Erste Wende: Ukraine winkt erstmals seit 2022 Panzer-Vorteil über Russland

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Ausgedünnte Bestände: Die russischen Lager an Schützenpanzern BMP-1 bis 3 sind bis auf die Hälfte der ursprünglichen Menge zusammengeschrumpft. Die Lagerbestände aus Sowjetzeiten sind möglicherweise gar nicht mehr einsatzfähig (Archivfoto). © IMAGO / Evgeny Biyatov

Ukrainische Drohnen-Angriffe haben Putins Panzerwaffe ausgedünnt. Russland muss auf Infanteriekampf umstellen – und macht in der Rüstung neue Fehler.

Kiew – „Auch wenn ihnen möglicherweise die Infanterie fehlt, um große Gebiete zu halten, bleiben sie dennoch ein gewaltiger Gegner“, warnt der Blogger. Der anonyme russische Beobachter, den das Magazin Forbes zitiert, legt nahe, dass sich das Blatt im Ukraine-Krieg gewendet haben könnte. Wladimir Putins Invasionsarmee scheinen die Panzer auszugehen; beziehungsweise scheinen die ukrainischen Drohnen Russlands Panzerwaffe erfolgreich abgedrängt zu haben.

Forbes versteift sich deshalb zu der Aussage, eingangs des vierten Kriegsjahres könnte sich die Ukraine ein numerisches Übergewicht an Panzerfahrzeugen erkämpft haben. „Laut dem Blogger erreichen russische Panzer in allen Frontgebieten, in denen die Ukrainer zwei kompaniegroße Drohnengruppen mit jeweils mehreren Dutzend Soldaten stationiert haben ,einfach nicht die Angriffslinie‘. Stattdessen werden sie meilenweit hinter der Kontaktlinie von Drohnen ausgeschaltet“, schreibt das Magazin.

Ukraine-Krieg: „Der Krieg Drohnen gegen Drohnen hat bereits stattgefunden.“

„Der Krieg Drohnen gegen Drohnen hat bereits stattgefunden“, sagt Kyle Mizokami. Der Autor des Magazins Popular Mechanics erinnert an ein Gefecht im März 2024, als russische unbemannte Kampffahrzeuge im Rahmen eines Angriffs auf ukrainische Stellungen vorrückten, dort jedoch von FPV-Drohnen (First-Person-View) beschossen und zerstört worden waren. Das Gefecht führten Maschinen, die Bediener saßen mit ihren Konsolen auf ihrer jeweiligen Seite kilometerweit weg. Jetzt erinnert David Axe von Forbes erneut daran, dass durch die Drohnen im Ukraine-Krieg praktisch jeder Angriff mit bemannten Panzern für die Invasionsarmee Wladimir Putins zum Himmelfahrtskommando werde. „Es ist unmöglich, ihnen zu entkommen“, legt der Guardian nach.

„Auf einem von Drohnen übersäten Schlachtfeld setzen sie heute kaum noch Panzerfahrzeuge ein. Stattdessen schleichen sich kleine Gruppen von 10 bis 15 Soldaten zu Fuß vor, Tag und Nacht und zwar auf unterschiedlichen Wegen. Wenn sie unentdeckt bleiben, versammeln sie sich an einem Treffpunkt und versuchen, die ukrainischen Linien zu infiltrieren

Dazu passt, dass Forbes aktuell vermutet, Russland könnten die Panzer insgesamt beziehungsweise vor allem die Schützenpanzer ausgehen. Russlands Streitkräfte verlören demnach „mindestens so viele“ BMP-Kampffahrzuge (Bojewaja Maschina Pjechoty), wie die russische Industrie neu bauen oder aus den Beständen wieder reaktivieren könne, schreibt aktuell Forbes-Autor David Axe. Ihm zufolge habe Russland den Ukraine-Krieg begonnen mit rund 4000 BMP-Schützenpanzern der Generationen 1 bis 3. Mittlerweile soll der Bestand um die Hälfte geschrumpft sein. Pro Jahr hätten die Russen also rund 700 Schützenpanzer verloren.

„Die Produktion neuer Fahrzeuge im Werk Kurganmashzavod im Süden Russlands scheint mit etwa 400 neuen BMP-3 pro Jahr ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Die anderen 600 BMPs – BMP-1 aus den 1960er-Jahren und BMP-2 aus den 1980er-Jahren – stammen aus Kriegsreserven“, mutmaßt Axe. Bereits im Oktober hatte der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) behauptet, dass Russland so lange wie möglich sein Vorgehen beibehalten wird, „im Austausch für erhebliche Verluste an Panzerfahrzeugen begrenzte taktische Fortschritte zu erzielen“, wie die ISW-Analysten festhielten. Für die war da aber schon absehbar, dass sich Russland mechanisierte Operationen demnächst nicht mehr würde erlauben können.

Putins Blamage: „Die Russen halten ihre gepanzerten Fahrzeuge so weit wie möglich weg.“

Dieser Moment scheint mit Beginn des vierten Kriegsjahres gekommen zu sein. Offenbar fühlt sich auch die russische Militärführung von der Realität eingeholt: „Die Russen halten ihre gepanzerten Fahrzeuge so weit wie möglich weg, weil sie große Angst vor unseren Panzerabwehrraketensystemen haben“, sagt Orest Drymalovskyi zu ArmyTV, wie der Sender n-tv den Sprecher der 79. Separaten Luftangriffsbrigade der Ukraine zitiert.

