Milliarden-Hammer: So viel Geld kriegen Sie, wenn die Richter den Soli kippen

Seit 34 Jahren gibt es den Solidaritätszuschlag, doch jetzt droht sein abruptes Ende. Sechs Bundestagsabgeordnete der FDP hatten 2020 beim Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt, dass die damalige Große Koalition die Abgabe nur für die untersten 90 Prozent der Einkommen abschaffte, Spitzenverdiener aber weiterhin zur Kasse gebeten werden. Ihrer Meinung nach widerspricht das dem Grundgesetz, weil der Soli eigentlich für die Aufbau der neuen Bundesländer gedacht war, der dafür notwendige Sozialpakt aber 2019 auslief. Die Diskussion um den Soli hatte auch in der Ampel-Regierung für Ärger gesorgt, da die FDP insgesamt dessen Abschaffung plant, während SPD und Grüne an ihm festhalten wollen.

Was ist der Solidaritätszuschlag überhaupt?

Technisch gesehen ist der Solidaritätszuschlag, kurz Soli, eine Ergänzungsabgabe. Das bedeutet, dass sich seine Höhe nicht nach dem Einkommen richtet oder pauschal erhoben wird, sondern abhängig von der Einkommensteuer ist. Damit ähnelt er etwa der Kirchensteuer. Er wurde 1991 für ein Jahr eingeführt, um zusätzliche Mittel für Ausgaben rund um den Zweiten Golfkrieg, die Unterstützung der neuen Bundesländer, aber auch armer Staaten in Südeuropa zu finanzieren. Nach dem einmaligen Intermezzo wurde er ab 1995 als feste Abgabe im Steuergesetz verankert. Bis 1997 betrug der Soli 7,5 Prozent der Einkommensteuer, seit 1998 sind es 5,5 Prozent. Unternehmen zahlen ihn ebenfalls als Ergänzung auf ihre Körperschaftsteuer.

Allerdings mussten ihn von Anfang an nicht alle Steuerzahler berappen. Er wurde bis 2020 erst fällig, wenn die Einkommensteuerlast bei mehr als 972 Euro pro Jahr für einen Single oder 1944 Euro für ein zusammen veranlagtes Paar lag. Diese Grenze hob die Große Koalition ab 2021 auf 16956 Euro Einkommensteuer für einzeln veranlagte Personen und 33912 Euro für zusammen veranlagte Paare an. Effektiv werden damit nur noch die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommenspyramide belastet – und Unternehmen. Single zahlen ihn noch ab einem Bruttoeinkommen von etwa 6700 Euro im Monat, Familien mit Kindern ab rund 12.000 Euro brutto pro Monat.

Warum klagt die FDP gegen den Soli für Spitzenverdiener?

Der Solidaritätszuschlag war in seiner Geschichte schon häufig umstritten. 2006 klagte der Bund der Steuerzahler vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen. Die Richter entschieden jedoch ohne Begründung, die Klage nicht anzunehmen. Danach beschäftigten sich verschiedene untere Instanzen mit dem Soli. Die Finanzgerichte Münster und Köln sahen ihn im Einklang mit dem Grundgesetz, das niedersächsische Finanzgericht nicht. Es rief erneut das Bundesverfassungsgericht an, um die Frage zu klären, ob eine Ergänzungsabgabe wie der Soli dauerhaft erhoben werden darf oder zeitlich befristet sein muss. 

2010 urteilten die Karlsruher Richter, dass eine Begrenzung nicht notwendig ist. Auch die Höhe des Soli wurde dabei als rechtens beurteilt. Die niedersächsischen Richter riefen das Bundesverfassungsgericht 2013 erneut mit Bitte um Prüfung an, welche erst zehn Jahre später zurückgewiesen wurde.

Verkappte Reichensteuer

Vergangenes Jahr beschäftigte sich dann der Bundesfinanzhof mit dem Soli. Das oberste deutsche Finanzgericht verhandelte über die Klage eines Ehepaares, das argumentierte, mit der Abschaffung der Abgabe für die untersten 90 Prozent der Einkommen sei er zu einer verkappten Reichensteuer verkommen. Das wiederum verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung. Die Richter am Bundesfinanzhof urteilten dagegen. Ihrer Meinung nach habe die Bundesregierung schlüssig darlegen können, dass mit dem Soli weiterhin Aufbauarbeiten in den neuen Bundesländern geleistet werden und dass deren Notwendigkeit aus der Wiedervereinigung noch lange bestehen wird. Dabei sei es generell auch erlaubt, solche Ergänzungsabgaben nur von Spitzenverdienern zu verlangen. Der Gleichheitsgrundsatz werde damit nicht beschnitten.

Nun muss das Bundesverfassungsgericht also erneut über den Soli entscheiden. In der Klage der FDP-Abgeordneten geht es diesmal um die Frage, ob der „Aufbau Ost“ 34 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht abgeschlossen sei und dem Soli damit die Berechtigung fehle. Sie machen das daran fest, dass 2019 der Sozialpakt II auslief, mit dem der Bund die Länder mit Milliardenzahlungen jedes Jahr für den Aufbau ihrer Wirtschaft unterstützte. Zudem klagen sie ebenfalls mit dem Argument, die Beschränkung auf Spitzenverdiener sei eine verkappte Reichensteuer und würde den Gleichheitsgrundsatz verletzen.

Wie viel Geld würde ich sparen, wenn der Solidaritätszuschlag abgeschafft wird?

