CDU-Flirt mit der Atomkraft: Experten zerpflücken Merz-Pläne für die hochgelobte Kernfusion

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wirbt im Wahlkampf für die Kernfusion – doch Experten sind skeptisch: Wegen erheblicher „Wissenslücken und Forschungsbedarfe“ sei die Technologie vorerst unbrauchbar.

Berlin – Die Rückkehr der Kernkraft – eigentlich war dieses Streitthema in letzter Zeit streng CSU-Chef Markus Söder vorbehalten. Doch auch Friedrich Merz (CDU) zeigte zuletzt wieder Freude an einem Comeback der Technologie. Anfang November hatte der Kanzlerkandidat der CDU in der Talkshow von Maybrit Illner dafür plädiert, dass Deutschland statt der „hässlichen“ Windräder lieber auf innovative Technologien wie die Kernfusion setzen solle. Überhaupt sei die Windkraft nur eine Übergangstechnologie, die man eines Tages wieder abbauen könne. Damit erneuerte Merz eine Forderung aus dem Jahr 2022, sich intensiver mit der Kernfusion zu beschäftigen. Damals gelang einem US-Forscherteam bei der Verschmelzung von Atomkernen mehr Energie zu generieren als zu verbrauchen.

Merz setzt Hoffnung auf Kernfusion – Experten bremsen Euphorie: „Wissenslücken und Forschungsbedarfe“

Ein weiterer Vorteil: Anders als die Kernspaltung in aktuellen Atomkraftwerken entstehen bei der Kernfusion keine Risiken oder giftigen Abfälle. Dass dafür künftig ein Teil der Erneuerbaren Energieträger weichen solle, ist hingegen neu und aus wissenschaftlicher Sicht fraglich. Und auch die Überzeugung von Merz, dass Kernfusion in den kommenden Jahren einen Beitrag zum Klimaschutz oder der Energieversorgung beitragen könne, widerspricht der Meinung führender Experten.

So kommt der aktuelle Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) zu dem Urteil, dass ein Durchbruch der sauberen Atomtechnik noch in weiter Ferne liege. Vielmehr führt das parteiübergreifend angesehene Gremium aus Experten erhebliche „Wissenslücken und Forschungsbedarfe“ an, die sich kurzfristig nicht lösen ließen. Auch eine Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften aus August 2024 bremst die Erwartungen an die neue Technologie: Ein wirtschaftlicher Einsatz sei nicht garantiert, heißt es in dem Bericht. Ähnlich wie auch das TAB-Büro erwarten die Wissenschaftler einen serienmäßigen Einsatz frühestens in 20 bis 25 Jahren – wenn überhaupt. Das gelte laut den TAB-Experten im Übrigen auch für Start-ups, die derzeit versprechen, bereits in zehn Jahren einsatzbereit zu sein.

Friedrich Merz und Markus Söder
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wirbt für die Kernfusion – Unterstützung erhält er aus der Schwesterpartei CSU. © Kay Nietfeld/dpa

Derartige Einschätzungen halten allerdings einige Politiker nicht vom Träumen ab. Neben Merz erklärte auch Bettina Stark-Watzinger, ehemalige Forschungsministerin der FDP in der Ampel, ebenfalls 2022, dass ein entsprechendes Kernfusions-Kraftwerk bereits in zehn Jahren „verlässlich und günstig“ Energie erzeugen könne.

Union sieht Kernfusion „in greifbarer Nähe“ – doch Radioaktivität, Technik und Material werfen Fragen auf

Ähnliches war vor wenigen Tagen auf dem parteiinternen Energiekongress der Union zu hören, die zudem Deutschland in der Vorreiter-Rolle sieht: „Der erste an das Netz angeschlossene Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen.“ Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) jubelte sogar, dass der Durchbruch in „greifbarer Nähe“ und „keine Frage von Jahrzehnten“ sei.

Dabei sind speziell die Fragen der Technik und der Effizienz noch immer ungeklärt. Die Fusionskraftwerke benötigen etwa das extrem seltene und radioaktive Isotop Tritium. In der Praxis fehlen allerdings nach wie vor die Technologien, um dieses in den Fusionsprozessen zu gewinnen. „Die dafür nötigen Technologien sind kaum entwickelt und erprobt“, schreiben auch die TAB-Experten. Eine Beschaffung aus anderen Quellen benötige einen Vorlauf von bis zu 10 Jahren.

Gleichzeitig sei die Radioaktivität und enorme Hitze innerhalb der Fusion „eine enorme Herausforderung für die Materialentwicklung“. Zumal der entstehende Müll ebenfalls entsorgt werden müsse – ähnlich wie bei herkömmlichen Atommeilern.

Frauenhofer-Studie: Erneuerbare Energien sorgen für günstigen Strom – kann die Kernfusion mithalten?

Eine Serienproduktion „Made in Germany“ – die Vision der Union – würde laut Experten zudem Unsummen kosten. Aufgrund des unklaren Entwicklungshorizonts hätten die Fusionskraftwerke ohnehin keinen Einfluss auf die Klimaziele von Deutschland. Der künftige von Erneuerbaren Energien dominierte Strommarkt ließe sich laut der Experten der Wissenschaftsakademien ohnehin nur schwer mit den Fusionskraftwerken kombinieren. Bereits jetzt bezieht Deutschland rund 59 Prozent aus Wind- und Solarkraft oder Biomasse – bis 2040 soll der Anteil konsequent steigen. Auch preislich dürften die Erneuerbaren Energien in der Zukunft außer Konkurrenz laufen.

Laut einer Studie des Frauenhofer Instituts sei bei flächendeckendem Ausbau und entsprechenden Speicherkapazitäten möglich, Strom aus Wind- und Sonnenenergie für unter zehn Cent pro Kilowattstunde zu erzeugen. Im günstigsten Fall rechnen die Experten sogar mit weniger als fünf Cent. Fraglich, ob die Prototypen der Kernfusion in 20 bis 25 Jahren mit diesem Preisniveau mithalten können.

Und dennoch: Merz schaltet in den Wahlkampfmodus und gibt sich kämpferisch: Er habe „zwei große Forschungsreaktoren“, die in Deutschland die Kernfusion erproben sollen, bereits selbst besucht: „Das sind doch Perspektiven für die Energieversorgung unseres Landes – und nicht einseitig Wind und Sonne.“ Er wolle alle Erzeugungsquellen haben.

Auch interessant

Kommentare