Das rätselhafte Fallschirmsprung-Verbot in Altenstadt - Ausbildung leidet und Unmenge an Geld wird verbrannt

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Einsteigen dürften die Fallschirmspringer in die M-28, doch das automatische Absetzen ist derzeit untersagt. © Hans-Helmut Herold

Seit Monaten gibt es ein Startverbot für das Flugzeug, mit dem die Fallschirmspringer in Altenstadt normalerweise ihre Ausbildung absolvieren. Die Geschichte ist völlig verfahren.

Altenstadt – Oberstleutnant Martin Holle rätselt noch immer, was da alles wirklich passiert ist. Seit Mitte 2017, schon weit vor Holles Dienstantritt 2021 in Altenstadt, ist die M-28 Skytruck für die Fallschirmspringer-Ausbildung im Einsatz, all die Jahre gab es nie Probleme – bis jetzt das automatische Absetzen aus der Maschine untersagt wurde.

Der Streitpunkt ist die „Springer-Rückhol-Berge-Einrichtung“. Beim automatischen Absetzen sind die Fallschirmspringer eingehakt und beim Sprung aus dem Flugzeug wird automatisch per Aufziehleine der Fallschirm geöffnet. „Theoretisch kann es vorkommen, dass sich etwas verhakt und der Springer an der Leine hinterhergezogen wird“, sagt Holle. Dann müsse der Springer mit der Berge-Einrichtung zurück ins Flugzeug gezogen werden. Das funktioniert elektrisch.

„In anderen Staaten hat man die Springer einfach abgeschnitten, sie haben ja immer einen Reservefallschirm dabei“, sagt Holle. Das mache man heute natürlich nicht mehr. Deshalb wurde die M-28, die einem privaten Betreiber in Magdeburg gehört, mit dem System nachgerüstet. Die Konstruktion wird bei Bedarf in die Flugzeugzelle eingesetzt, auf bestehende Schienen, damit die Stabilität gewährleistet ist.

Laut Betreiber lief die dreijährige Entwicklung in engster Abstimmung mit dem Luftfahrtamt der Bundeswehr (LufaBW). „Wir haben das mit 80 Kilo schweren Attrappen hier bei uns in Altenstadt getestet, das lief immer problemlos“, sagt Holle – im Ernstfall gebraucht habe man die Rückhol-Einrichtung bei tausenden Fallschirmsprüngen aus der M-28 noch nie.

Das sagen Bundeswehr und Luftfahrt-Bundesamt

Die Recherche zu den Hintergründen ist nicht einfach – und durchaus verwirrend. Beim für die LL/LTS Altenstadt zuständigen Pressezentrum des Heeres heißt es auf unsere Anfrage: „Gemäß Anordnung Luftfahrt-Bundesamt ruht seit November 2023 die flugbetriebliche Genehmigung für die Nutzung des Lfz M-28 Skytruck zum Sprungdienst mit automatischer Auslösung.“ Zum Hintergrund: Das erste Veto kam bereits im Juni, wurde dann aus unerfindlichen Gründen Wochen später wieder aufgehoben, ehe im November das endgültige Aus folgte.

Die Anfrage beim Luftfahrt-Bundesamt (LBA) wiederum erstaunt nach der Deutlichkeit der Heer-Pressestelle: „Es wurde vom Luftfahrt-Bundesamt keine Genehmigung entzogen, da der Automatik-Fallschirmsprungbetrieb nicht Gegenstand einer zivilen Genehmigung ist.“

Und weiter: „Falls durch das Unternehmen eine Änderung bzw. Erweiterung der zivilen Zulassung/Genehmigung (z.B. für einen Automatiksprung) angestrebt wird, kann sich das Unternehmen an die EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit, Anm. d. Red.) und das LBA wenden.“ Dann sei der Nachweis zu führen, „dass die erforderlichen technischen und flugbetrieblichen Voraussetzungen gemäß den entsprechenden zivilen luftrechtlichen Vorschriften geschaffen wurden, um auch in solchen Fällen (z.B. für einen Automatensprung) einen sicheren Flugbetrieb mit den eingesetzten Luftfahrzeugen zu gewährleisten“.

Jahrelang zusammen entwickelt, aber trotzdem keine Zulassung

Wie kann es sein, dass ein System jahrelang zusammen mit dem LufABW entwickelt wird und dann angeblich keine Zulassung hat? Bei der Bundeswehr-Behörde nehmen sich gleich zwei Mitarbeiter, die nicht namentlich genannt werden wollen, viel Zeit, erzählen einiges, was nicht geschrieben werden darf, und versuchen, den Sachverhalt zu erklären.

Zusammengefasst lautet das Ergebnis: Obwohl die „Springer-Rückhol-Berge-Einrichtung“ eine rein militärische Geschichte ist, ist das LBA plötzlich der Meinung, dass es auch dafür eine zivile Zulassung braucht – und Ober sticht Unter, also LBA das LufABW. Tätig geworden ist das LBA offenbar nach wiederholter Intervention eines Privatmanns, der schon nach der Auftragsvergabe an die M-28 mehrfach Strafanzeige gegen die Bundeswehr gestellt hatte.

