Grafing ohne Kinderarzt: Apotheker startet Unterschriftenaktion - Mediziner: „Das ist Träumerei!“

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Martin Haslsperger (52), Hausarzt in Grafing, sagt, dass er die Kirchseeoner Familienpraxis nur empfehlen könne. Dass sich in Grafing ein zusätzlicher Kinderarzt ansiedelt, hält er aus mehreren Gründen für unplausibel. © privat

Grafing hat seit Jahresbeginn keinen Kinderarzt mehr. Ein Apotheker sammelt Unterschriften für eine neue Praxis, doch die Suche könnte schwierig werden. Ein Hausarzt hält das Unterfangen für aussichtslos und macht ein Angebot.

Grafing/Kirchseeon – Seit Anfang des Jahres hat Grafing keinen Kinderarzt mehr – und bei den Eltern vor Ort sorgt das offenkundig für Unmut. Der ortsansässige Apotheker Josef Hofer hat nach eigener Auskunft mehr als 900 Unterzeichner für seine Unterschriftenliste beisammen, mit der er sich für eine Wiederansiedlung einer Kinderarztpraxis in Grafing starkmachen will. Wie genau, sei in der Ausarbeitung.

Ärztemangel: Mediziner hält Unterschriftensammlung für „Träumerei“

Den Bedarf sieht auch der im selben Haus in der Schwarzbäckstraße praktizierende Hausarzt Martin Haslsperger. Über die Unterschriftensammlung der Hofer‘schen Apotheke und einen möglichen Effekt aber sagt er: „Das ist Träumerei.“ Schließlich habe der bisherige Grafinger Kinderarzt, Rainer Valentin, sieben Jahre suchen müssen, bis er eine Nachfolgerin gefunden habe – die in Person von Melissa Ardan-Bajbouj nun in Kirchseeon praktiziert. Der 52-jährige Mediziner sieht insgesamt schwarz für die Praxen-Nachfolge in der Region, seine eigene irgendwann eingeschlossen. „Es ist einfach nicht so, dass in Rosenheim Ärzte sitzen, die warten, bis in Grafing eine Praxis frei wird“, sagt er über die geringe Nachfrage nach Haus- und Kinderarztniederlassungen außerhalb der Großstädte.

Zudem dürfte der kinderärztliche Versorgungsgrad im Landkreis Ebersberg derzeit noch immer bei mehr als 100 Prozent liegen. Die Zahlen der Kassenärztlicher Vereinigung Bayern zum neuen Jahr stehen noch aus, im August 2024, als statt Ardan-Bajbouj noch Valentin praktizierte, lag die Quote aber laut KVB bei 114,91 Prozent. Hat sich sonst nicht groß etwas an den Bevölkerungszahlen oder Ärzte-Stellen geändert, stünde dem Landkreis ungeachtet des Ansturms auf die vorhandenen Praxen wohl kein weiterer Kinderarzt in Grafing oder anderswo zu, selbst für den Fall, dass sich ein Interessent fände.

Statistische Überversorgung im Landkreis Ebersberg – Nachfrage in Grafing dennoch hoch

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Umgekehrt ist aber die Nachfrage der Eltern in Grafing offenbar so groß, dass Hausarzt Haslsperger nun per Aushang ein Angebot macht: Kinder, die älter als drei Jahre sind, könne er als behandelnder Arzt aufnehmen, kümmere sich auch ohne Termin um Notfallbehandlungen. Lediglich die sogenannten „U-Untersuchungen“, zehn Termine, die sich von der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr erstrecken, könne er nicht anbieten. „Ich bin Internist und Notfallmediziner und mache, was ich kann“, sagt er. Es gebe einen großen Bedarf nach kinderärztlicher Versorgung vor Ort in Grafing und er habe Kapazitäten für 200 bis 300 Patienten. „Wir sind da, wenn sie uns brauchen.“

Haslsperger sagt aber auch über die vorhandenen pädiatrischen Angebote im Landkreis: „Wir wollen niemandem die Patienten wegnehmen!“ Die Kirchseeoner Familienpraxis, die Patientenstamm und Team des Grafingers Valentin übernommen hat, könne er nur empfehlen: „Familien, die dort einen Termin kriegen, sind sehr gut aufgehoben.“

Ansturm auf neue Praxis in Kirchseeon – Platz für Grafinger Familien

Melissa Ardan-Bajbouj, die neue Kinderärztin in Kirchseeon, erlebt zurzeit einen großen Ansturm auf ihre Praxis. „Es ist Infektzeit“, sagt sie der Ebersberger Zeitung am Telefon über die schniefenden und fiebernden Kinder, die wegen Influenza und Co. zurzeit das Wartezimmer füllten. Die Medizinerin betont aber, dass alle ehemaligen Patienten der Valentinschen Praxis in Grafing zu ihr kommen könnten: „Sie haben hier genauso einen Platz!“ Auch akute Fälle arbeite sie täglich nach Kräften ab. Lediglich Familien, die bereits kinderärztlich versorgt seien und nur wechseln wollten, könne sie keine Aufnahme in den Patientenstamm garantieren.

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