„Mittag gegen Putin“: Kreml-Kritiker erklärt Putins „ernsthafte Schwachstelle“
„Mittags gegen Putin“: Kreml-Kritiker erklärt Putins „ernsthafte Schwachstelle“
Russland hat laut Kreml-Gegner Chodorkowski eine Schwachstelle. Der Westen müsse darauf nun abzielen – und der externen Legitimität Putins so einen Schlag versetzen.
London – Er war einst der reichste Mann Russlands und lebt heute im Exil: Der frühere Oligarch Michail Chodorkowski ist seit Jahrzehnten ein scharfer Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zum zweiten Jahrestag des Ukraine-Kriegs äußerte sich der ehemalige Weggefährte Alexei Nawalnys deutlich zum System Putins. Die Macht des Kremlchefs sei eine persönliche Diktatur, schrieb der Oppositionelle in einem am Sonntag (24. Februar) veröffentlichten Gastbeitrag in der Bild. Doch das russische System habe noch immer eine ernsthafte Schwachstelle – im Hinblick darauf müsse der Westen jetzt handeln.
Kreml-Kritiker: Schwachstelle von Putins Russland hat zwei Komponenten
Putin kontrolliere die politische Macht, die Wirtschaft, die Medien und das Wahlsystem, schrieb Chodorkowski in seinem Bild-Beitrag vom Sonntag. Gegen die Opposition gehe der Kremlchef vor, indem er ein „kontrolliertes Rechtssystem und Sicherheitskräfte einsetzt und sogar für ihn gefährliche Gegner physisch eliminiert, wie im Fall von Boris Nemzow oder Alexei Nawalny.“ Der Oppositionspolitiker Nemzow hatte unter anderem den Slogan „Putin bedeutet Krieg“ vertreten und war im Jahr 2015 in Moskau erschossen worden. Der Hoffnungsträger der russischen Oppositionellen Alexei Nawalny starb im Straflager in Sibirien.
Noch immer habe Putin aber eine „ernsthafte Schwachstelle“, so Chodorkowski weiter. „Es ist die formale Legitimität, die er braucht, um seinen Machtanspruch geltend zu machen. Diese Legitimität setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: sichere Wahlsiege und die Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft – vor allem die westlichen Demokratien.“ Die Eliten in Russland sowie die Gesellschaft seien sich bewusst, dass das Wahlsystem vollständig kontrolliert werde. Das Ausmaß der Unzufriedenheit bleibe dadurch verborgen. Putins Legitimität beruhe darauf, „dass es keine Möglichkeit gibt, der Öffentlichkeit ein Bild der tatsächlichen Unterstützung für den Staatschef zu vermitteln“, glaubt der Kreml-Gegner.
„Mittags gegen Putin“: Chodorkowski ruft Anhänger dazu auf, in Wahllokale zu kommen
Kritische Stimmen in der russischen Öffentlichkeit sind größtenteils verstummt, die Repressalien sind zu groß: Kritiker des Ukraine-Kriegs etwa lässt Putin enteignen und bis zu 15 Jahre ins Gefängnis werfen. Doch Chodorkowski schlägt eine andere Art vor, um Putins Legitimität einen Schlag zu versetzen. „Wir rufen unsere Anhänger auf, an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Uhrzeit in die Wahllokale zu kommen. Das kann man nicht verbieten, das kann man nicht strafrechtlich verfolgen“, so der frühere Oligarch. Doch die Vielzahl der Menschen, die koordiniert in Wahllokale gehen, könne nicht übersehen oder anders interpretiert werden, so seine Hoffnung.
„Mittags gegen Putin“ (auch: „Mittag gegen Putin“)
Für die Präsidentschaftswahl in Russland am 17. März ruft die Opposition alle Gegner des Kreml-Chefs auf, genau um zwölf Uhr Mittag zu den Wahllokalen zu kommen. „Wir wollen einen Menschenauflauf produzieren“, sagte Jewgeni Nasyrow, der Koordinator von Alexei Nawalnys Bewegung in Deutschland, der Nachrichtenagentur AFP. „Selbst diejenigen, die nicht wählen, selbst wenn sie keine Russen sind“ – alle sollen zu „Mittags gegen Putin“ kommen. Auch Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja unterstützt die Aktion.

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Diese Aktion nenne sich „Mittags gegen Putin“ und auch Alexei Nawalny habe die Idee unterstützt, die Putins interne Legitimität angreife. Doch auch die externe Legitimität sei dem Kremlchef wichtig, behauptet Chodorkowski und nennt das Interview mit dem US-Moderator Tucker Carlson als Indiz. Der Westen habe nun eine einmalige Chance: „Man kann mit Putin über einen Waffenstillstand oder einen Geisel-Austausch verhandeln. [...] Aber man kann ihm nicht zu seiner Wahl zum Präsidenten Russlands gratulieren und ihm eine erfolgreiche Regierungszeit wünschen.“
Der Westen müsse „härter gegen einen Kriegsverbrecher und Mörder vorgehen“, fordert Chodorkowski, der dem Westen schon seit Langem eine zu weiche Haltung vorwirft. Würde beispielsweise US-Präsident Joe Biden die Präsidentschaft nicht anerkennen, oder sich dafür zumindest Zeit lassen, würde das Putin „nachhaltig schwächen“, sagte der Kreml-Kritiker unlängst auch in einem Interview mit dem Spiegel. Auch die Menschen im Land würden sich dann Fragen stellen. „Es ist eine Sache, auf Geheiß eines rechtmäßigen Präsidenten zu kämpfen und zu sterben, eine andere, wenn dieser Präsident nicht als rechtmäßig anerkannt ist“, so Chodorkowski weiter.
Kreml-Kritiker im Exil: Wie Chodorkowski Putin die Stirn bot
Was passiert, wenn man Putin die Stirn bietet, erfuhr Chodorkowski am eigenen Leib. Im Jahr 2003 führten der russische Präsident und der Unternehmer vor laufenden Kameras ein Streitgespräch. Der Chef des Öl- und Gaskonzern Yukos deutete darin an, der Kreml habe sich bei dem Erwerb einer Ölproduktionsfirma bereichert. Im Jahr 2006 wurde Chodorkowskis Yukos-Konzern für insolvent erklärt. Angeblich, weil der Geschäftsmann Milliarden Euro Steuern nicht gezahlt hatte. Das Unternehmen wurde zerschlagen und der frühere Oligarch kam für zehn Jahre ins Gefängnis. Wie ein internationales Schiedsgericht im Jahr 2014 feststellte, sei es dabei darum gegangen, „Chodorkowski als potenziellen Rivalen von Präsident Putin auszuschalten und sich das Eigentum von Yukos anzueignen“.
Am vergangenen Dienstag bestätigte ein Berufungsgericht in Amsterdam den früheren Yukos-Aktionären, dass Russland ihnen Schadenersatz in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar (etwa 46 Milliarden Euro) zahlen müsse. Heute wohnt der Kreml-Kritiker Chodorkowski in der britischen Hauptstadt London. Angesichts der bevorstehenden Wahlen in Russland hatte sich der frühere Oligarch hinter den Oppositionskandidaten Boris Nadeschdin gestellt. Dieser war jedoch vom Kreml nicht zur Wahl zugelassen worden. Putin ist die Wiederwahl sicher. Dafür hatte Russland unlängst die Verfassung umgeschrieben: Bis zum Jahr 2036 könnte der Kremlchef nun Präsident bleiben.