Direkt würden Sie wahrscheinlich nichts davon bemerken. Aktuell zahlen wie erwähnt nur noch die obersten zehn Prozent der Einkommen den Soli, also die übergroße Mehrheit nicht. In Steuerklasse I wird er ab einem Bruttoeinkommen von etwa 84.000 Euro im Jahr fällig und beträgt dann nur 10,32 Euro pro Jahr. Singles mit einem Einkommen von 100.000 Euro würden rund 780 Euro sparen. Bei Paaren würde er erst ab einem zusammen veranlagten Einkommen von rund 140.000 Euro fällig. Dann würden Sie 298 Euro im Jahr sparen. 

Eine Familie mit zwei Kindern müsste bereits ein Bruttoeinkommen von 168.000 Euro im Jahr erreichen, um überhaupt Soli zu bezahlen. Sie würde dann rund 20 Euro im Jahr sparen. Diese Ersparnis steigt bei einem Einkommen von 200.000 Euro auf knapp 2800 Euro im Jahr.

Rückzahlungssumme schnell bei 1000 Euro und mehr

Hinzu kommen mögliche Rückzahlungen, falls das Bundesverfassungsgericht die ab 2021 gezahlten Abgaben als rechtswidrig erachtet. Dann müsste der Bund jedem Betroffenen den gezahlten Soli erstatten. 

Bei einem Single mit 84.000 Euro Jahreseinkommen in den Jahren 2021 bis 2024 wären das nur magere 41,28 Euro, doch es summiert sich schnell. Schon der Single mit 100.000 Euro Jahreseinkommen würde eine Rückzahlung von 3120 Euro erhalten. Paare mit 140.000 Euro Jahreseinkommen bekämen 1192 Euro zurück, Familien mit einem Jahreseinkommen von 200.000 Euro kämen auf 11.200 Euro.

Wie würde ich indirekt von der Soli-Abschaffung betroffen sein?

Indirekt hätte eine Abschaffung des Soli zwei Folgen: Erstens würden auch Unternehmen befreit. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schätzt die Entlastung auf 7 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe würde also theoretisch für Investitionen frei, auch in höhere Gehälter. Ob das wirklich passiert, ist aber unklar.

Es gäbe aber auch eine für Sie unschöne Folge: Dem Staat entgehen dadurch hohe Einnahmen. Allein in diesem Jahr werden sie auf 12,25 Milliarden Euro geschätzt, die dem Bundeshaushalt fehlen würden. Sollte des Bundesverfassungsgericht sogar eine Rückzahlung der seit 2020 entrichteten Abgaben anordnen, käme eine einmaliges Loch von 65 Milliarden Euro hinzu. Dieses Geld müsste finanziert werden, der Staat müsste also andere Einnahmequellen finden. 

Für Nicht-Soli-Zahler wäre Abschaffung der Abgabe teuer

Mutmaßlich würde dazu nicht eine andere Form einer Reichensteuer gehören und auch Unternehmen nicht extra belastet werden – sondern eben die 90 Prozent der Einkommensteuerzahler, die aktuell keinen Soli zahlen. Für alle Nicht-Soli-Zahler wäre eine Abschaffung der Abgabe also teuer. Ganz grob gerechnet gibt es in Deutschland 46 Millionen Steuerzahler. Würden die fehlenden 12,25 Milliarden Euro Einnahmen pro Jahr unter allen gleich aufgeteilt, müsste jeder einzelne Steuerzahler 266 Euro mehr pro Jahr bezahlen.

Effektiv würden die Kosten wohl sogar noch höher, denn wenn die Bundesregierung die Mehrkosten etwa durch eine Erhöhung der Einkommensteuer finanzieren würde, müsste sie die Hälfte der Einnahmen an die Bundesländer abgeben. Die Belastung müsste also doppelt so hoch liegen, damit der Bundeshaushalt ausgeglichen wird.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Bundesverfassungsgericht hatte im November 2024 die mündliche Verhandlung über den Soli begonnen. Eine Entscheidung wird nun am 26. März bekannt gegeben. Dass die Verfassungsrichter ihre Kollegen am Bundesfinanzhof überstimmen und der Argumentation der FDP folgen, der Soli verletze als verkappte Reichensteuer den Gleichheitsgrundsatz, ist sehr unwahrscheinlich. Abgaben nur für Spitzenverdiener sind vom Grundgesetz durchaus gedeckt.

Anders sieht es aber bei dem Argument aus, dass für den Aufbau Ost keine Sonderabgabe mehr fällig sei. Hier gibt es zwei kontroverse Auffassungen. Die Bundesregierung argumentiert, gestützt durch ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2020, dass die Wiedervereinigung den Bund pro Jahr weiterhin 13 Milliarden Euro koste. Zudem gebe es neue „Bedarfsspitzen“ wie den Ukraine-Krieg und den Klimaschutz. Davon abgesehen schreibe das Grundgesetz keine Zweckbindung für Abgaben vor.

Die Kläger hingegen argumentierten, der Soli sei eben mit einer solchen Zweckbindung eingeführt worden und müsse deswegen zeitlich begrenzt sein. Wenn eine einstige Bedarfsspitze wie der Aufbau Ost zu einer Daueraufgabe werde, müsse er eben auch aus den normalen Einnahmen des Bundeshaushalts getragen werden. Bei der mündlichen Verhandlung ließ sich noch nicht ablesen, welcher Seite die Verfassungsrichter eher folgen werden.