Deutschland stößt weniger als zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus – ein Bruchteil im Vergleich zu China (31 Prozent) oder den USA (14 Prozent). Da liegt eine Frage natürlich nahe: Warum sollen wir uns noch abmühen? Was macht es schon aus, wenn Deutschland einfach den Klimaschutz stoppt?“
Der Gedanke ist nachvollziehbar. Die wirtschaftliche Lage belastet viele Menschen. Politische Krisen, Kriege und Unsicherheiten setzen das Land zusätzlich unter Druck. Der Klimaschutz wird da oft zur Zielscheibe, zum Sündenbock für wirtschaftlichen Abschwung und steigende Energiepreise – Faktoren wie der russische Angriffskrieg in der Ukraine rücken aus dem Fokus.
Das Problem mit den zwei Prozent
Aber was ist dran an dem Zwei-Prozent-Argument? Es stimmt, Deutschland stößt im Vergleich zu den USA oder China nur wenige Emissionen aus. Die Realität ist allerdings komplexer:
- Viele Länder stoßen deutlich weniger aus, während Deutschland weltweit auf Platz 14 der größten Emittenten liegt. Innerhalb der EU ist Deutschland der größte CO2-Verursacher.
- Bei den Pro-Kopf-Emissionen liegt Deutschland mit rund acht Tonnen pro Person (Stand 2023) deutlich über dem globalen Mittel von 4,7 Tonnen.
- Deutschland zählt zu den größten historischen Emittenten. Diese Emissionen verbleiben Jahrzehnte in der Atmosphäre und prägen das globale Klima. Die Dürren in Afrika oder der Meeresspiegel-Anstieg im Pazifik gehen zum größten Teil auf diese Emissionen zurück.
„Geht Deutschland voran, folgen andere“
Auch deswegen schaut die Welt beim Thema Klima auf Deutschland. Als viertgrößte Industrienation gilt Deutschlands Handeln als Signal. „Geht Deutschland voran, folgen andere – zögern wir, nutzen andere das als Ausrede“, sagt die Klimaexpertin Linda Kalcher von der Brüsseler Denkfabrik Strategic Perspectives zu FOCUS online Earth.
Würde Deutschland also seine Klimapolitik abschwächen und zögerliche Signale senden, wäre das Klima noch nicht verloren. Aber warum sollten andere Länder, besonders ärmere Staaten und Schwellenländer, dann weiter engagiert bleiben? Auch China würde argumentieren, dass die Industrieländer als historische Emittenten mehr Verantwortung haben. Geographisch mag Deutschland klein sein – geopolitisch ist es in Sachen Klima aber größer, als sich vermuten lässt.
In diesem Jahr kommen die Staaten bei der UN-Klimakonferenz in Belém zusammen, um über den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise zu diskutieren.
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Deutschlands Greentech-Schatz
Hinzu kommt: Wenn Deutschland beim Klimaschutz auf die Bremse tritt, drohen massive wirtschaftliche Konsequenzen. Schon kurzfristig könnten Strafzahlungen an die EU fällig werden, wenn die sogenannten Sektorziele verfehlt werden. Gleichzeitig steigen die Belastungen für Verbraucher: Ab 2028 würden die CO₂-Preise im Kraftstoffbereich deutlich steigen – gerade in den Sektoren Verkehr und Heizen, wo Deutschland Nachholbedarf hat.
Auch international sind die Folgen spürbar. „Wer jetzt zögert, riskiert später nicht nur höhere Kosten, sondern auch Wettbewerbsnachteile“, warnt der Klimaforscher Niklas Höhne gegenüber FOCUS online Earth. Vor allem China erobert derzeit mit grüner Technik die globalen Märkte.
Dabei ist die Greentech-Branche bereits jetzt in Deutschland ein echter Wirtschaftsfaktor. Ob Erneuerbare Energien, Recycling oder digitale KI-Lösungen: Nach Angaben des Umweltbundesamtes wiesen die Unternehmen der Branche im Jahr 2023 insgesamt 3,4 Millionen Beschäftigte aus, der Beitrag zur deutschen Bruttowertschöpfung betrug neun Prozent, bei 4,7 Prozent jährlichem Wachstum seit 2010.
Klimawandel trifft die Wirtschaft direkt
Die Folgen des Klimawandels spüren Unternehmen und Verbraucher bereits heute. Zwischen 2000 und 2021 entstanden mindestens 145 Milliarden Euro Schäden – allein seit 2018 kamen 80 Milliarden Euro zusammen, berechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Besonders betroffen: Landwirtschaft, Industrie, Energieversorgung, Verkehrsinfrastruktur und Gesundheitswesen. Allein die Flut 2021 im Ahrtal verursachte mehr als 30 Milliarden Euro Schaden.
Gleichzeitig zeigt sich: Klimaschutz lohnt sich wirtschaftlich. Erneuerbare Energien sparen jährlich 26 bis 37 Milliarden Euro, etwa durch geringere Energieimporte und gesenkte Gesundheitskosten. „Klimaschutz ist nicht nur ökologisch notwendig und ethisch geboten, sondern auch volkswirtschaftlich vorteilhaft“, sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Die Frage ist nicht mehr, ob Deutschland sich ambitionierte Klimaziele leisten kann, sondern ob es sich leisten kann, bei der Umsetzung zu zögern.“
Auch hier gilt: Die Welt beobachtet Deutschland. „Wenn Industrienationen wie Deutschland zeigen, dass man Wirtschaftswachstum vom CO₂-Ausstoß entkoppeln kann, ist das ein starkes Signal“, sagt Kalcher. „Andere Länder sehen dann: ‚Wenn Deutschland es schafft, schaffen wir es auch.“
Der große Verfassungsbruch
Deutschland ist an nationale und internationale Klimaregeln gebunden. Bremst das Land massiv oder verlässt internationale Abkommen wie das Pariser Klimaabkommen, drohen erhebliche juristische Konsequenzen.
Auf nationaler Ebene könnten Bürger und Umweltverbände erneut Verfassungsbeschwerden einbringen – ähnlich wie schon 2021. Das Bundesverfassungsgericht hat damals klargestellt, dass das Klimaschutzgesetz ambitionierte Reduktionsziele enthalten muss. Werden diese nicht umgesetzt oder zurückgenommen, könnten Gerichte Nachbesserungen verlangen und die Regierung zu mehr Klimaschutz verpflichten. Schadenersatz- und Unterlassungsklagen von Unternehmen oder Einzelpersonen wären in Extremfällen möglich.
Milliarden-Strafen an Brüssel
International steht Deutschland vor ebenso klaren Risiken: Die EU bindet Deutschland an Vorgaben wie die Lastenteilungsverordnung oder die Effort-Sharing-Regulation. Nichteinhaltung kann zu Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und zu Milliarden-Strafzahlungen führen. Als Unterzeichner des Pariser Klimaabkommens ist Deutschland zudem völkerrechtlich verpflichtet, Minderungsmaßnahmen umzusetzen. Ein Rückzug oder massive Zielunterschreitungen könnten internationale Klagen, Sanktionen oder diplomatische Isolation nach sich ziehen.
Ein Rückzieher Deutschlands wäre „ein schwerer Schlag für das Land und die Glaubwürdigkeit Deutschlands“, sagt Kalcher. Deutschland stünde bei einer deutlichen Abschwächung oder einem Ausstieg aus der Klimapolitik nicht nur juristisch, sondern auch rechtspolitisch unter enormem Druck – mit sehr realen Folgen, die über nationale Grenzen hinausgehen.
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