An einem Punkt kann Trumps Zerstörungswut unbeabsichtigt Gutes bewirken

Donald Trump ist ein epochales Phänomen, eine politische Abrissbirne der Weltordnung, die auf ebenso irritierende wie makaber unterhaltsame Weise operiert. Seine Taktik erinnert an das Prinzip maximaler Unordnung: Provokation als politische Methode, Chaos als permanente Strategie. 

Trump wirbelt die globalen Beziehungen durcheinander, und das mit einer schwindelerregenden Vehemenz, die nicht nur bei Diplomaten weltweit chronische Schweißausbrüche verursacht, sondern bei uns allen zunehmend den Eindruck hinterlässt, einer überlangen Netflix-Serie beizuwohnen, deren Drehbuchautoren längst den Bezug zur Realität verloren haben.

Trumps Vorgehen in Grönland ähnelt einem Monopoly-Spielzug

Betrachten wir zunächst die surrealistischen Episoden seiner Präsidentschaft: Da präsentiert Trump ernsthaft Gaza als „Riviera des Nahen Ostens“, ignorierend, dass dies nicht nur politisch ignorant, sondern geradezu satirisch zynisch wirkt. 

Währenddessen plant er beiläufig die Annexion Grönlands, als handle es sich um einen Monopoly-Spielzug auf globaler Ebene. Eine Karikatur der Realität, und doch bitterer Ernst. 

Trump verfolgt eine Art politische Theaterkunst, eine hyperaktive Performance, die jeden Zuschauer ratlos macht: Soll man lachen, weinen oder in blanker Panik das Theater verlassen?

Trump sprengt die träge Komfortzone

Doch gerade diese manische Unberechenbarkeit eröffnet uns neue Räume der Selbstreflexion und Handlungsmacht. Trump sprengt die träge Komfortzone, in der sich der Westen seit Jahrzehnten eingerichtet hat. Diese unbequeme Wahrheit zwingt uns, insbesondere Europa, endlich Position zu beziehen, aktiv zu werden und sich auf eigene Füße zu stellen. Opportunismus ist keine Option mehr. 

Wer jetzt noch zögert, wer sich zurücklehnt und glaubt, die alten Zeiten kehrten irgendwann von selbst zurück, zeigt nicht nur Schwäche, sondern versäumt eine historische Chance auf die Gestaltung eigener Zukunftssouveränität.

Stammelnde Statisten: Viele großen Personen knicken vor Trump ein

Trumps eigentliche Stärke ist paradoxerweise exakt die Schwäche seiner Gegner. Viele große Persönlichkeiten knicken vor ihm ein, kriechen förmlich, als seien sie seiner Realität verpflichtet. 

Es ist beschämend und zugleich bezeichnend, wenn etablierte Politiker zu stammelnden Statisten in Trumps globalem Reality-Drama werden. 

Trump erzeugt aber auch Helden voller Haltung, Würde und Mut

Doch genau in diesen Momenten glänzen plötzlich Unterschätzte: Menschen wie Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum oder Frankreichs Generalstabschef Thierry Burkhard wachsen in der Herausforderung, Trump entschlossen und souverän entgegenzutreten. 

Trump erzeugt ungewollt Heldinnen und Helden, deren klare Haltung, Würde und Mut in der politischen Landschaft lange vermisst wurden. Wir brauchen mehr davon, vor allen auch bei uns.

Dieses epochale Phänomen hat noch eine andere überraschende Qualität: Trump agiert gleichsam wie eine hyperaktive künstliche Intelligenz. Seine Methode der spontanen, impulsiven und skrupellos schnellen Veränderung zwingt uns, unsere eigenen politischen, gesellschaftlichen und ethischen Systeme radikal neu zu kalibrieren. Wir können es uns nicht mehr leisten, behäbig und zögerlich auf neue Realitäten zu reagieren. 

Trump agiert disruptiv, und wer in dieser Arena mithalten möchte, muss selbst disruptiv denken lernen. Nicht in Trumps destruktivem Sinne, sondern in Form eines konstruktiven Wandels, der auf Werte, Demokratie und Vernunft setzt.

Hier liegt die große Chance Europas. Trump macht endgültig klar: Der amerikanische Schutzschirm, die alte Gewissheit, eine vermeintlich unerschütterliche transatlantische Allianz im Rücken zu haben, ist vorbei. 

