
Lässt sich beziffern, wie viele Menschen starben? Wer waren die Opfer?
Laut amtlicher Aufzeichnungen starben insgesamt 36 Personen direkt oder erlagen später ihren Verletzungen. So verstarb der 86-jährige Simon Ruhdorfer erst im November 1944 an den Spätfolgen seiner Verletzungen. Die Opfer stammten aus Gauting, dem Kreis Starnberg und München. Ihr Alter reichte von 4 bis 86 Jahren. Bei den 23 Toten im Luftschutzraum der Firma Rößler handelte es sich um fünf Familienmitglieder, eine Nachbarin mit ihrem Sohn, ein Münchner Ehepaar auf Besuch, zwei Zwangsarbeiter sowie vier minderjährige Lehrlinge und weitere Angestellte aus umliegenden Orten.
Wie viele Zwangsarbeiter sind unter den Opfern?
Amtlich bestätigt sind die Zwangsarbeiter Giorgio Santini aus Italien und Arsene Flandrin aus Belgien, die bei der Firma Rößler gearbeitet haben und mit im Luftschutzraum saßen. Dazu kam in der Spundfabrik Ruhdorfer der Kriegsgefangene Marcel Foucand.
Wo haben die Bomben überall eingeschlagen? Wie groß waren die Verwüstungen?
Die 25 mir bekannten Einschläge umfassten ein Gebiet zwischen Grubmühler Feld im Norden, von West nach Ost zwischen Bergstraße und Frühlingsstraße und im Süden bis zur Münchener und Planegger Straße. Die Schäden reichten von der völligen Zerstörung bis zu leichten Beschädigungen am Mauerwerk oder zerbrochenen Fensterscheiben. Insgesamt sollen über 100 Sprengbomben gefallen sein, von denen etliche als Blindgänger im Schwemmgebiet an der Würm landeten. Die Zünder waren auf Zeitverzögerung eingestellt, sodass die Bombe einschlug und erst in der Tiefe explodierte. Das schränkte die Breitenwirkung im Gelände ein, führte aber wie im Fall der Feinmechanischen Werkstätte Rößler dazu, dass ein Volltreffer das ganze Haus durchschlug und dann den Luftschutzraum im Keller komplett zerstörte. Die Sprengkraft war groß genug, dass ein Treffer zwischen den beiden Häusern der Schloßstraße 5 und 7 zum kompletten Einsturz der Hausnummer 5 und starken Beschädigungen am Haus Nr. 7 führte. Auch die Werkstätte der Firma Rößler in der Münchener Straße 27, die Spundfabrik Ruhdorfer in der Planegger Straße 13, die Häuser Hangstraße 6 und 8 und Vorder- und Rückgebäude in der Planegger Straße 20 wurden weitgehend zerstört. 18 Gautinger wurden obdachlos und unter anderem im Schulhaus notdürftig untergebracht.
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Gab es in Gauting Rüstungsindustrie, auf die es die Flieger abgesehen haben könnten? War etwa die feinmechanische Fabrik Rößler, in der eine Bombe einschlug, an der Rüstung beteiligt?
Die Geschehnisse des 21. Juli 1944 waren kein gezielter Angriff, sondern das schreckliche Ergebnis von ungeplanten Bombenabwürfen. Die Firma Rößler stellte feinmechanische Teile für die Rüstung her, war aber für eine gezielte Aktion nicht relevant genug.
Was weiß man über die Toten? Welche Schicksale verbergen sich hinter den Namen?
Jedes Opfer hat seine eigene Geschichte, und jeder Verlust ist für die Hinterbliebenen eine Tragödie. Zu nennen sind hier die Schicksale der Familien Schmautz und Schwarz in der Schloßstraße 5. Die Eltern Schmautz starben und hinterließen sechs minderjährige Kinder, die auf verschiedenen Bauernhöfe aufgeteilt werden mussten. Von der sechsköpfigen Familie Schwarz überlebte als einziger der zehnjährige Sohn Josef. In der Schloßstraße 7 überlebte Katharina Howascher schwerverletzt, während sich ihr Mann Alfons mit dem Pferdegespann auf der Planegger Straße gerade auf der Höhe der Spundfabrik befand, als es dort zum Einschlag kam, bei dem er verstarb. In der Feinmechanischen Fabrik Rößler ließen die 17-jährige Wilhelmine Witt und ihr 15-jähriger Bruder Kurt ihr Leben. Sie waren aus Essen nach Unterbrunn geflohen, um den Bombenangriffen zu entgehen. Außer Kurt Witt starben noch drei weitere jugendliche Lehrlinge aus Percha und Leutstetten.

Gibt es noch Überlebende des Bombenangriffs?
Tatsächlich leben noch fünf der sechs Kinder der Familie Schmautz, die inzwischen alle über 90 sind.
Die Nazis haben die Beerdigung der Toten für Propagandazwecke genutzt. Wie muss man sich das vorstellen?
Die Verstorbenen wurden offiziell nicht als Kriegs- oder Bombenopfer, sondern als Terroropfer oder als Gefallene bei einem feindlichen Terrorangriff bezeichnet. Entsprechend war auch die Inszenierung auf dem Waldfriedhof. Die vordere Wand des Leichenhauses wurde mit einem großen schwarzen Tuch mit Hakenkreuz verhängt. Davor standen die Särge in Reih und Glied, jeweils ebenfalls mit schwarzem Tuch und Hakenkreuz bedeckt.
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Vor jedem Sarg stand der gleiche kleine Kranz. Eine Blaskapelle spielte, Fahnenabordnungen säumten die Szene. Die aufgestellten Stühle reichten für die große Menge der Besucher nicht aus. Auf einem Bild ist zu sehen, wie für die Verstorbenen die Arme zum Hitlergruß erhoben werden.
Am Sonntag findet um 11.30 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst in St. Benedikt statt. Was ist dort geplant?
Im Gottesdienst werden die Namen der Opfer von Jugendlichen verlesen. Darüber hinaus wird auf Stellwänden im Vorraum der Pfarrkirche eine Karte mit den Einschlagstellen und Fotos der betroffenen Häuser gezeigt. Es gibt einen kurzen Text zu den Ereignissen und die Liste der Opfer, die aus den amtlichen Quellen zu recherchieren war.
Die Namen der Toten
Else Bauer, Arsene Flandrin, Marcel Foucand, Willibald Geitner, Victoria Gleixner, Berta Hecht, Alfons Howascher, Martin Käser, Heinz Krieger, Frida Manhard, Johann Manhard, Andreas Mayr, Anton Mehlhardt, Josef Rattenberger, Ludwig Rößler sen., Katharina Rößler, Ludwig Rößler jun., Franz Rößler, Mathilde Rößler, Christa Rößler, Simon Ruhdorfer, Giorgio Santini, Georg Schmautz, Johanna Schmautz, Anna Schneider, Alois Schwarz, Viktoria Schwarz, Alois Schwarz, Annemarie Schwarz, Benedikt Schwarz, Berta Stegmann, Rudolf Waller, Hugo Wappenschmid, Barbara Wappenschmid, Kurt Witt, Wilhelmine Witt.