Das Datum steht bereits fest: Vom 24. März bis zum 4. November 2029 findet die Landesausstellung „Römerwelten“ in Augsburg und Kempten statt. Zur Vorbereitung trafen vor kurzem etwa 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einem Kolloquium in München zusammen. Mit dabei waren aus Kempten Stadtarchäologin Dr. Maike Sieler und Kulturamtsleiter Martin Fink. Der Kreisbote wollte von den beiden wissen: Zu welchen Ergebnissen ist man gekommen?
Kempten – Es gehe nicht nur darum, eine Ausstellung zu organisieren, betont Fink. Die Fachleute haben sich zum Ziel gesetzt, die neuen Forschungsergebnisse der letzten 25 Jahre zusammenzutragen und ein umfassendes Gesamtbild über den aktuellen Stand zu präsentieren und dadurch die wissenschaftlichen Standards für die nächsten Jahrzehnte zu definieren.
Genau das gleiche Ziel setzte sich vor 25 Jahren Dr. Gerhard Weber bei der Herausgabe der Publikation „Cambodunum - Kempten. Erste Hauptstadt der römischen Provinz Raetien?“ (Verlag Philipp von Zabern, 2000). Ein Nachdruck dieses längst vergriffenen Buches ist wegen der verlorenen Dateien kaum möglich. Außerdem: Es ist Zeit, eine neue, den aktuellen Forschungsstand widerspiegelnde Synthese zu erstellen und der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In Fachzeitschriften wie „Das archäologische Jahr in Bayern“ veröffentlichte Studien erreichen im Normalfall eher nur das Fachpublikum.
Internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit
Das wissenschaftliche Kolloquium wurde international und interdisziplinär besetzt. „Mit dabei waren mehrere Koryphäen, die den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs prägen, vor allem im Bereich der antiken Städte“, berichtet Sieler. Für das Thema sind hauptsächlich drei wissenschaftliche Disziplinen zuständig, zwischen denen die Grenzen zunehmend aufbrechen: 1. Die provinzialrömische Archäologie (Sielers Fachgebiet), die sich an erster Stelle mit Bodenschichten, Baustrukturen, Auffüllungen, Planierschichten, Mauern und Böden, aber gelegentlich auch mit Wandmalereien befasst; 2. Die klassische Archäologie (die Fink studierte), die sich traditionell auf das griechisch-römische Mutterland konzentriert und dank der besseren Quellenlage am Mittelmeer ihre Kernkompetenzen in den Bereichen Bauten, Stadtplanung, Malereien, Skulpturen hat; 3. Die Alte Geschichte, die mit den Methoden der Geschichtswissenschaft schwerpunktmäßig mit schriftlichen Quellen, Inschriften, Rechtstexten, aber auch mit Münzen arbeitet.
Was passierte in München? Zu gut vorbereiteten Fragestellungen brachten alle Forscher die für ihre Disziplin typischen Funde, Quellen und deren Interpretationen mit, sie legten diese übereinander und suchten gemeinsam nach Antworten.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse für Kempten
Die beiden Kemptener erzählen, was sie besonders freute: Für die wichtigsten Thesen, die sie bereits lange vertreten, gab es unter allen Fachleuten einen klaren Konsens: Cambodunum war die erste und einzige Planstadt in Raetien und die Keimzelle der zivilen Entwicklung in der Provinz. Sie wurde am Reißbrett geplant und um Christi Geburt unter Kaiser Augustus errichtet, im Zuge der Eroberung des Alpenvorlandes. Nach einer Konsolidierungsphase hat man die Provinz von hier aus aufgebaut. Dementsprechend verschob sich die Grenze, was schließlich zur Errichtung des Obergermanisch-Raetischen Limes führte.
Bei der Auswahl des Standortes spielte es eine wichtige Rolle, dass die Iller ab hier mit Flößen befahrbar war. Außerdem lag die neue Stadt an einer bereits vorher dagewesenen Ost-West-Verbindungsstraße, zu der die erste Illerbrücke gehörte, deren Pfeiler Dr. Weber auf der Höhe des heutigen Rathauses ausgegraben hat.