Über den Experten Thomas Druyen

Thomas Druyen beschäftigt sich seit über drei Jahrzehnten mit den Auswirkungen von Veränderung auf die Psyche, die Gesellschaft und die Generationen. Er ist seit 2015 Direktor des Instituts für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement sowie seit 2006 Direktor des Institutes für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud Privat Universität in Wien. Sein aktuelles Buch heißt: „Aus der Zukunft lernen – der Leitfaden für konkrete Veränderung.“

Hier kann Trumps Zerstörungswut unbeabsichtigt Gutes bewirken

Europa muss erwachsen werden. Es braucht ein militärisch dominantes, eigenständig handlungsfähiges Europa, dessen Selbstbewusstsein nicht mehr von Washingtons Launen abhängt. 

Genau hier kann Trumps Zerstörungswut unbeabsichtigt Gutes bewirken: Er provoziert uns zur Selbstfindung, zur Reaktivierung unseres gesunden Menschenverstandes, zu jener pragmatischen Klarheit, die Europa einst stark gemacht hat.

Ein militärisch souveränes Europa ist aber nur ein Baustein einer umfassenderen Zukunftsarchitektur. Diese neue Architektur umfasst eine Renaissance demokratischer Werte und Institutionen, klare Abgrenzung gegen Populismus und radikale Polarisierung. Trump, der verdrehte Meister der Unwahrheiten, zwingt uns geradezu dazu, Wahrhaftigkeit und Vernunft als essenzielle politische Werte neu zu entdecken und konsequent zu stärken. 

"Wer jetzt nicht erkennt, dass die Zerstörung alter Strukturen notwendigerweise auch Raum für Neues schafft, verschenkt historische Chancen"

Es klingt paradox, aber gerade der Irrsinn seiner täglichen Tweets, die permanente Verdrehung von Tätern und Opfern, der systematische Angriff auf die Wahrnehmung von Fakten – all das macht den Wert von Wahrheit, Stabilität und Rationalität umso offensichtlicher.

Der Philosoph Jean-Paul Sartre formulierte einst treffend: „Es gibt schönere Zeiten, aber diese ist die unsere.“ Genau hier stehen wir heute. Ja, Trump ist globaler Bulldozer, und seine Amtszeit gleicht einer nervenaufreibenden Achterbahnfahrt. 

Aber wer jetzt nicht erkennt, dass die Zerstörung alter Strukturen notwendigerweise auch Raum für Neues schafft, verschenkt historische Chancen. Trump zwingt uns, zu wachsen – individuell, gesellschaftlich, politisch. Er zwingt uns, aktiv, eigenständig und selbstbewusst zu werden.

Trumps Fehler und Übertreibungen offenbaren schonungslos die Schwächen der bisherigen Weltordnung

Trumps absurde Eskapaden – seien es die konfusen geopolitischen Fantasien oder sein groteskes Unvermögen, einfache Fakten anzuerkennen – erinnern uns täglich daran, wie wichtig klare, verlässliche politische Institutionen sind. Seine Fehler und Übertreibungen offenbaren schonungslos die Schwächen der bisherigen Weltordnung. Das ist nicht angenehm, aber notwendig. Denn nur was sichtbar wird, kann geheilt werden.

"Trump mag tatsächlich ein epochaler Weltordnungs-Schocktherapeut sein, aber er zwingt uns, Architekten unserer eigenen Zukunft zu werden"

Die Aufgabe Europas besteht nun darin, die Trumpsche Herausforderung mutig anzunehmen. Wir müssen lernen, aus seinen Schwächen Kapital zu schlagen. Europa darf nicht länger in der Rolle des erschrockenen Hasen verharren, der gebannt auf die Schlange Trump starrt. Stattdessen sollten wir diese skurrile politische Epoche als Aufforderung verstehen, eine neue, robuste und eigenständige Zukunft aufzubauen – eine Zukunft, die nicht mehr abhängig ist von einem unberechenbaren Weißen Haus, sondern getragen von eigener Kraft, Vernunft und Selbstbewusstsein.

Trump mag tatsächlich ein epochaler Weltordnungs-Schocktherapeut sein, aber er zwingt uns, Architekten unserer eigenen Zukunft zu werden. Genau hier liegt sein paradoxes historisches Phänomen. Es liegt jetzt an uns, diese Chance entschlossen und kreativ zu ergreifen.

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