Bundeswehr in der Ukraine? Warum Sie diese Debatte gerade jetzt interessieren muss

Der Bundeswehr fehlen gerade 90.000 aktive Soldaten. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die Ostgrenze der Nato in Litauen mit einer ganzen Brigade zu verteidigen – 5000 Mann.

Friedrich Merz hat zwei Dinge versprochen

Andererseits: Bundeskanzler Friedrich Merz hat zwei Dinge versprochen: Deutschland werde unter seiner „Leadership“ zur Führungsmacht in Europa. Und: Deutschland werde die stärkste konventionelle Armee in Europa haben.

Wer Führungsmacht in Europa sein will und dies auch militärisch zu unterstreichen verspricht, der kann nicht deutsche Soldaten im Rahmen einer Friedenstruppe in der Ukraine ablehnen.

Das ist die zweite Antwort auf die Frage nach deutschen Soldaten in der Ukraine. Was bedeutet: Antwort Eins und Antwort Zwei widersprechen sich.

Deutsche Soldaten in der Ukraine? Es gibt keine klare Antwort 

Deshalb eiert die Bundesregierung und flüchtet sich einstweilen in Floskeln. Am ehrlichsten ist dabei der Fraktionsvorsitzende der Union. Jens Spahn empfiehlt den Abgeordneten seiner Fraktion, sich bei dieser Debatte einfach mal zurückzuhalten. 

Der Grund ist evident: Es gibt keine klare Antwort – weder der Bundesregierung noch des Bundestages. 

Letzteres ist bedeutsam, denn: Der Bundestag müsste einem Mandat für deutsche Soldaten zustimmen. Mit welcher Mehrheit – wenn Teile der Union gerade schon abwinken und die SPD-Führung davon ebenfalls nichts wissen will – wie deren Fraktionsvorsitzender Miersch sagt.

„Kontaktlinie“ – die militärische Sprache ist mittlerweile voll von Beschwichtigungsformeln. Es geht bei „Boots on the Ground“, bei Bodentruppen, um die Absicherung einer möglichen „Kontaktlinie“, wo immer die verläuft. Früher hieß es schlicht: „Front“.

Ein Mandat zur Abschreckung ist ein Mandat, zurückzuschießen

Ein Mandat für Soldaten an der Front müsste erst noch definiert werden. Ausnahmslos alle Militärexperten gehen davon aus, dass Russland die Bereitschaft der West-Alliierten „testen“ werde, die Ukraine vor einem abermaligen, dem dann – nach 2014 und 2022, dritten (!) Angriff Russlands – zu schützen. Das hat Folgen für ein Mandat auch für die deutschen Soldaten.

Ein bloßes „Friedensmandat“ könnte es nicht sein. Das wäre naiv. Es müsste also ein „Abschreckungsmandat“ sein. Deutsche Soldaten müssten helfen, russische Soldaten von einem weiteren Angriff abzuschrecken. Das geht aber nur, wenn sie selbst auch kämpfen dürfen. Das Mandat müsste ergo „robust“ ausfallen, eine weitere kriegssprachliche Verharmlosung.

Ein Mandat zur Abschreckung ist ein Mandat, zurückzuschießen. Zurückschießen ist aber gefährlich – man weiß nicht, was danach kommt.

„Was, wenn einer unserer Soldaten stirbt“, fragt Meloni

Wer den letzten Satz für theoretisch hält, der hat Italiens Regierungschefin Meloni nicht zugehört. „Was, wenn einer unserer Soldaten stirbt“, hat die toughe Frau gefragt. Würden wir den Kopf in den Sand stecken – oder würden wir reagieren? Würden wir selbst reagieren oder würde die Nato reagieren? Denn es wäre ein italienischer Soldat betroffen von einem Angriff einer anderen Macht – es wäre der Bündnisfall. Reagiert die Nato, haben wir Krieg.

Damit stellt Meloni die entscheidende Frage, vor der sich die deutsche Debatte herumdrückt – besser: die Bundesregierung.

Treffen Selenksyj Trump
Gruppenfoto im großen Foyer des Weißen Hauses nach dem Ukraine-Gipfel am Montag. Alex Brandon/AP/dpa

Denn einzelne werfen diese Fragen schon auf: Für Unionsmann Roderich Kiesewetter ist klar: Deutsche Soldaten müssen mit dabei sein. Für Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer ist ebenso klar: keine deutschen Soldaten. Kiesewetter repräsentiert – dies ist etwas grobschlächtig – die Stimmung der Union im Westen. Kretschmer repräsentiert die Stimmung der Union im Osten.

Andere Länder haben auch ihre Ausreden

Die Kernthese der Ukraine-Unterstützer hat das Argument moralischer Verpflichtung längst verlassen, um auf die rationalere Ebene der Vertretung von „Interessen“ einzuschwenken: Deutschlands Sicherheit werde auch in der Ukraine verteidigt.

Ein sozialdemokratischer Bundesverteidigungsminister – Struck – hat einmal die Parole ausgegeben, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt. Heute wissen wir: Das war falsch. Struck war gleichwohl kein Hasardeur, sondern ein über die Parteigrenzen hinweg hoch angesehener Mann.