Alles da, was eine römische Stadt ausmachte
Da Cambodunum im Rahmen der kaiserlichen Urbanisierungspolitik nach am Reißbrett erstellten Plänen entstand, weist es ein rechtswinkliges Straßenraster auf. Höchstwahrscheinlich gab es von Anfang an eine funktionierende Kanalisation. Aber was von größter Bedeutung ist: Hier ist alles zu finden, was für den antiken Menschen eine römische Stadt ausmachte. Dazu zählen das Forum als wirtschaftliches, administratives und religiöses Zentrum, die Basilika direkt daneben (ein Hallenbau mit Längsschiffen, eine Art Allzweckhalle, in der Versammlungen abgehalten und Recht gesprochen wurde), die Tempel und Thermenanlagen.
Hiermit hat man heute auch alles, um den Besuchern zu zeigen, wie eine römische Stadt funktionierte, wie sie vom Umland versorgt wurde, aber auch, welche Strahlkraft sie auf die Region ausübte. Gefolgt von den Fragen: Welche Rolle spielten die sich hier kreuzenden Handelswege (Ost-West: von Gallien über den Bodensee, Bregenz, Kempten, Epfach nach Salzburg; Süd-Nord: Richtung Augsburg und zur Donau)? Wie sah das Alltagsleben der Menschen aus? Wie wohnten sie? Was war für die damalige urbane Kultur charakteristisch?
Gut erhaltene archäologische Quellen
Kempten ist bei diesen Fragestellungen sowohl für die Ausstellung als auch für die wissenschaftliche Forschung aus zwei Gründen besonders gut geeignet: 1. Cambodunum gilt als Keimzelle aller städtischen Entwicklung auf dem Gebiet des heutigen Bayerns. 2. In Kempten gab es an der Stelle der römischen Stadt keine Siedlungskontinuität, die normalerweise mit der Wiederverwertung vorhandener Baumaterialien einhergeht. Deswegen ist die Erhaltslage der archäologischen Quellen einzigartig gut. Einen letzten Beweis hierfür stellt das repräsentative Wohnhaus im Wohnviertel „Insula 1“ dar, das im Rahmen eines 2019 begonnenen Ausgrabungsprojekts unter der Leitung von Prof. Salvatore Ortisi von der LMU freigelegt wurde.
Eine umfassende, große Ausstellung über die Archäologie in Deutschland fand 2018/19 im Berliner Gropius Bau statt und sie trug den treffenden Titel „Bewegte Zeiten“. Große Mobilität und der Zwiespalt zwischen Abwehr und Integration, die Unterscheidung zwischen einheimisch und fremd ist kein Alleinstellungsmerkmal der heutigen Zeit. Wie man damit im antiken Cambodunum umgegangen ist, gehört zu den spannendsten Themen, auf die die Landesausstellung eingehen wird. Welche Kontinuitäten in der Bevölkerung und in der Kultur (in erster Linie aus der keltischen Zeit) gab es bei der Entstehung dieser einzigartigen urbanen Siedlung nördlich der Alpen? Wo kamen die Einwohner her, welche Einflüsse brachten sie mit? Wie funktionierte die Integration und welche Bedeutung hatte dabei die Zugehörigkeit zum Imperium? Der Grabstein von Tiberius Claudius Satto ist heute das bekannteste Beispiel für diese Mobilität: Der in Cambodunum Geborene starb als „veteranus legionis“ in Aquincum (Óbuda in Budapest).
Machtverschiebung Richtung Augsburg
Die Vorreiterrolle Kemptens beschränkt sich auf das erste Jahrhundert. Im Bürgerkrieg nach Neros Tod (68-69) gab es auch im Cambodunum Zerstörungen. Der Gewinner des Machtkampfes, Vespasian, begann mit dem Umbau der Provinz, der sukzessive zum Aufstieg Augsburgs (Augusta Vindelicum) führte, das - wie der Titel des dortigen Ausstellungsteils richtig widerspiegelt - als Provinzhauptstadt zur „Metropole der Macht“ wurde. Augsburg, vorher eine militärisch geprägte Siedlung, wird ab dem 2. Jahrhundert zum urbanen Zentrum, wobei Kempten einen Bedeutungsverlust erlebt. Auch die Hauptverkehrsverbindungen verlagern sich in den Norden. Diese historische Entwicklung macht die geplante Doppelausstellung besonders sinnvoll.