Laut Drymalovskyi verzichte die russische Armee in Richtung Kurachowe in der Region Donezk bei Angriffen auf gepanzerte Fahrzeuge oder setze sie höchstens aus sicherer Entfernung zur Feuerunterstützung ein. Das ist keine wirklich neue Entwicklung, aber möglicherweise eskaliert jetzt die Situation, und die russischen Truppen sind tatsächlich gegen die Drohnen der Ukraine mit ihrem Latein am Ende.

Der zunehmende Mangel an Fahrzeugen geht offenbar damit einher, dass die Ukrainer Kontrolle über ihren eigenen Luftraum zurückgewinnen und russische Kolonnen offenbar nach Belieben mit ihren Drohnen ausschalten können. Nataliia Kushnerska nährt diese Vermutung. Laut der Analystin des Thinktanks Atlantic Council würden die ukrainischen Drohneneinheiten bereits dazu übergehen, das ursprüngliche Konzept „eine Drohne, ein Bediener“ hinter sich zu lassen in diesem Jahr „einen Übergang zu einer breiteren Nutzung von Drohnenschwarmtechnologien“ zu schaffen, wie sie schreibt.

Bereits im vergangenen September hat Russland selbst beim Kampf um den Logistik-Stützpunkt Pokrowsk seine Taktik umstellen müssen, wie der britische Guardian aufgrund der Aussage des Nationalgarde-Majors Oleksandr Fanagey festgehalten hatte: „Auf einem von Drohnen übersäten Schlachtfeld setzen sie heute kaum noch Panzerfahrzeuge ein. Stattdessen schleichen sich kleine Gruppen von 10 bis 15 Soldaten zu Fuß vor, Tag und Nacht, und zwar auf unterschiedlichen Wegen. Wenn sie unentdeckt bleiben, versammeln sie sich an einem Treffpunkt und versuchen, die ukrainischen Linien zu infiltrieren“, sagte Fanagey gegenüber dem Guardian.

Russlands Panzer degradiert: umfunktioniert zu Haubitzen für die stationäre Feuerunterstützung

Der Thinktank Institute for the Study of War bestätigte inzwischen ebenfalls aufgrund von Informationen der ukrainischen Seite, dass Russland selbst an den Hotspots Pokrowsk und Kurachowe seine Zermürbung gegenüber den ukrainischen Verteidigern weitestgehend ohne Panzerfahrzeuge verfolge. Das würde der russischen Armee ermöglichen, ihre Offensiven weiter voranzutreiben. Allerdings würden die auf die Marschgeschwindigkeit der Infanterie heruntergebremst werden.

Die russischen Kampfpanzer sind inzwischen ebenfalls zu dem geworden, zu dem sie die ukrainische Armee längst degradiert hatte: umfunktioniert zu Haubitzen für die stationäre Feuerunterstützung infanteristischer Kampagnen. Die Ukrainer waren bereits seit längerem gezwungen gewesen, ihre Challenger-Panzer umzufunktionieren, weil die auf dem tiefen Grund nicht fahren konnten. In den von der Ukraine kontrollierten Gebieten operierten sie von Waldrändern aus und bekämpften von den Russen kontrollierte Waldränder in mehreren Kilometern Entfernung. Als eine Form der Artillerie versuchten sie deren voll betonierte, eingegrabene Stellungen zu sprengen.

Offenbar hat Russland seine Kräfte inzwischen überdehnt: „Indem Russland seine ukrainischen Streitkräfte entlang einer breiten Front einsetzt, überwindet es die Grenzen seiner unzureichend ausgebildeten Armee“, hatte Jack Watling im April vergangenen Jahres geschrieben. Der Analyst des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (Rusi) war sicher gewesen, dass Russland die Ukraine mit schierer Masse würde niederwalzen können, obwohl bereits zu dem Zeitpunkt viele fähige Offiziere gefallen waren. Zu Beginn des vierten Kriegsjahres steht Russlands Sieg mehr denn je infrage.

Hohe Verluste: Russland zieht offenbar inzwischen Soldaten aus Drohneneinheiten ab

„Die Russen konnten nur Angriffe von Zügen und Kompanien durchführen, nicht von Brigaden oder Divisionen, was bedeutet, dass sie die ukrainischen Verteidiger an einem Ort nur selten entscheidend besiegen können. Mit dieser zahlenmäßigen Überlegenheit hat Russland jedoch begonnen, diese Einschränkung zu seinem Vorteil zu nutzen“, schrieb Watling – und hat sich offenbar getäuscht. Hatte Russland ohnehin Schwierigkeiten, genug Kräfte zu mobilisieren, wird jetzt auch das Fehlen der Fahrzeuge spürbarer.

Wie das Institute for the Study of War aktuell mitteilt, zieht Russland offenbar inzwischen sogar Soldaten aus Drohneneinheiten ab, um sie in den Infanteriekampf zu beordern. Der Zweck dessen soll sein, das Offensivtempo in der Ukraine aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig soll Russland versuchen, die Drohenproduktion noch weiter zu zentralisieren, um die Produktion von Drohnen massiv auszubauen – der Vorteil der Ukraine im Bau günstiger Drohnen gegenüber Russland lag bisher in deren dezentralisierten Organisation. Russland will offenbar diesen Vorsprung egalisieren, greift aber vermutlich zu den gleichen Mitteln, die bisher auch zu nichts geführt haben, wie das ISW in ihrem neuesten Report nahelegt.

„Die Zentralisierungs- und Umstrukturierungsbemühungen des russischen Verteidigungsministeriums könnten die Wirksamkeit russischer Drohnenoperationen beeinträchtigen und den Innovationszyklus russischer unbemannter Systeme verlangsamen.“

Auch interessant

Kommentare