Nun müsste man doch, im Hinblick auf die Gefährdung Deutschlands, annehmen, die Polen fühlten sich am meisten von den Russen bedroht und würden gerade darum polnische Soldaten in die Ukraine schicken. Genau das freilich hat die polnische Regierung – selbst in ihrer ganzen angeblichen Europafreundlichkeit – ausgeschlossen.

Polen argumentiert, es habe mit dem Schutz der eigenen Grenzen vor Russen und Belarussen genug zu tun.

Ischinger: Nato-Soldaten in der Ukraine wären „rote Linie“ für Russland

So argumentieren auch die Finnen, das Nato-Neumitglied. Finnland war einmal Russen-Opfer – im Winterkrieg 1940, und danach, weil das Resultat die Finnen Jahrzehnte in ihrer Freiheit einschränkte. Man nannte es „Finnlandisierung“ und meinte die trübe Existenz unter einem russischen Damoklesschwert.

Russland sagt: keine Nato-Truppen in der Ukraine. Der erfahrene Diplomat Ischinger sagt, Nato-Soldaten in der Ukraine, das wäre in der Tat eine „rote Linie“ für Russland. Das stimmt ohne Zweifel, zumal: Darf Moskau uns mit "roten Linien" fesseln?

Wenn der Wunsch der Ukraine, sich der Nato anzuschließen, der Grund für Moskau war, dieses Land zu überfallen, dann wäre die Entsendung von Nato-Truppen zum Schutz eben jenes Landes eine Art Treppenwitz. Russland bekäme durch die Hintertür, was es mit einem Krieg zu verhindern suchte: einen Nato-Schutz für eine wie auch immer definierte West-Ukraine.

Andererseits: Was ist der Westen wert, wenn er sich von russischen Imperialisten „rote Linien“ diktieren ließe?

Trump: keine US-Boys auf ukrainischem Grund

Die SPD hat auch eine Meinung, und die weicht selbstredend ab von der Mehrheitsmeinung der Union – mit einer wichtigen Ausnahme allerdings. Jedenfalls sagt die SPD: keine deutschen Soldaten ohne gleichzeitige amerikanische Truppen. Die allerdings hat Donald Trump ausgeschlossen. Irgendwie will er behilflich sein, seine Einlassungen dazu sind vage, bis auf genau diesen einen Punkt: keine US-Boys auf ukrainischem Grund.

US-Präsident Donald Trump
US-Präsident Donald Trump schließt den Einsatz von amerikanischen Soldaten zur Absicherung eines möglichen Friedens in der Ukraine aus. Alex Brandon/AP/dpa

Die SPD hat ihre Position – nicht ohne Amis – von Kanzler Scholz zu Kanzler Merz hinübergerettet. Und damit macht sich die SPD gewaltig verdächtig, denn: Immer wenn Scholz sagte, nichts ohne die Amerikaner – etwa bei schweren Waffen, später bei Panzern –, ging es ihm darum, dass sich Deutschland unter seiner Führung hinter Joe Biden verstecken konnte.

Die SPD trägt immer noch zwei Probleme mit sich herum

Die SPD trägt immer noch zwei Probleme mit sich herum: die alte Russland-Orientierung und ihren alten Pazifismus. Der hat schon Helmut Schmidt die Kanzlerschaft gekostet, man sollte das also nicht gering schätzen.

Fehlt hier noch die eine Ausnahme bei der Union: Es ist der Wehrbeauftragte. Henning Otte nannte einen Bundeswehr-Ukraine-Einsatz ohne amerikanische Rückendeckung „undenkbar“.

Tatsächlich führt das zu diesem aktuellen Befund:

  • Stand jetzt ist die Bundesregierung nicht entscheidungsfähig.
  • Stand jetzt ist auch nicht sicher, ob die regierende Koalition eine Mehrheit für deutsche Ukraine-Truppen im Bundestag zustande brächte.
  • Stand jetzt ist ungewiss, ob die Bundeswehr überhaupt genug Soldaten hätte, um sie in die Ukraine zu schicken. 

Masala: Es bräuchte rund 5000 Mann

Der Militärstratege Masala rechnet vor: Es bräuchte rund 5000 Mann. Eine Brigade also. Dieselbe Anzahl, die aus Abschreckungsgründen schon nach Litauen geschickt wird.

Aber wenn alles so kompliziert ist, weshalb müssen wir überhaupt jetzt darüber reden?

Weil Putin darüber redet. Weil Trump darüber redet. Weil Selenskyj darüber redet. Weil die Bedingung für einen Frieden dessen Absicherung ist. Weil niemand den Russen trauen will. Und auch nicht trauen kann. 

Neuerdings kann man aber auch den Amerikanern nicht mehr trauen. Denn die haben im Budapest-Memorandum 1994 die Unantastbarkeit der Ukraine gegen deren Atomwaffenverzicht „gedealt“. Darauf weist gerade der damalige Präsident hin: Bill Clinton. 

Wenn Trump heute sagt, mit diesem Krieg hätten die Amis nichts zu tun, handelt es sich dabei um eine historische Lüge.

Nur: Wer erinnert den so mächtigen wie sensiblen Mann daran?

Einstweilen bleibt die Sache vertrackt. Und aussichtslos.