Forscher schlagen Boomer-Soli vor, doch ihre zweite Idee würde Rente noch stärker kürzen
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat einen umstrittenen Vorschlag gemacht: Über einen sogenannten „Boomer-Soli“ sollen Bezieher von hohen Renten Geld abgeben, um damit das Armutsrisiko für einkommensschwache Rentner abzumildern.
Ist das sozialistische Umverteilung oder ein ernstzunehmender Vorschlag? Am Tag der Veröffentlichung hagelte es Kritik – sogar von Gewerkschaften.
Lob für den Vorschlag kam dagegen überraschenderweise von der Vorsitzenden des Sachverständigenrates Wirtschaft, Monika Schnitzer. Sie sagte, der Grundgedanke des DIW sei richtig, auch wenn die konkrete Ausgestaltung "sicher zu diskutieren" sei.
Viele Volkswirte sehen das anders: „Der Boomer-Soli würde die Altersvorsorgeplanung derjenigen Menschen ad absurdum führen, die im Vertrauen auf die gesetzliche Rente jahrzehntelang eingezahlt und zusätzlich vorgesorgt haben“, sagt IW-Rentenexperte Jochen Pimpertz. Und Bert Rürup, Rentenexperte und selbst jahrelang Vorsitzender der „Wirtschaftsweisen“ warnt davor, alle Rentner über einen Kamm zu scheren. „Eine geringe gesetzliche Rente ist noch kein valides Kriterium für eine bestehende Altersarmut“, sagte Rürup dem „Tagesspiegel“. „Zudem werden mit dieser vorgeschlagenen Sonderabgabe auch die Bemühungen für eine private und betriebliche Zusatzvorsorge ein Stück weit diskreditiert.“
Was ist das Problem?
Die deutsche Alterspyramide verläuft nicht linear, sondern sie hat einen „Bauch“: die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1955 und 1969, vor dem „Pillenknick“. Der zahlenmäßig stärkste Geburtenjahrgang lag im Jahr 1964, als binnen zwölf Monaten etwa 1,36 Millionen Kinder geboren wurden.
Hinzu kommt: Genau diese Generation hat danach nicht für genügend Nachwuchs gesorgt. Die Boomer sind maßgeblich Mitschuld daran, dass in den folgenden Jahrzehnten zu wenig Kinder geboren wurden und deshalb mittlerweile immer weniger Beschäftigte ein wachsendes Heer von Rentnern alimentieren müssen. Denn das gesetzliche Rentensystem in Deutschland ist ein Umlagesystem: Das Geld, das eingezahlt wird, wird sofort weiterverteilt. Rücklagen gibt es so gut wie keine.
In den kommenden Jahren beenden nun die Boomer ihr Arbeitsleben und wechseln in die Rente – und das ist ein großes Problem. Denn die Boomer haben einen großen Teil des deutschen Wirtschaftsbooms mitgemacht, gutes Geld verdient und viele Jahre eingezahlt. Das bedeutet: Sie haben einen hohen Rentenanspruch – und sie sind viele. Das Rentenvolumen, das sie in Summe beziehen, ist also ohnehin schon sehr hoch – und muss von denen, die jetzt arbeiten, durch deren Rentenbeiträge finanziert werden. Kurz: Es reicht hinten und vorne nicht.
Gleichzeitig hat sich die Politik auf die Fahne geschrieben, das Armutsrisiko für Rentner zu senken. Und auch unter den Boomern gibt es Menschen, die nur einen geringen Rentenanspruch erworben und keine Zusatzeinkünfte haben. Oft sind es Frauen, die beispielsweise für die Kindererziehung für einige Jahre ausgesetzt haben und sich über Teilzeitjobs oder schlechter bezahlte Tätigkeiten durchgehangelt haben. Sind sie dann auch noch alleinstehend oder geschieden und hat der neue Partner auch nur eine geringe Rente, droht Altersarmut.
Wessen Aufgabe ist es nun, das auszugleichen? „Die Rentenlast der Babyboomer kann nicht allein der immer kleineren Zahl von jungen Beitragszahlern aufgebürdet werden“, sagt die Wirtschaftsweise Schnitzer. "Die Babyboomer-Generation selbst muss einen Beitrag dazu leisten."
Was tut der Boomer-Soli?
