„Spielen ein zynisches Spiel“: Und plötzlich ist Europa der Klima-Bösewicht

Etwas Historisches sollte an diesem Dienstagnachmittag im Presseraum PC1 hier in Belém passieren. So lautete zumindest die Hoffnung der Europäer. Eine Allianz von insgesamt 80 Staaten forderte dort in einem spontan anberaumten Pressetermin, auf der gerade laufenden Weltklimakonferenz (COP30) einen Fahrplan zum Ausstieg aus den fossilen Energien vorzubereiten. Die Welt müsse sich von Öl, Gas und Kohle „befreien“, sagte Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD).

Neben den europäischen Staaten waren auch Länder wie Kolumbien, Sierra Leone und die Marshall-Inseln auf dem Podium vertreten. Die Botschaft: Seht her, nicht nur die reichen Europäer wollen den Ausstieg. „Hier sprechen der globale Norden und der globale Süden mit einer Stimme“, betonte der britische Außenminister Ed Miliband. 

Den Druck abgeschmettert

Die Aktion verlieh einer bis dato zäh verlaufenden Weltklimakonferenz neue Energie. Angesichts der geopolitischen Lage erwartete niemand von dieser COP einen großen Durchbruch, aber plötzlich schien ein gewaltiger Erfolg in Reichweite zu sein. Brasiliens Präsident Lula brachte während seiner Eröffnungsrede den sogenannten TAFF-Plan („Transition Away From Fossil Fuels“) überraschenderweise zurück ins Spiel, die 80 Rebellen-Länder nahmen den Ball dankbar auf. Könnten sich die restlichen Länder und die COP-Präsidentschaft des brasilianischen Klimadiplomaten André Corrêa do Lago dieses Drucks wirklich erwehren?  

Die Antwort lautete: Ja. Der am Samstagabend deutscher Zeit in Belém verabschiedete Konferenzbeschluss nimmt auf den TAFF-Plan keinen Bezug mehr. Stattdessen werde es einen separaten Fahrplan zum Ausstieg aus den fossilen Energien geben, kündigte do Lago an, beginnend mit einer eigenen Konferenz im nächsten Frühjahr in Kolumbien. Teilnahme: freiwillig. 

Blockade in der Nacht

Mehr war für die europäischen Länder nicht drin auf dieser Klimakonferenz, wo jeder Beschluss einstimmig gefasst werden muss. Der Widerstand einiger der 194 teilnehmenden Länder war zu groß. Dem Vernehmen nach haben Russland, China, Saudi-Arabien und Nigeria der COP-Präsidentschaft in der Nacht zum Sonntag eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie keinen Beschluss mittragen würden, der einen verpflichtenden Ausstieg aus den fossilen Energien vorsieht.

Die Motive für die Blockadehaltung waren unterschiedlich. Russland, die Saudis und auch Staaten wie das ölreiche Nigeria verdienen gutes Geld mit dem Export fossiler Energien – ein Geschäftsmodell, dessen Lebensdauer man nur ungern verkürzen möchte. China ist zwar der weltweite Champion für grünen Strom, benötigt aber wegen seines gewaltigen Energiehungers nach wie vor Kohlekraftwerke. Und Schwellenländer wie Indien, ebenfalls ein TAFF-Gegner, sehen fossile Energien als notwendige Brücke für Wohlstand und Entwicklung an. Das Argument: Der globale Norden ist doch selbst durch Kohle, Öl und Gas reich geworden.

„Sie müssen auch mit uns kämpfen“

Auch darüber hinaus erhielt die TAFF-Gruppe weniger Unterstützung als erhofft. Umweltminister Schneider sagte am Ende der Konferenz, dass er insbesondere „von den am meisten betroffenen Ländern – Inselstaaten, Afrika – auch eine lautere Stimme für das Thema Klimaschutz“ erwartet hätte. Diese Staaten müssten erkennen, „dass sie uns an der Seite haben, dass sie aber mit uns auch dafür kämpfen müssen.“

Die Enttäuschung basiert auf Gegenseitigkeit. Denn beim Thema Geld, das den Entwicklungs- und Schwellenländern am wichtigsten war, schaltete wiederum Europa auf Blockadehaltung. Beim Thema Anpassung an die Folgen des Klimawandels, lebenswichtig etwa für die pazifischen Inselstaaten, beschloss diese COP zwar eine Verdreifachung der bisherigen Mittel von 40 auf 120 Milliarden Dollar – allerdings erst bis zum Jahr 2035. Das ursprünglich anvisierte Jahr 2030 war mit den westlichen Industriestaaten nicht zu machen. Bei den „Just Transition“-Programmen, die eine sozial gerechte Klimawende im globalen Süden sicherstellen sollen, bremsten die reichen Länder ebenfalls, was finanzielle Zusagen angeht. 

