Russische Wirtschaftsexpertin: „Der Kreml benötigt einen ständigen Krieg“

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Moskau-Machthaber: der russische Autokrat Wladimir Putin (Archivbild) © IMAGO / ZUMA Wire

Der russische Präsident Wladimir Putin hat sein Land auf eine Kriegswirtschaft umgestellt – die laut einer Expertin „boomt“. Doch sie warnt auch: Nachhaltig sei diese Strategie nicht.

St. Petersburg – Kremlchef Wladimir Putin schwört sein Land nach mehr als zwei Jahren seines Angriffskrieges gegen die Ukraine auf einen Ausbau der Kriegswirtschaft ein. Dafür braucht er Geld, das wohl unter anderem durch eine Steuerreform kommen soll, bei der im kommenden Jahr der Spitzensteuersatz für Erwerbstätige und die Körperschaftsteuer für Unternehmen angehoben werden. Das hat zusammen mit der Wirtschaftsumstellung Konsequenzen.

Putin stellt auf Kriegswirtschaft um und kündigt Steuerreform an

Wladimir Putin kündigte die Steueränderungen zwar als Reform für mehr „Gerechtigkeit“ an, doch wahrscheinlich geht es ihm eher um die Einnahmen. So erklärte die Wirtschaftsexpertin Alexandra Prokopenko gegenüber dem Spiegel: „Es geht wohl eher darum, weitere Einkünfte für den Staatshaushalt zu erschließen.“ Denn: „Die wirklich Reichen, die nicht von Löhnen, sondern von Kapitaleinkünften und anderen Einkünften leben, werden von dieser Lohnsteuerreform nicht berührt. Ich sehe deshalb keine nennenswerte Reduktion der Ungleichheit.“

Der wichtigere Teil der Reform sei für sie sowieso die Erhöhung der Körperschaftsteuer für Unternehmen von 20 auf 25 Prozent. „Nach den Berechnungen des Finanzministeriums soll die Körperschaftsteuer allein zusätzliche 1,6 Billionen Rubel (etwa 16 Milliarden Euro) pro Jahr einbringen“, so die russische Expertin, die schon als Beraterin bei der russischen Zentralbank und der Higher School of Economics in Moskau gearbeitet hat.

Expertin Prokopenko: „Die russische Wirtschaft boomt“

Sie erwarte keinen Widerstand seitens der Unternehmen, solange die Regierung den Unternehmen nicht noch weitere Kosten zumute, sagte Prokopenko weiter dem Magazin. Der Grund: „Die russische Wirtschaft boomt im Moment aufgrund einer Kombination von Faktoren wie Staatsausgaben, Kreditimpulsen und Sanktionen, sowohl von russischer als auch von europäischer Seite.“

Und das trotz – oder wegen – der Umstellung auf die Kriegswirtschaft. Die Zahl der Unternehmen – auch im privaten Bereich – sei in den vergangenen beiden Kriegsjahren explosionsartig angestiegen, heißt es auch von der russischen Regierung. „Es gibt inzwischen mehr als 850 davon“, sagte Vizeregierungschef Denis Manturow. „Heute ist der militärisch-industrielle Komplex die Lokomotive der Wirtschaft“, sagte angesichts großer Geschäftsabschlüsse auch der Ökonom Pjotr Fradkow, Vorsitzender der Promsvyazbank und Sohn von Michail Fradkow, dem ehemaligen Regierungschef und Direktor des Auslandsgeheimdienstes SWR.

Putin „benötigt entweder einen ständigen Krieg oder ein gutes Exportportfolio für Rüstungsgüter“

Prokopenko warnt aber, dass der militärisch-industrielle Komplex als Motor des Wirtschaftswachstums seine Grenzen habe. „Man benötigt eine stetige Quelle der Nachfrage für diese Art von Produkten. Der Kreml benötigt also entweder einen ständigen Krieg oder ein gutes Exportportfolio für Rüstungsgüter.“ Allerdings sei Russland in diesem Bereich auch auf importierte Komponenten wie Mikrochips angewiesen, die durch die Sanktionen schwerer zu beschaffen seien, so die Expertin weiter zum Spiegel. „Ich halte die Wette der russischen Führung auf den militärisch-industriellen Komplex nicht für nachhaltig.“

Putins Steuerreform sieht sie aber nicht als „Zeichen der Verzweiflung“: „Es ist eine gut kalkulierte Anstrengung der Regierung, um den Staatshaushalt unabhängiger zu machen von volatilen Einnahmequellen“, so Prokopenko gegenüber dem Magazin. Sie warnt aber auch: „Letztlich wird sich der Kreml zwischen steigenden Militärausgaben und wachsenden Sozialleistungen entscheiden müssen.“ Mit Material der dpa

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