Wie aber kann man Altersarmut bekämpfen, ohne dass die Jüngeren dafür noch mehr in die Rentenkasse zahlen müssen? Indem man die Belastung innerhalb der Rentenbezieher umverteilt. Das hat sogar der Sachverständigenrat in seinem Herbstgutachten 2023/2024 so formuliert: „Umverteilende Elemente in der Rentenberechnung können bei sinkendem durchschnittlichen Sicherungsniveau einen Anstieg der Altersarmut begrenzen.“
Und genau darauf zielt jetzt der DIW-Vorschlag. Man will unter den Babyboomern eine Umverteilung innerhalb des bestehenden Topfs vorzunehmen. „Die Aufwertung erfolgt anhand der Entgeltpunktsumme und wird so gestaltet, dass die Summe der Aufwertungen der Minderung bei den höheren Renten entspricht, also budgetneutral umgesetzt werden kann“, schreiben die DIW-Forscher im aktuellen Wochenbericht.
Ob er gerecht ist, ist eine ganz andere Frage.
Entgeltpunkte kürzen
Ein Weg wäre, direkt bei den Entgeltpunkten anzusetzen. Seit dem 1. Juli 2025 ist ein Rentenpunkt 40,79 Euro wert. Würde man nun alle Renten bis zu einem Schwellenwert von 20,8 Punkten um 50 Prozent anheben und gleichzeitig alle Rentenpunkte über 20,8 nur noch mit 50 Prozent werten, wäre das Ziel erreichbar, rechnet das DIW vor. Allerdings mit heftigen Verlusten für gut situierte Rentner. Ein Rentner mit 61 Rentenpunkten, hätte nach dieser Neubewertung nur noch 20,8 + (40,2 x 0,5) = 40,9 Rentenpunkte. Seine Rente würde damit von 2488,19 auf 1668,31 Euro sinken; also um ein Drittel.
Das war offenbar selbst den DIW-Forschern zu krass. Deshalb kamen sie auf eine zweite Idee: einen Solidaritätsbeitrag auf die bezogenen Renten. Es sei besser, „alle Alterseinkünfte mit ,Boomer-Soli' moderat belasten, als nur innerhalb der gesetzlichen Rente umzuverteilen“.
Und das geht so: Oberhalb eines Freibetrags von 1000 Euro im Monat zahlt jeder besser gestellte Rentner eine Sonderabgabe von zehn Prozent. Das würde, laut DIW, „20 Prozent der Rentner*innenhaushalte mit den höchsten Einkommen moderat belasten. Abhängig davon, ob auch Kapitaleinkünfte für den Boomer-Soli herangezogen werden oder nicht, hätten Personen in diesen Haushalten ein um drei bis vier Prozent geringeres Nettoäquivalenzeinkommen.“ Vier Prozent klingt erst einmal nicht dramatisch. Und gleichzeitig würden die untersten 20 Prozent profitieren: Ihre Renten stiegen um zehn bis elf Prozent, rechnet das DIW vor.
Löst der Boomer-Soli alle Probleme?
Haben die Berliner Forscher also den Stein der Weisen gefunden? Mitnichten, denn die gesetzliche Rente wird ja trotzdem um den Soli von zehn Prozent gekürzt. Der niedrige Prozentsatz entsteht daraus, dass die DIW-Experten eine Fülle weiter Einkünfte dazurechnen, die gutsituierte Rentner – angeblich– haben. „Herangezogen würden nicht nur gesetzliche Renten, sondern auch private und betriebliche Renten sowie sonstige Versorgungsbezüge, außerdem Pensionen von Beamt*innen und gegebenenfalls Vermögenseinkommen. Der Boomer-Soli würde also auch der Tatsache Rechnung tragen, dass die gesetzliche Rente für viele wohlhabende Haushalte oft nur eine geringere Rolle spielt und sonstige Alterseinkünfte wie Betriebsrenten oder auch Vermögenseinkommen einen deutlich größeren Anteil am Einkommen haben.“
Anders ausgedrückt: Das DIW findet, wer mehr als 1000 Euro Rente hat, hat sein Geld nicht ganz so nötig, weil er sicher in seinem Haushalt, also gemeinsam mit seinem Partner, auch noch über eine Vielzahl anderer Einkunftsquellen verfügt. So lässt sich erklären, dass in der Einkommenssäule der gut gestellten Rentner (ganz rechts in der Grafik unten) die gesetzliche Rente (dunkelblau) nicht mal 20 Prozent des Kuchens ausmacht. der Rest sind sonstige Renten (auch Betriebsrenten, hellblau), Einkünfte aus Selbständigkeit (orange) und Lohneinkommen (gelb). Hier rechnet das DIW damit, dass im gleichen Haushalt noch jemand arbeiten geht.

