Wann Polizisten zur Schusswaffe greifen dürfen
Immer wieder müssen Polizisten Gebrauch von ihrer Schusswaffe machen, um Angreifer zu stoppen – wie am NS-Dokuzentrum in München. Im Landkreis Weilheim-Schongau liegt der letzte derartige Fall schon über zwei Jahre zurück, in Bad Tölz-Wolfratshausen ein Jahr.
Landkreis – Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt. Lauf an der Pegnitz in Franken. Solingen, Recklinghausen, Moers in Nordrhein-Westfalen und zuletzt in bei den Schüssen nahe dem NS-Dokuzentrums in München. Immer wieder sahen sich Polizeibeamte in den vergangenen Wochen gezwungen, von ihrer Dienstwaffe Gebrauch zu machen, um ihr und das Leben anderer zu schützen. Jedes Mal überlebte der Täter nicht.
Der Griff zur Waffe sei immer die letzte Option für den betroffenen Beamten, stellt das Polizeipräsidium Oberbayern Süd auf Anfrage der Heimatzeitung klar. Das sei genau im Polizeiaufgabengesetz geregelt. So sei beispielsweise ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, nur zulässig, „wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person ist“.
Dienstwaffe kommt sehr selten zum Einsatz, jeder davon wird genau dokumentiert
Der Gebrauch der Schusswaffe wird immer beim Landeskriminalamt dokumentiert. Auch dann, wenn sie nicht gegen Menschen eingesetzt wurde, heißt es weiter. Wesentlich häufiger erlösen Polizeibeamte angefahrene Wildtiere mit ihrer Dienstwaffe von ihrem Leid. Das macht die Auswertung, wie oft die Beamten im Landkreis tatsächlich zur Waffe gegriffen haben, schwierig. Denn beim LKA wird für jede Gemeinde gesondert Statistik geführt, wann Polizisten von der Schusswaffe Gebrauch machen – auch wenn sie nur ein Wildtier erlösen.
Für den Fall, von dem jeder Beamte hofft, dass er nie eintritt, wird dennoch regelmäßig trainiert. Abhängig von ihrer jeweiligen Verwendung müssen die Polizisten mehrmals pro Jahr am dienstlichen Schießtraining teilnehmen. Dabei gilt es auch, im Rahmen von Kontrollübungen „die Handhabungs- und Treffsicherheit nachzuweisen“, wie es weiter in der Antwort des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd heißt.
Keine genauen Vorschriften, wohin gezielt werden soll
Treffsicherheit ist wichtig, wie nicht zuletzt der Schusswaffeneinsatz 2022 in Polling zeigt. Dort wurde dem Täter in die Hand geschossen. Er ließ die Waffe fallen und konnte überwältigt werden, blieb aber am Leben. Es gebe keine dezidierten Vorschriften, wohin der Beamte in welcher Situation zu zielen und zu schießen hat, so die Pressestelle des Polizeipräsidiums. Das sei der Tatsache geschuldet, dass die Situationen, mit denen die Beamten im Verlauf ihrer Einsätze konfrontiert sind, immer unterschiedlich sind. Eines sei allerdings klar: „Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist – wie bei sämtlichen Maßnahmen der Polizei – immer das mildeste Mittel zu wählen.“
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Der letzte Fall, bei dem ein Polizist in Bad Tölz die Waffe ziehen musste, war im September 2023. Da gab es Probleme im familiären Bereich. Als die Polizisten vor Ort eintrafen, griff der Mann zum Messer und bedrohte die Beamten. Diese zogen die Waffe, woraufhin der Mann das Messer weglegte und keinen Widerstand mehr leistete. Er befand sich in einer psychischen Ausnahmesituation.
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Kein Wettrüsten mit den Verbrechern in Bayern
Ausgerüstet sind die Streifenpolizisten allesamt mit einer Pistole. Im Bedarfsfall können sie zwar auch auf Maschinenpistolen und Gewehre zurückgreifen, ein „Wettrüsten“ der Polizei mit den Verbrechern, wie es in den USA der Fall ist, gebe es in Bayern allerdings nicht, heißt es in der Stellungnahme des Polizeipräsidiums.
Das liege auch daran, dass die waffenrechtlichen Bestimmungen in den USA und in Deutschland „keinesfalls vergleichbar“ wären. In den Staaten könnten großkalibrige und automatische Schusswaffen teilweise äußerst leicht legal erworben werden. Sobald ein bayerischer Polizist von seiner Dienstwaffe im Einsatz Gebrauch machen muss, wird zudem standardmäßig ein Ermittlungsverfahren durch neutrale Behörden in Gang gesetzt. Dies könne bei der Kripo angesiedelt werden oder bei den Internen Ermittlungen des Landeskriminalamtes.
Traumatisierendes Erlebnis für die betroffenen Beamten
Abgesehen von all den rechtlichen Rahmenbedingungen kommt oft die Sichtweise zu kurz, dass es sich bei Polizisten um Menschen in Uniform handelt. „Ein Schusswaffengebrauch, der den Tod oder eine schwere Verletzung zur Folge hat, gehört zu den belastendsten Ereignissen, denen ein Polizeibeamter in seinem Leben ausgesetzt sein kann“, stellt die Pressestelle klar. Es handele sich immer um ein potenziell traumatisierendes Ereignis, bei dem die betroffenen Beamten und gegebenenfalls auch deren Angehörige sowie weitere Betroffene im Rahmen einer psychosozialen Notfallversorgung professionell betreut werden. Auch dazu gebe es genaue Konzeptionen.
Eine Möglichkeit, auf den Gebrauch der Dienstwaffe zu verzichten, wäre, die Beamten mit sogenannten Tasern auszustatten. Das sind Elektroschocker, die auf Distanz abgefeuert werden können und dem Getroffenen einen starken Stromschlag verpassen, der ihn lähmt.
Auch innerhalb des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd seien im Pilotbetrieb die Beamten der Zentralen Einsatzdienste für den Einsatz der „Distanz-Elektroimpulsgeräte“ geschult und ausgestattet worden, heißt es auf Anfrage der Heimatzeitung. Eine entsprechende Ausweitung auf den regulären Streifendienst sei derzeit jedoch nicht vorgesehen.
Keine Taser für Streifenpolizisten
Dazu übermittelt die Pressestelle des Präsidiums eine Erklärung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann: „Der Taser ist kein Allheilmittel für gefährliche Einsätze, vor allem wenn Täter mit Schusswaffen oder Messern ein sofortiges Handeln der Polizei erfordern. In hochbrenzligen und lebensgefährlichen Situationen könnte der Taser keine Wirkung haben, beispielsweise wenn die Elektroden die Kleidung des Angreifers nicht durchdringen können. Dazu kommt, dass der Täter das Messer beim Tasereinsatz durch die muskuläre Verkrampfung nicht zwingend fallen lässt.“
Daher sind neben den Spezialeinsatzkommandos bei der bayerischen Polizei aktuell nur die sogenannten Unterstützungskommandos mit Tasern ausgestattet. Insgesamt sind in Bayern 230 derartige Geräte im Einsatz. Im Jahr 2023 wurden sie laut Statistik 100 Mal eingesetzt, wobei in 73 Fällen lediglich damit gedroht wurde.