Hohe Verluste im Ukraine-Krieg: Russland bereitet „stille Mobilmachung“ vor

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Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu (rechts) beim Besuch eines Bombenherstellers in Nischni Nowgorod. © Vadim Savitsky/Russian Defence Ministry/TASS/Imago

Im Ukraine-Krieg hat Russland bereits Zehntausende Soldaten in den Tod geschickt. Doch Moskau sorgt immer weiter für Nachschub an der Front.

Russlands Stärke ist Europas Trägheit – so lässt sich die Situation in der Ukraine zwei Jahre nach der Vollinvasion der russischen Armee zusammenfassen. Nachdem der Regierung Wladimir Putins kurz nach dem 24. Februar 2022 klar geworden war, dass ein schneller Sieg nicht zu erwarten ist, wurde das Land im Eiltempo auf Kriegskurs umgestellt. Seitdem ist Russland der Ukraine und ihren Unterstützern stets einige Schritt voraus.

Zumindest kurzfristig hat Russland deshalb die Oberhand: An der Front konnte die russische Armee zuletzt leichte Geländegewinne vermelden, vor allem im Osten der Ukraine bei Awdijiwka. Wichtig ist hier aber weniger der konkrete, überschaubare Erfolg, sondern zwei andere Faktoren. Zum einen bezahlt Russland die Einnahme dieser ehemals 31.000-Einwohner-Stadt mit sehr hohen Verlusten. Nach Angaben eines pro-russischen Militärbloggers, der sich mit dem Verteidigungsministerium angelegt hatte, starben mindestens 16.000 russische Soldaten bei der Offensive auf Awdiijwka. Zum anderen binden die Kämpfe dort viele Kräfte der Ukraine, die sie im Süden des Landes nicht einsetzen kann.

Der Militärblogger Andrej Morosow, „Murs“, der über die hohen Verluste berichtete, hat in dieser Woche angeblich Suizid begangen. Zuvor hatte er sich, als Soldat vor Ort, öffentlich über die hohen Verluste und die unwahre Berichterstattung über die Frontlage an die Führungsspitze beschwert.

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Behörden bereiten eine Stille Mobilmachung vor

Russland gleicht die hohen Verluste mit einem stetigen Nachschub an frischen Kräften aus. Nach offiziellen Angaben seien allein in den ersten Monaten dieses Jahres mehr als 53.600 neue Soldaten an die Front gelangt. Die Zahl lässt sich nicht überprüfen. Nach Auskunft von drei Experten, mit denen Table.Media sprach und die in Russland wehrpflichtige Männer beraten, wie sie dem Kriegsdienst entkommen können, rekrutieren die Behörden aber hartnäckig weiter – vor allem in Strafkolonien und auch in Waisenhäusern.

Vor den Präsidentschaftswahlen Mitte März erwarten die Experten keine offizielle Mobilmachung. „Dafür bekommen jetzt alle wehrpflichtigen Männer einen Bescheid, dass sie sich im Falle einer Benachrichtigung innerhalb weniger Stunden bei entsprechenden Einheiten einfinden sollen. Dann muss noch nicht einmal eine Mobilmachung offiziell verkündet werden“, sagte eine Expertin.

Dass Russland weiterhin sein Ziel verfolgt, sich mindestens Teile der Ukraine ganz einzuverleiben, zeigen auch Berichte über die Versorgung von Russland mit Artilleriemunition und Raketen aus Nordkorea und dem Iran. Rund 400 iranische Raketen mit einer Reichweite bis zu 700 km sollen in Russland angekommen sein. Diese Nachricht konterkariert aber zugleich russische Behauptungen, wonach sie die Produktion von Raketen erheblich hochgefahren haben.

Beide Seiten setzen auf Zeit

Grundsätzlich fehlen der russischen Rüstungsbranche die Arbeitskräfte. Nach offiziellen Angaben betrug die zuletzt genannte Arbeitslosenquote 2,9 Prozent – was quasi bedeutet, dass es keine verfügbaren Arbeitskräfte mehr gibt. Die Rüstungsbranche sucht Kräfte für einfache bis hoch spezialisierte Tätigkeiten und konkurriert dabei mit dem Verteidigungsministerium. Nach Auswertung des unabhängigen russischen Mediums Cholod, müssen immer mehr Betriebe aus dem zivilen Sektor für die Armee produzieren, weil „die Nachfrage durch die Rüstungsbranche allein nicht gedeckt werden kann“.

Das zweite große Problem für Russland: die westlichen Sanktionen. Obwohl es Moskau gelingt, über Umwege genug elektronische Komponenten vor allem für den Raketen- und Drohnenbau einzuführen, sieht es mit schweren Waffen und gepanzerten Fahrzeugen deutlich schlechter aus. In diesem Punkt wendet sich das Blatt mittelfristig zugunsten der Ukraine, weil in der EU oder in der Ukraine die Produktion für Artillerie hochgefahren wird. Aktuell versuchen aber sowohl die russischen Besatzer wie die ukrainischen Verteidiger, den Status quo zu halten. vf

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