Es stimmt, dass überdurchschnittlich viele Babyboomer auch noch Anspruch auf eine Betriebsrente haben. Kapitaleinkommen (grün) sind im Vergleich dazu überraschend klein. Aber lässt sich das verallgemeinern? Quelle für die Grafik ist keine offizielle Statistik, sondern „Mikrosimulationsrechnungen mit dem Modell GETTSIM auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) 2019“.
Diese Einkünfte sollen herangezogen werden
Dass etwas passieren muss, ist unbestritten: In der Diskussion um die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung wird häufig eine weitere Senkung des Rentenniveaus gefordert. „Dies würde zwar die Rentenausgaben senken, aber die Armutsrisiken der älteren Bevölkerung erhöhen“, geben die DIW-Experten zu bedenken. Auch der Sachverständigenrat sehe diesen Effekt und habe daher diskutiert, die Rentenformel progressiver zu gestalten.
Doch das DIW geht deutlich weiter: Es schlägt vor, dass sein „Boomer-Soli“ auf sämtliche Alterseinkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EstG) erhoben wird:
- Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen
- der landwirtschaftlichen Alterskasse
- den berufsständischen Versorgungseinrichtungen
- „Rürup-Renten“, sonstige betriebliche und private Renten
- Unfallrenten,
- „Riester-Renten“ im Sinne des § 22 Nr. 5 EStG,
- Pensionen nach beamtenrechtlichen Vorschriften
- sowie Renten und Pensionen aus früheren Beschäftigungsverhältnissen, etwa bei Manager*innen und leitenden Angestellten
- oder im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge.
„Sämtliche ältere Ruheständler*innen mit hohen Einkommen würden zur Umverteilung beitragen“, schreibt das DIW. Und damit nicht genug: Es könnten auch Vermögenseinkommen berücksichtigt werden. „Steuerliche Eingriffe in Einkommens- und Vermögenspositionen sind grundsätzlich zulässig, wenn sie sachlich begründet werden. Die deutlich breitere Bemessungsgrundlage erlaubt geringere Grenzsteuersätze“, locken die DIW-Forscher. „Dadurch wäre der Eingriff in die Altersvorsorgevermögen der gut versorgten Ruheständler*innen weniger gravierend.“
Für ihren eigen Ansatz sehen die Forscher allerdings zwei Schwierigkeiten: Die Entgeltpunktsumme sei kein guter Indikator für ein niedriges Haushaltseinkommen. „Zudem wäre ein derart tiefgreifender Eingriff in die Rentenanwartschaften aus (verfassungs-) rechtlichen Gründen nur langfristig zu realisieren. Für die großen Herausforderungen der Alterssicherungssysteme in den nächsten zwei Jahrzehnten ist dies also keine Lösung.“
Reiche Rentner gegen arme Rentner
Die dargestellten Szenarien seien daher nur „mögliche Varianten“, schränkt das DIW ein. „Die genaue Implementierung hängt von der politischen Zielsetzung ab.“ Dafür liefert das DIW die Argumentation dann aber gleich mit. Beim Lesen dürfte den Babyboomern als angehende Rentner angst und bange werden.
Die DIW-Forscher geben ganz offen zu, dass sie es auf das Vermögen der gut situierten Rentner abgesehen haben: „Eine progressive Rentenformel und der „Boomer-Soli“ wären eine implizite Vermögensabgabe auf das bisher aufgebaute Vorsorgevermögen der Besser- und Hochverdienenden. Die Betroffenen können ihr nicht ausweichen.“ Man müsse jedoch damit rechnen, dass sie sich „gegen diese „Enteignung“ wehren, sofern sie den Solidaritätsgedanken innerhalb der älteren Generation und die Entlastungen der Jüngeren nicht akzeptieren“.
Allerdings hätte jede Kürzung des Rentenniveaus solche Wirkungen, kommentiert das DIW lakonisch. „Mit dem Boomer-Soli würden diese Belastungen fairer verteilt werden. Die höhere Lebenserwartung der Besserverdienenden wäre eine zusätzliche Begründung dafür“, heißt es. Zudem „sei ein weiterer Vorteil einer Sonderabgabe, „dass sie einfacher wieder abgeschafft werden könnte – etwa, wenn sich die finanzielle Situation der Rentenversicherung verbessern würde.“ Als ob der Staat jemals eine Abgabe wieder abgeschafft hätte – siehe den Soli für den Aufbau Ost.
Reiche, kerngesunde Rentner, gegen die armen, die nicht so lange leben? Das klingt ein bisschen wie die missglückte Wahlkampfrhetorik von Olf Scholz. Doch es ist zu befürchten, dass Politiker diesen Ball schon bald aufnehmen – und versuchen werden, die deutschen Rentner gegeneinander auszuspielen.
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