"Werden verarscht": TV-Star wütet wegen Grenzkontrolle - so reagiert Polizei
Die verschärften Grenzkontrollen werfen auch mehr als eine Woche nach der Weisung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt Fragen auf. Neben massiven rechtlichen Bedenken wundern sich Grenzgänger immer wieder über die wahrnehmbaren Unterschiede an den verschiedenen Übergängen.
Deutlich wurde das auch in einem Video von Schlagerstar Jürgen Milski. Am Wochenende zeigte er auf der Plattform Tiktok die Kulisse an der deutsch-österreichischen Grenze zwischen Salzburg und Freilassing. An der Saalachbrücke hat die Bundespolizei einen festen Kontrollpunkt mit Containern eingerichtet. Beamte zeigen hier nun wieder rund um die Uhr Präsenz.
Grenzkontrollen mit Lücken: "Es kontrolliert kein Mensch!"
Abseits der Hauptverkehrswege offenbart sich jedoch oft eine ganz andere Kulisse. Diesen Kontrast hat nun auch Milski eingefangen: Eine parallel verlaufende Fußgängerbrücke, von der aus der Schlagerstar filmt, wirkt gänzlich unkontrolliert. „Wer einfach einwandern möchte, kann einfach hier entlanggehen. Es kontrolliert kein Mensch!“, wundert sich Milski. Er formuliert seine Kritik deutlich: „Da fehlen mir die Worte. Wir werden in Deutschland von den Politikern rund um die Uhr nur verarscht.“ Das Video hat inzwischen mehr als 1,8 Millionen Aufrufe.
Weniger drastisch, dafür ähnlich verwundert, fällt der Eindruck eines Touristen im bayerischen Burghausen aus. „Da war nichts“, sagte er am ersten Wochenende der verschärften Kontrollen zu FOCUS online über die dortige Brücke, die ins österreichische Ach führt. An einer zweiten Brücke sah FOCUS online zwar eine Streife, doch intensiv kontrolliert wurde hier nicht: Ein Polizist blickte von der Brüstung auf die Salzach, der zweite machte es sich auf dem Fahrersitz bequem. Sämtliche Autos fuhren an ihnen vorbei, ohne Beachtung zu finden.
Einige Kilometer weiter nordöstlich, am Übergang vom österreichischen Braunau am Inn über die Brücke ins deutsche Kirchdorf am Inn, folgte dann die Überraschung für den Touristen: „Da waren fünf oder sechs Busse und Streifen, Polizisten in voller Montur, die die Waffe offen getragen haben.“ An der Abfahrt habe er dann noch weitere Polizeiautos entdeckt. „Das war ein krasser Unterschied zwischen nichts und so einem Aufgebot“, sagte er. Doch umso mehr verstärke sich der Eindruck: „Das ist für mich Symbolpolitik.“
Beamten vor Ort agieren mit Augenmaß
Für die Bundespolizei bedeuten die intensivierten Grenzkontrollen indes einen Spagat. Zwar sollen die Beamten unerlaubte Einreisen verhindern, seit der Weisung aus dem Bundesinnenministerium sogar Asylsuchende zurückweisen. Dabei decken sie auch immer wieder andere Straftaten auf. Gleichzeitig gilt nach wie vor die Freizügigkeit der Bürger nach dem Grundsatz der offenen Grenzen. Dementsprechend versuchen die Beamten vor Ort, den Grenzverkehr mit Augenmaß möglichst wenig auszubremsen.
Allein im Bereich der Bundespolizeiinspektion Freilassing müssen sie 225 Kilometer Grenze und 21 Grenzübergänge im Blick behalten. Drei davon sind rund um die Uhr durch Einsatzkräfte besetzt, wie ein Sprecher der Bundespolizei auf Nachfrage von FOCUS online mitteilt: „Die Maßnahmen der Bundespolizei an den deutschen Schengen-Binnengrenzen werden lageangepasst, zeitlich und örtlich flexibel, sowie uniformiert und zivil durchgeführt.“ Die Abwesenheit uniformierter Kräfte vor Ort bedeute nicht, dass die Bundespolizei nicht präsent sei. „Wir haben die Überwachungsmaßnahmen an allen anderen Grenzübergängen deutlich intensiviert“, bekräftigt der Sprecher.
Zahlen zu verhinderten unerlaubten Einreisen will die Bundespolizeiinspektion Freilassing auf Nachfrage nicht nennen: „Bitte haben Sie Verständnis, dass gegenwärtig noch keine Aussagen zu möglichen quantitativen Veränderungen getroffen werden können.“ Erste Statistiken aus dem Bundesinnenministerium hatten ein allerdings zweigeteiltes Bild vermittelt.
Zwar präsentierte Bundesinnenminister Dobrindt nach einer Woche verschärfter Grenzkontrollen eine Steigerung bei den Zurückweisungen um rund 45 Prozent als Erfolg. Unter den 739 zurückgewiesenen Menschen fanden sich jedoch lediglich 32 Asylsuchende. Alle anderen wären auch vor der Weisung zurückgewiesen worden. Doch wegen der angeblich nach wie vor zu hohen Zahl von Asylsuchenden schickte Dobrindt rund 3000 Bundespolizisten an die deutschen Grenzen.
Zurückweisungen möglicherweise auch mit Weisung aus Bundesinnenministerium rechtswidrig
Eine Recherche von FOCUS online zeigte darüber hinaus, dass die Zurückweisungen an mehreren Grenzübergängen auch mit der Weisung aus dem Bundesinnenministerium rechtswidrig sein könnten. Selbst unter Aussetzung von EU-Recht müsste das Bundesinnenministerium Grenzübergangsstellen zulassen, hat dies jedoch bislang nicht getan. Nach nationaler Rechtslage sind nur dort oder unmittelbar an der Grenzlinie Zurückweisungen möglich. Das Beispiel zweier aufgegriffener Afghanen an der Grenze zu Polen hatte die rechtlichen Herausforderungen auch in der Praxis aufgezeigt.
Das Bundesinnenministerium lässt Fragen dazu seit mehr als einer Woche unbeantwortet. Von der Bundespolizei heißt es dazu vage: „Dabei gilt die Person bis zum Abschluss der polizeilichen Maßnahmen mit unmittelbarem Grenzbezug als noch nicht eingereist, selbst wenn die Grenzlinie bereits passiert worden sein sollte.“
Unter anderem Rechtsprofessor Constantin Hruschka kritisiert die aktuelle Praxis als „evident rechtswidrig“. In einem Beitrag für den „Verfassungsblog“ hat er sämtliche Rechtfertigungsstränge von Bundeskanzleramt, Bundesinnenministerium und Bundespolizei analysiert und die Widersprüche der drei Institutionen aufgezeigt. Insgesamt wirft er ihnen „Rechtsbruch“ vor.