Passanten bleiben stehen – Riesenzeitungen wecken Neugier: besondere Demenz-Aktion
Für eine augenfällige Aktion sorgte der Arbeitskreis Geronto auf dem Wochenmarkt in Wolfratshausen. Mit riesigen Zeitungen und starken Schlagzeilen weckten fünf Frauen das Interesse der Passanten.
Wolfratshausen – „Weißt Du, warum Du das hier liest? Schau, Du bist einfach a bisserl neugierig.“ Zahlreiche Passanten bleiben interessiert stehen und schauen noch einmal genauer hin: Am Rande des Grünen Markts auf dem Loisachhallen-Parkplatz haben es sich fünf Frauen mit Stühlen und Strandliegen bequem gemacht. Sie sitzen da und lesen in ihren übergroßen, selbstgebastelten Zeitungen. „Was ist denn das?“, fragt eine ältere Wochenmarkt-Besucherin verwundert.
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Über das Erstaunen der Dame freut sich Gabi Strauhal von der Alzheimer Gesellschaft Isar-Loisachtal sehr: „Uns geht's um die Sensibilisierung der Demenzerkrankung.“ Es braucht nur diesen einen kurzen Moment des Stehenbleibens oder, noch besser, nur eine einzige Frage eines Passanten, damit die fünf Frauen vom Arbeitskreis Geronto – Gabi Strauhal, Claudia König-Heinle von der Seniorenhilfe Oberland, Agnes Seiffarth und Eva-Maria Rühling von der Nachbarschaftshilfe „Bürger für Bürger“ sowie Christiane Bäumler vom Landratsamt – ihr Ziel erreichen.
Das Quintett will an diesem Freitagvormittag anlässlich der Woche der Demenz mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt kommen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. „An Infoständen bleiben die Leute nicht stehen. Die Aktion hier macht neugierig und die Menschen sprechen uns an“, erklärt König-Heinle. Der beste Beweis ist Strauhal, die der interessierten Fragerin erklärt, dass der Arbeitskreis die Erkrankung in den Fokus der Öffentlichkeit rücken möchte. In den Gesprächen, die sich im Laufe des Vormittags ergeben, können Betroffene, Angehörige und Interessierte einfach über die Krankheit reden, Tipps zu Beratungsstellen einholen oder ihre Sorgen mit den Expertinnen teilen.
Im Gespräch zu bleiben ist wichtig
Ernst Wieser, Vize-Vorsitzender von „Bürger für Bürger“, macht genau das. Er spricht mit Strauhal über einen an Demenz leidenden Mann, den er unterstützt. Wieser kennt zwar ein paar Details aus der Vergangenheit des Dementen, aber: „So richtig Kontakt mit ihm aufzubauen ist schwierig. Ich denke, das muss ich akzeptieren.“ Strauhal weiß: „Sehr häufig hören Betroffene auf zu sprechen – und oft dann auch die Angehörigen. Aber ganz wichtig ist, dass man im Gespräch bleibt.“
Wieser berichtet, dass der von ihm Unterstützte seinen Besucher oft nicht erkenne oder vergessen habe, dass er an diesem Tag besucht wird. Was Strauhal an dieser Situation bedauert: „Wenn die Betroffenen den Besuch vergessen, geht ihnen natürlich die Vorfreude verloren.“ Aber dafür würden sie im Hier und Jetzt leben. „Manche demente Menschen tanzen durchs Leben“, betont Strauhal. Weil sie selbst ihre Erkrankung nicht bemerken würden.
Sehr wertvoll findet die Angehörige eines Dementen die Aktion des Arbeitskreises Geronto. Sie weiß, wie belastend die Diagnose und der schleichende Verlauf der Krankheit sind: „Ich bin damals gleich zur Alzheimer Gesellschaft gegangen. Auch der VdK hilft sehr und der Stammtisch der Alzheimer Gesellschaft einmal im Monat ist wirklich wichtig.“ Dort erfahren Betroffene und Angehörige, wo man Hilfe bekommen kann. Ohne die sei man als Angehöriger verloren: „Man muss reinwachsen und man weiß nie, was als nächstes passiert.“
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Angehörige weiß: „Es kommt, wie es kommt“
Sie sei sich bewusst, dass die Situation nicht besser werde. Gerade deshalb sei sie „Bürger für Bürger“ sehr dankbar. Trotz all der deprimierenden Momente, in denen sich ihr Ehemann nicht an gemeinsam Erlebtes erinnern kann, erfreut sie sich an seinen Witzen. „Es kommt, wie es kommt“, meint sie pragmatisch und blickt sich suchend um. „Wo ist er denn jetzt?“ Ihr Mann ist schon ein paar Schritte weitergegangen. „Immer muss man nach ihm schauen“, stellt seine Frau fest und lacht.
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Die Idee für diese besondere Aktion hat König-Heinle aus einer Fortbildung mitgebracht. Sofort wusste sie, dass sie diese Art der Aufklärung mit dem Arbeitskreis ausprobieren wird. Nach dem Premierenerfolg ist sie sicher: „Ich könnte mich mit meiner Zeitung überall hinsetzen und mit den Leuten ins Gespräch kommen. Damit fällt man auf, das ist wichtig, sonst bleiben die Leute nicht stehen.“ Und stehen geblieben sind an diesem Freitagvormittag sehr viele Menschen.
Stammtisch: einmal im Monat
Der Stammtisch für pflegende oder betreuende Angehörige der Alzheimer Gesellschaft in Kooperation mit dem VdK Geretsried findet immer am letzten Donnerstag im Monat im Café Servus Gelting (Wolfratshauser Straße 24, Geretsried) statt. Eine Anmeldung ist nicht nötig. Infos im Internet unter www.ag-il.de oder nach E-Mail an info@ag-il.de.