Infolge des Rückzugs wegen alemannischer Einfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts wurde Cambodunum wieder Grenzstadt. Die ungeschützte Siedlung auf dem Lindenberg musste aufgegeben werden. Auf der Burghalde entstand eine Militärgarnison mit einer durch Mauern geschützten Ortschaft namens Cambidanum, die bis Mitte des 5. Jahrhunderts bestand. Bei deren Errichtung wurden Steine aus Cambodunum mit verwendet, was die mangelnden Funde an Großskulpturen und Inschriften bei den heutigen archäologischen Funden erklärt.
War Cambodunum eine Provinzhauptstadt?
Zur Geschichte Cambodunums gibt es wenige schriftliche Quellen, eine von denen ist jedoch von größter Bedeutung: Dank Strabons Geographica ist Kempten die erste schriftlich erwähnte römische Stadt auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Wenn man dieser schriftlichen Quelle ohne den Vergleich mit den archäologischen Funden Glauben schenkt, landet man schnell auf dem Holzweg. In dem 2000 erschienen Buch schreibt Andrea Faber über die vom griechischen Geographen beschriebene Siedlung Cambodunum: „Lange Zeit führten uns der keltische Klang ihres Namens sowie ihre Charakterisierung als Stadt der Estionen durch Strabon in die Irre.“
Cambodunum war zweifelsfrei eine römische Neugründung, die in dem Gebiet errichtet wurde, wo im Jahr 15 v.Chr. die vindelikischen Estionen „unterworfen“ wurden. Wichtiger ist die von Strabon verwendete Bezeichnung „polis“, erläutert Sieler. Das heißt nicht weniger, als dass wir es mit einem wirtschaftlich, kulturell, baulich und verkehrstechnisch zentralen Ort zu tun haben. Dieser erfüllte - wie die archäologischen Funde ebenfalls bezeugen - alle wichtigen Kriterien, die für die antiken Menschen zum Begriff einer Stadt zählten. Dass das in keiner schriftlichen Quelle direkt überliefert wurde, ist eher zweitrangig.
Konkrete Vorbereitung der Ausstellung
Die Landesausstellung müsse für Kempten eine nachhaltig positive Wirkung haben, betont Fink. Er wolle „kein Ufo, das landet und wieder wegfliegt“. Das Ziel ist, die vorhandene Präsentation am authentischen Ort zu stärken. Einerseits wird der APC weiterentwickelt. Andererseits plant man für die Insula 1 einen Schutzbau, um diese für die Besucher zugänglich zu machen. Die finanziellen Ressourcen entscheiden darüber, ob man bei einer minimalen Version bleibt oder eine vollständige Erschließung mit Ausstellungsflächen und Klimatisierung verwirklichen kann. Denkbar wäre auch, dass die Basisversion stufenweise ausgebaut wird.
Ein Team unter der Leitung von Dr. Christof Flügel von der Archäologischen Staatssammlung München ist seit einigen Monaten dabei, für die Kemptener Ausstellung ein genaues Konzept zu erstellen. Flügel kennt die römische Geschichte Kemptens gut, auch weil er seine Magisterarbeit über Bronzegefäße aus Cambodunum geschrieben hat. Was bereits feststeht: In Kempten wird der Schwerpunkt auf das 1. Jahrhundert gelegt und auf den Übergang zwischen der keltischen und der römischen Zeit. Es wird anhand der Götterwelt aufgezeigt, wie die unterschiedlichen Traditionen aus den verschiedenen Teilen des Reiches hier zusammenkamen. Das städtische Leben und die Verbindung zwischen Stadt und Umland gehören zu den zentralen Themen. Als Beispiel nennt Fink den Flachsanbau, der bereits vor der Römerzeit eine große Rolle spielte. Die Bezeichnung „das blaue Allgäu“ geht auf eine lange Tradition zurück, Cambodunum war mit seiner Leinenproduktion ein wichtiger Textilumschlagplatz, fügt Sieler hinzu.
Finanzierung muss erst gesichert werden
Die allerwichtigste Aufgabe zurzeit ist die Ausgestaltung der finanziellen Kulisse, die einen komplexen Prozess darstellt. Es handelt sich nämlich um eine staatliche Ausstellung, bei der neben der Archäologischen Staatssammlung auch das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst mitspricht. Neben Augsburg und Kempten gibt es eine Ausstellung in Straubing. Die Fachleute aus Kempten werden in dem Entstehungsprozess intensiv gehört, Fink und Sieler sprechen von einem guten Miteinander, bei dem das gemeinsame große Interesse an dem Thema und die Freude auf die Ausstellung die verbindende Kraft sind.
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.
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