„Bricht jungen Künstlern das Genick“: Corona-Pandemie beeinflusste das „Ausgehverhalten“
Rund 16 Jahren betreibt Assunta Tammelleo die Kleinkunstbühne Hinterhalt. Seit der Corona-Pandemie kämpft sie mit einem veränderten „Ausgehverhalten“ ihres Publikums.
Geretsried – „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, stellte der bayerische Kabarettist und Komiker Karl Valentin einst fest. Zu allem Unglück kosten Kunst und Kultur zudem Geld, davon kann Assunta Tammelleo ein Lied singen. Seit rund 16 Jahren betreibt sie die Kleinkunstbühne Hinterhalt im Geretsrieder Stadtteil Gelting. „Als Hobby“, wie sie sagt. Mit Herzblut, wie jeder weiß. Zudem ist die 62-Jährige Vorsitzende des Kulturvereins Isar-Loisach (KIL) und sie hob den „Sirenenchor“ aus der Taufe. Eine skurrile Laien-Formation, deren Intonation nicht immer perfekt ist – die aber geschlossen die Stimme erhebt, wenn‘s etwas zum Aufheulen gibt. Beispielsweise den politischen Rechtsruck in der Republik.
Corona-Pandemie veränderte das „Ausgehverhalten“
Die Hinterhalt-Wirtin kennt alle Höhen und Tiefen des Kleinkunstgeschäfts. Seit Ende der Corona-Pandemie aber sei das Publikum „deutlich zurückhaltender“, das „Ausgehverhalten“ sei ein ganz anderes als vor 2020. Die Menschen strömen in Massen zu Konzerten von Adele und Taylor Swift in München, vor der Holzbühne „am Ende der Welt“ (Tammelleo) versammelt sich nur ein überschaubares Grüppchen. „Attention! Angles Morts!“: Vor einem toten Winkel warnen grellgelbe Aufkleber auf vielen Lkw – der Hinterhalt leide unter anderem darunter, dass er komplett außerhalb des Sichtfelds der überregionalen Presse liege. Weitreichende Werbung durch Berichterstattung gibt‘s ergo nicht.
Diese und andere Faktoren stellen Tammelleo und ihr rund 40-köpfiges, rein ehrenamtlich arbeitendes Hinterhalt-Team stets aufs Neue vor wirtschaftliche Herausforderungen – und der negative Besuchertrend „bricht jungen Künstlern das Genick“. Denn die, gibt die 62-Jährige zu bedenken, seien hinsichtlich ihrer musikalischen oder kabarettistischen Entwicklung auf Spielorte wie den Hinterhalt zwingend angewiesen. Bekanntlich war der Kellerraum an der Leitenstraße unter anderem für die Tölzer Band „Bananafishbones“ ein Sprungbrett.
Natürlich kann man jeden Tag die Rolling Stones oder Lokalmatadore wie die Fishbones spielen lassen, dann ist die Hütte immer voll.
Apropos: „Natürlich kann man jeden Tag die Rolling Stones oder Lokalmatadore wie die Fishbones spielen lassen, dann ist die Hütte immer voll.“ Doch ihr Anliegen sei es immer gewesen, Nachwuchskünstlern unter die Arme zu greifen und ihnen buchstäblich eine Bühne zu bieten. Inzwischen sei das Publikum allerdings „weniger experimentierfreudig“, das heißt: Bei Stones und Fishbones weiß man, was man für sein Geld bekommt – für ein Konzert der Band Noch-Unbekannt wird kein Euro ausgegeben.
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Hinterhalt-Wirtin besteht auf 18-Euro-Obergrenze
Konkurrenz belebt das Geschäft – auf den Hinterhalt treffe diese Kaufmanns-Weisheit „weniger“ zu. Die Rahmenbedingungen seien nicht für alle Anbieter von Kulturveranstaltungen im Mittelzentrum Geretsried-Wolfratshausen gleich: „Gegen von offizieller Seite geförderte Kulturarbeit haben wir keine Chance.“ Futterneid liegt der Hinterhalt-Chefin fern, sie betont im Gespräch mit unserer Zeitung ausdrücklich: „Die Stadt Geretsried ist seit rund zehn Jahren unser größter Sponsor und dafür sind wir sehr dankbar!“
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Überhaupt bilden Sponsoren sowie kleine und große Spenden das Hinterhalt-Fundament. Die Eintrittspreise liegen zwischen null und maximal 18 Euro. Verrechnet mit der Künstlergage „ist das eine Nullnummer“. Ganz bewusst will Tammelleo die 18-Euro-Grenze nicht überschreiten, denn nach ihrem Verständnis müssen auch Geringverdiener Zugang zu Kultur haben. „Um diese Obergrenze wird hier oft gerungen“, plaudert sie aus dem Nähkästchen. Aber wer die einst bei Amateurbands singende Frontfrau und bis auf den Tag streitbare Kämpferin für Geistesfreiheit kennt, der weiß, dass sie meint, was sie sagt: „Fällt die 18-Euro-Grenze, schließe ich den Laden ab.“
Vorfreude auf ein „wildes Veranstaltungsjahr“
Was sonst könnte passieren, sodass in der Folge im Hinterhalt die Lichter ausgehen? „Dass die vielen Freiwilligen, die sich als Kartenverkäufer, Kellner, Putzfrauen und -männer oder in der Öffentlichkeitsarbeit engagieren, aufhören. Wenn unser Zusammenhalt hier nicht mehr gewährleistet ist, dann ist Feierabend.“
Trotz aller Widrigkeiten hält Tammelleo das Aus des Hinterhalts auf absehbare Zeit für unwahrscheinlich. Sie sei „gemäßigt optimistisch“ und freue sich auf ein „wildes“ Veranstaltungsjahr 2025. Sie vertraut zum einen auf die „Kulturfamilie Hinterhalt“ und darauf, dass auf der kleinen Bühne am Ende der Welt, die im toten Winkel des Feuilletons darbt, weiterhin „Hoch- und Höchstkaräter“ auf Brettern stehen, die für sie die Welt bedeuten. cce