DIW-Chef will Pflichtjahr für Rentner – aber die Idee trieft vor linker Ideologie

Marcel Fratzscher spricht sich jetzt im "Spiegel" für eine "fairere Verteilung der Lasten" zwischen den Generationen aus. Nach Meinung des Ökonomie-Professors müsse sich die ältere Generation "stärker einbringen, beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung".

In einem sozialen Pflichtjahr für Ältere sieht Fratzscher einen Ausgleich für die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht, die eine Mehrheit in Deutschland begrüßen würde, oder einem sozialen Pflichtjahr für junge Leute.

Fratzscher räumt ein, dass nicht alle Rentner ein solches Pflichtjahr ableisten könnten. Aber bei gesundheitlichen Problemen fände man Ausnahmeregelungen.

Rentner in die Pflege und zur Bundeswehr

Dass Ruheständler in der Pflege oder in sozialen Einrichtungen eingesetzt werden, kann man sich noch vorstellen. Aber in der Bundeswehr? 66-Jährige als Panzerfahrer?

Der DIW-Chef sieht da andere Einsatzmöglichkeiten. Bei der Bundeswehr seien heutzutage technische Fähigkeiten gefragt. "Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?"

Pflichtjahr politisch ohne Chance

Ein Pflichtjahr für Ältere dürfte jedoch keine politische Mehrheit finden. CDU/CSU und SPD leben nämlich in hohem Maß von den Stimmen der Älteren. Deshalb fand sich auch nie eine Mehrheit für grundlegende Veränderungen am bestehenden Rentensystem.

Auch übersieht Fratzscher, dass viele Männer, denen er ein Pflichtjahr aufbürden will, in ihrer Jugend Wehrdienst oder Ersatzdienst geleistet haben. Das haben sie den Jüngeren schon mal voraus.

Fratzscher und das DIW sind bekannt dafür, dass sie SPD, Grünen und Linken gern Argumente für höhere Steuern und mehr Umverteilung "von oben nach unten" liefern.

Aktuell haben die Berliner Wirtschaftsforscher ein weiteres Umverteilungsthema für sich entdeckt: die Umverteilung von den Alten zu den Jungen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher.
DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Annette Riedl/dpa

DIW will auch einen "Boomer-Soli"

Erst kürzlich hat das DIW die Einführung eines "Boomer-Soli" vorgeschlagen. Damit sollen die durch den Eintritt geburtenstarker Jahrgänge in den Ruhestand unter Druck geratenen Rentenkassen entlastet werden.

Der "Boomer-Soli" ist gedacht als eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte ab einer gewissen Höhe. Die Einnahmen sollen in ein "Sondervermögen" fließen. Daraus würden niedrige Renten aufgestockt.

Dahinter steckt die klassische linke Ideologie: Wer fleißig war und gespart hat, wird bestraft. Wer – aus welchen Gründen auch immer – weniger gearbeitet hat, wird belohnt.

Niemand will die älteren Wähler vergraulen

In der Politik ist der Boomer-Soli nicht auf nennenswerte Zustimmung gestoßen. Die Parteien neigen nicht dazu, zugunsten der relativ geringen Zahl junger Wähler die älteren Wähler zu vergraulen. Zumal auch die Wahlbeteiligung der Älteren deutlich höher ist als bei den Jungen.

Beim Pflichtjahr für Alte dürfte die Resonanz im politischen Berlin ebenfalls eher gering ausfallen. Schließlich gehen Männer und Frauen im Durchschnitt mit 64 Jahren in Rente, sehr viele Senioren nehmen also Abschläge in Kauf, um nicht bis zum regulären Renteneintrittsalter von derzeit 66 Jahren durcharbeiten zu müssen. Ein soziales Pflichtjahr würde nicht in deren Vorstellung von einem unbeschwerten Ruhestand passen.

Ein weltferner Vorschlag

Fratzschers Vorschlag ist sehr akademisch, weit entfernt von der Wirklichkeit. Allenthalben klagen beispielsweise Beschäftigte in der Altenpflege, dass sie den beruflichen Belastungen nicht bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gewachsen seien.

Und die sollen durch ältere Ruheständler ersetzt werden? Auf solche Ideen kommt man höchstens im wissenschaftlichen Elfenbeinturm.

Senioren in der Bundeswehr-Kleiderkammer?

Gleiches gilt für die Vorstellung, ausgerechnet Senioren könnten den Personalmangel in der Bundeswehr wenigstens teilweise ausgleichen. Die älteren Herren kann man höchstens auf der Schreibstube oder in der Kleiderkammer einsetzen, aber nicht in kampfbereiten Verbänden.

Zwei-Drittel-Mehrheit unwahrscheinlich

Ganz abgesehen davon: Ein soziales Pflichtjahr – gleichgültig für wen – setzte eine Verfassungsänderung voraus. Dazu bedürfte es einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Ein bei den gegenwärtigen parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen aussichtsloses Unterfangen.

Es steht Wissenschaftlern zu, Vorschläge zu machen, ohne auf die Chancen einer Realisierung zu achten. Fratzscher und das DIW sind indes ständig bemüht, der SPD, den Grünen und der Linken Argumente für mehr Umverteilung zu liefern, für höhere und neue Steuern.

Jetzt haben die Berliner Wissenschaftler also ein neues Umverteilungsfeld entdeckt. Es wird in Berlin zur Kenntnis genommen werden – und ganz schnell in der Ablage landen.