Im LufABW wird nun verzweifelt nach einer Lösung gesucht. Es werde gerade geprüft, ob die M-28 weiter für den Automatik-Sprung genutzt werden kann, ohne juristische Konsequenzen fürchten zu müssen. „Denn es gibt kein vergleichbares verfügbares Flugzeug“, sagt der Sprecher – was nicht viel Hoffnung macht, wenn der Vertrag mit dem Betreiber 2025 endet und neu ausgeschrieben werden muss, was derzeit vorbereitet wird. Die große A400M als Ersatz sei nur eine Notlösung: „Sie ist eigentlich nicht für die Fallschirmsprung-Ausbildung vorgesehen, und wir sind auch nicht mit so einer Zahl gesegnet, dass wir sie immer dafür nutzen können.“ Man würde am liebsten morgen wieder mit der M-28 fliegen.

Eine Lösung könnte sein, dass der M-28-Betreiber die Nachrüstung vom LBA genehmigen lässt. Doch der denkt gar nicht daran, weil es seiner Meinung nach nicht notwendig ist: „Im Ausland ist das Flugzeug nach wie vor in mehreren Ländern damit im Einsatz.“

Auch der Hersteller, der US-Konzern Lockheed Martin, sei der Meinung, dass die Nachrüstung der Rückhol-Einrichtung nur ein minder schwerer Eingriff sei, der nicht genehmigt werden müsse. „Das hat auch die EASA bestätigt“, so der Betreiber. Er würde möglicherweise auch juristisch gegen einen negativen Bescheid des LBA vorgehen, „doch so einen gibt es nicht“.

Jeder A400M-Besuch verbrennt enorme Summen Geld

Dass der Ausfall der M-28 nicht nur die Fallschirmsprung-Ausbildung empfindlich stört, sondern auch finanziell ein Desaster ist, zeigt das aktuelle Prozedere. Der Airbus A400 steht laut Oberstleutnant Martin Holle, Kommandeur der LL/LTS, ungefähr einmal im Monat zur Verfügung und fliegt dann aus Wunstorf (Niedersachsen) an. Die Flugstunde kostet 60 000 Euro, allein für An- und Abflug gehen also 180 000 Euro drauf (wir berichteten).

Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Denn die in Magdeburg stationierte M-28, bei der eine Flugstunde 6000 Euro kostet, kann in Altenstadt starten und landen, was erheblich Zeit spart. Der A400M muss nach Memmingen, Lagerlechfeld oder zuletzt sogar Oberpfaffenhofen ausweichen, weil die anderen beiden Optionen nicht zur Verfügung standen. Das hat für die Soldaten aus Altenstadt lange Anfahrtswege zur Folge – und nicht nur einmal.

Denn in der Praxis schaut das so aus: Die A400M kommt angeflogen, die Lehrgangsteilnehmer aus Altenstadt werden mit Bussen zu einem der drei Flugplätze gefahren. Sie steigen ein, der A400M fliegt los, die Soldaten springen am Absetzplatz über Altenstadt ab.

Bei der M-28 können alle bis zu 14 Passagiere hintereinander abspringen. In die A400 dagegen werden bis zu 80 Soldaten reingepackt, weil die raren Sprungkapazitäten natürlich genutzt werden müssen. Weil der Absetzplatz irgendwann zu Ende ist, muss der A400M wenden, erneut anfliegen und die zweiten 20 absetzen, dann die nächste und wieder die nächste Gruppe. Das kostet Zeit – laut Holle rund zwei Stunden – und natürlich Geld.

Wenn alle abgesetzt sind, geht es für die Soldaten mit neu gepackten Fallschirmen wieder in den Bus und zurück zum Flugplatz, um den nächsten Sprung folgen zu lassen. Und manchmal noch einen dritten. Am nächsten Tag geht es dann weiter, bis idealerweise alle Lehrgangsteilnehmer die vorgeschriebenen fünf Sprünge absolviert haben. Bis zu fünf Flüge an zwei Tagen, die jeweils mehrere Stunden dauern – man muss kein Mathematik-Genie sein, um zu wissen, dass jeder Besuch des A400M in Altenstadt annähernd eine Millionensumme kostet.

Weil auch mal etwas nicht klappt, zum Beispiel das Wetter zu schlecht ist wie vergangene Woche mit zu viel Wind über Altenstadt, als die A400M lange Zeit über Weilheim kreiste, oder sie anderweitig gebraucht wird, schaffen nicht alle Soldaten die vorgeschriebenen fünf Sprünge. Manchmal verpassen Springer für den dreiwöchigen Lehrgang auch komplett das A400-Zeitfenster – wie ebenfalls vergangene Woche, als das bereits einen Tag zu spät eingetroffene Flugzeug wegen eines Defekts wieder die Rückreise antreten musste. Diese Soldaten müssen dann extra nochmal aus ganz Deutschland anreisen, wenn die A400M mal wieder da ist – ein enormer Aufwand.

In ihrer Not haben die Altenstadter ihre Fühler schon nach der C130 Hercules ausgestreckt, ebenfalls ein großes Transportflugzeug, das zur gemeinsamen Flugzeustaffel mit Frankreich gehört. Allerdings gibt es davon bisher auch nur eine Handvoll Maschinen und sie sind in Frankreich stationiert – ein guter Plan sieht anders aus.

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