Zur Kenntnis genommen wurde auch, wie zögerlich die Europäer sich am Regenwaldfonds TFFF beteiligten, dem Leuchtturmprojekt der brasilianischen Gastgeber. Der Fonds soll private und öffentliche Gelder zum Schutz der Regenwälder mobilisieren, wurde aber zum Flop: Von den ursprünglich anvisierten 25 Milliarden Dollar kamen nicht einmal sieben Milliarden zusammen. Norwegen knüpfte seine Zahlung an Bedingungen, Deutschland konnte erst vor wenigen Tagen eine Summe nennen (eine Milliarde Euro über zehn Jahre), Frankreich und Großbritannien gaben keine feste Zusage. Die anderen europäischen Staaten hielten sich komplett heraus. 

Der Amazonas schlängelt sich durch den Regenwald
Blick auf das Amazonasgebiet: Initiativen wie der TFFF-Fonds sollen den Regenwald künftig vor Abholzung beschützen Getty Images

Als Bösewicht gebrandmarkt

Staaten wie China und Saudi-Arabien fiel es da nicht schwer, die Europäer als „Bösewichter“ zu brandmarken, wie es in Delegationskreisen hieß. Einen ambitionierten Ausstieg aus den fossilen Energien einzufordern, sich aus der Finanzierung dieser Übergangsperiode aber stärker zurückziehen zu wollen – für viele außereuropäische Länder passte das nicht zusammen. „Mit der Abwesenheit der USA hatte die Europäische Union die Chance, die Führung zu übernehmen“, sagt der indische Klimaaktivist Harjeet Singh. „Stattdessen trat sie als primäre Blockiererin in das Vakuum und spielte ein zynisches Spiel der Schuldzuweisung, während der Planet brennt.“

Das Dilemma, in dem sich die europäischen Staaten befanden: Die großen klimapolitischen Ambitionen sehen sich derzeit leeren Haushaltskassen gegenüber. Gerade die Entwicklungsländer pochen aber auf möglichst verbindliche Zahlungen aus den Industriestaaten – ein Großteil der weltweiten CO2-Emissionen geht schließlich auf deren Konto. Für Europa werden die Weltklimakonferenzen also zunehmend zum Spießrutenlauf, aus dem man sich nur noch mit einer möglichst niedrigen Rechnung verabschieden will. 

Europa am Pranger

Das gilt auch für das Thema Handel, das in Belém erstmals auf einer Weltklimakonferenz zum Streitpunkt wurde. China und Saudi-Arabien stellten die EU für den geplanten Klima-Zoll CBAM an den Pranger, eine Art CO2-Abgabe auf klimaschädliche Güter, die in die EU eingeführt werden. Für innerhalb der EU produzierte Güter gilt bereits ein CO2-Preis in Form des europäischen Emissionshandels ETS; der CBAM soll für europäische Firmen also Chancengleichheit herstellen. 

Exportmacht China läuft schon seit Jahren Sturm gegen den Klimazoll, aber auch einige afrikanische Länder hatten Redebedarf bei der COP-Präsidentschaft angemeldet. Mit Erfolg: Der finale COP-Beschluss enthält ziemlich unverblümte Kritik an Instrumenten wie CBAM. Der Kampf gegen den Klimawandel „sollte nicht die Gestalt einer versteckten Einschränkung internationalen Handels annehmen“, heißt es im Beschluss. Nun soll ein Dialog unter Einbeziehung der Welthandelsorganisation WTO gestartet werden.  

Besser als vor zwei Tagen

Trotz allem: Dass sich 194 Staaten aus aller Welt am Ende auf einen gemeinsamen Beschluss einigen können, ist kein geringer diplomatischer Erfolg. Und der Klimagipfel in Belém brachte auch durchaus konkrete Ergebnisse: Die Verdreifachung der Mittel für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels ist für die ärmeren Länder der Erde eine spürbare Hilfe.

Themen wie der Schutz der Wälder, die Rechte der indigenen Bevölkerung und die Rolle kritischer Rohstoffe schafften es immerhin erstmals auf die Agenda. In Belém ist auch ein Prozess gestartet, der die unterschiedlichen CO2-Handelssysteme harmonisieren soll – klingt langweilig, könnte aber den Welthandel für immer verändern. 

Für die globale Zusammenarbeit beim Klimaschutz gebe es nun mal „keinen anderen Prozess“, betonte Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Klimaministerium und deutscher Chef-Verhandler auf der COP. Mit dem Beschluss von Samstag stehe die Welt immerhin besser da „als vor zwei Tagen“. In einem Jahr gibt es eine neue Chance: Dann startet die 31. Klimakonferenz in der türkischen Hafenstadt Antalya. Auch auf den nächsten Austragungsort konnte man sich in Belém immerhin einigen.