Endspurt im US-Wahlkampf - Harris taumelt Pleite gegen Trump entgegen: Nur eine Sieg-Chance hat sie noch

Das Foto ist meisterhaft, es ziert die aktuelle Ausgabe von „Vogue“. Es zeigt eine elegante Vizepräsidentin der USA, gewandet in einem Mokka-farbigen Kostüm zu einer abgestimmten Seidenbluse, in Szene gesetzt von Starfotografin Annie Leibovitz. Es könnte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Kamala Harris am Dienstag übernächster Woche die Präsidentschaftswahl krachend verlieren wird. Auf jeden Fall ist es ein Symbol für die Strategie der Konkurrenten.

Denn ungefähr zur selben Zeit wie das Hochglanzcover der Spitzenkandidatin der Demokraten fluteten auch Bilder von Donald Trump, ihrem republikanischen Gegenkandidaten, die sozialen Netzwerke. Sie waren zumeist nicht von Meisterfotografen geschossen worden, sondern von Gästen einer McDonald’s-Filiale in Feasterville (Pennsylvania). Sie zeigten Trump, wie er Kunden am Drive-Through-Fenster Pommes und Burger aushändigte, mit den Angestellten des Fastfood-Restaurants scherzte und Bodenständigkeit demonstrierte. Hier die feine Dame, die für das wohlhabende Publikum posiert, da der hemdsärmelige Milliardär, der Normalos mit Essen versorgt.

Trump gegen Harris: Rennen ist eng - Ex-Präsident liegt in Umfragen vorne

Man erinnert sich an Hillary Clintons Bemerkung im Kreis wohlhabender Unterstützer im Wahlkampf 2016, als sie „die Hälfte der Trump-Anhänger in das, was ich den Korb der Bedauernswerten nennen würde“, einordnete, nämlich „rassistische, sexistische, schwulen-, fremden- und islamfeindliche, was auch immer“ Zeitgenossen. Der Aufruhr über diese von einem Anwesenden heimlich mitgeschnittene und in die Öffentlichkeit gespielte Pauschalisierung atomisierte Clintons letzte Hoffnungen auf einen Wahlsieg, und obwohl sie bei den Direktstimmen vor Trump landen sollte, verlor sie in den entscheidenden Swingstates.

Und dort, in diesen Staaten, die weder solide republikanisch rot noch demokratisch blau, sind, sondern bei jeder Wahl neu erobert werden müssen, liegt Trump inzwischen vorn – und zwar in allen von ihnen. Der Ex-Präsident führt in Michigan (0,2 Prozentpunkt), Pennsylvania (0,5), Wisconsin (0,1), Arizona (1,5), North Carolina (0,7) und Georgia (2,2). Es ist überall knapp, innerhalb der Fehlermarge. Aber der Trend beginnt sich zu Gunsten von Trump zu verstetigen, und immerhin hat er in den Top-Battleground-Staaten nun eine Führung von 0,9 Punkten. Die Zeichen deuten darauf hin, dass der nächste Präsident der USA wieder Donald Trump heißt .Damit würde erstmals ein verurteilter Straftäter das mächtigste Amt der Welt einnehmen.

Harris startete gut

Hatte Harris in den ersten Wochen und sogar Monaten nach dem Juli-Rückzug des 81-jährigen Joe Biden in allen Umfragen geführt,iist dieser Effekt der „Neuen“ erkennbar aufgebraucht. Harris, soeben 60 geworden, startete gut in das Rennen, und zur Verblüffung des ans Austeilen gewöhnten Trump attackierte sie den 78-Jährigen heftig, vor allem in der ersten und einzigen TV-Debatte der beiden. Plötzlich trat der ja ebenfalls schon reichlich gealterte Trump nicht mehr an gegen einen mitunter greisenhaft wirkenden Präsidenten, sondern gegen eine Frau, die seine Tochter sein könnte.

Jetzt aber liegt exakt dieser Trump, ein Lügner und eiserner Leugner seiner Wahlniederlage 2020, wieder vorne. Auch auf nationaler Ebene: Soeben ermittelte eine Umfrage des „Wall Street Journal“ eine 49-zu-46-Prozent-Führung für Trump. Im Mittelwert der jüngeren Umfragen liegt Harris mit 0,2 Punkten noch ganz knapp vorn, doch das Stimmenpolster in den Umfragen schrumpft offenbar rasch.

Zudem taxieren inzwischen die Buchmacher, die Wetten annehmen auf Sieg und Niederlage und damit Millionen einfahren, die Chancen Trumps auf 63,7 Prozent, die von Harris nur auf 35,8 Prozent.

Top-Themen: Migration und Wirtschaft

Die wachsende Pro-Trump-Stimmung hängt nicht nur zusammen mit  ungeschickten oder klugen Fototerminen, wie die für Modemagazine oder in Schnellrestaurants. Maßgeblich ist die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der US-Amerikaner mit der Entwicklung in ihrem Land. Und obwohl die wirtschaftlichen Rahmendaten stabil bis gut sind, sagen 64 Prozent der US-Amerikaner, das Land steuere in die falsche Richtung. Nur 26 Prozent sehen dies anders. Zwar heißt der Präsident immer noch Biden, aber nach fast vier Jahren als seine Stellvertreterin kann Harris nicht so tun, als habe sie mit Fehlentwicklungen, darunter an erster Stelle die illegale Einwanderung über die Grenze zu Mexiko, nichts zu tun.

Jetzt verspricht Harris für den Fall ihrer Wahl verstärkte Grenzsicherung, um Trump das Alleinstellungsmerkmal auf diesem Feld zu nehmen. Doch die Zuständigkeit für dieses Thema hatte ihr der Präsident frühzeitig übertragen – vor ihrer Nominierung als Präsidentschaftskandidatin ließ sich Harris dennoch nicht im Grenzgebiet sehen.

Die letzte Chance für Harris

Auch auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Inflationsbekämpfung haben die Republikaner höhere Kompetenzwerte, ebenso bei der inneren Sicherheit. Und Trumps Versprechen, binnen zweier Telefonate den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden, muss man nicht für glaubwürdig halten, und wenn doch, dann darf man es als ernste Bedrohung für Kiew ansehen. Dennoch ist da ein Macher, der etwas großmäulig ankündigt, während Harris daneben wie die Debattiererin wirkt, die mal schauen wird, was sich so umsetzen lässt.

Harris hat sich bislang zu sehr auf die Angriffe gegen Trump konzentriert, ihn als charakterlich ungeeignet für die Führung des Landes und als eine Bedrohung für die Demokratie bezeichnet. Das trifft alles ins Schwarze. Aber die Wähler erwarten, dass die Kandidatin deutlich macht, was sie künftig besser angehen will, als es Biden getan hat. Diese Situation ist nicht ganz leicht zu meistern, weil die Stellvertreterin ihren Noch-Chef kritisieren müsste. Doch weniger als zwei Wochen vor der Wahl sollte Harris da keine übertriebene Scheu an den Tag legen. Wenn Harris jetzt nicht massiv kämpft und die Wähler nicht nur zu überzeugen versucht, dass Trump ungeeignet ist, sondern vor allem, dass sich unter ihr die bisherige Politik deutlich verbessern wird, dann ist die Wahl bereits entschieden – zugunsten von Donald Trump.