Psychische Belastung bei Schülern nimmt zu - Auer Schulleiterin: „Pandemie hat Spuren hinterlassen“

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„Der Großteil unserer Schüler kommt aus behüteten Haushalten, aber allgemein haben die psychischen Belastungen, wie überall, auch an unserer Schule zugenommen“, sagt Kerstin Liese, Schulleiterin der Abenstal-Realschule in Au. © Symbolfoto: Philipp von Ditfurth/dpa

Auch an der Realschule in Au wird eine Stelle für Jugendsozialarbeit installiert. Die Schulleiterin erklärt die Hintergründe, die diesen Schritt nötig gemacht haben.

Au/Hallertau – An den anderen Realschulen im Kreis Freising gibt es sie schon: Bald soll auch an der Abenstal-Realschule in Au eine Jugendsozialarbeiterin beziehungsweise ein Jugendsozialarbeiter angestellt werden. Das hat der Jugendhilfeausschuss beschlossen. Schulleiterin Kerstin Liese spricht im Interview darüber, warum Jugendsozialarbeit an Schulen inzwischen unerlässlich ist, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie noch immer hat, und dass auch Kinder aus behüteten Familien betroffen sind.

Frau Liese, warum haben Sie sich dazu entschieden, eine Stelle für Jugendsozialarbeit zu beantragen?

Wir sind eine kleine Schule mit 384 Schülerinnen und Schülern. Bisher waren wir der Meinung, dass wir diese Unterstützung nicht brauchen – gerade mit Blick auf die vielen Präventionsprogramme, die wir haben. Aber auch bei Kindern und Jugendlichen nehmen psychische Erkrankungen immer weiter zu, sodass wir als Schule nicht die nötigen Strukturen anbieten können, um psychische Auffälligkeiten vollständig aufzufangen und zu begleiten. Das scheitert leider an den personellen Ressourcen.

Kerstin Liese ist Schulleiterin an der Abenstal-Realschule in Au.
Kerstin Liese ist Schulleiterin an der Abenstal-Realschule in Au. © Schule

Stichwort Präventionsprogramme: Was bietet die Abenstal-Realschule an?

Wir halten uns prinzipiell für gut aufgestellt, was psychische Gesundheit anbelangt, dieses Thema liegt uns auch sehr am Herzen. Im Fokus steht eben Prävention, daher starten wir in der fünften Klasse mit einem Programm namens „Lernen lernen“, in dem die Kinder von Anfang an lernen, wie man sich gut und ohne Druck auf den Unterricht vorbereitet. Für die siebten Klassen gibt es das Projekt „zammgrauft“, ein Kurs von „Antigewalt bis Zivilcourage“, den von der Polizei ausgebildete Lehrkräfte durchführen, und in Zusammenarbeit mit dem Freisinger Verein Prop einen Workshop über Essstörungen sowie weitere Projekte.

Hintergrundinformation: Das leistet die Abenstal-Realschule bereits

Neben dem „Lernen lernen“, dem Selbstbehauptungskurs namens „zammgrauft“ in Zusammenarbeit mit der Polizei und der Suchtprävention in Kooperation mit dem Verein Prop gibt es an der Abenstal-Realschule ein Tutorensystem, in dem ältere Schüler jüngeren zur Seite stehen. Außerdem werden an der Schule Streitschlichter ausgebildet und die Digitalen Helden, die über Cybermobbing aufklären. Zudem gibt es eine wöchentliche Klassenleiterstunde, in dem Schüler Probleme ohne schulischen Druck mit der Klassenlehrkraft besprechen können. Die Einführung eines Klassenrats, in dem Themen wie das soziale Miteinander im Klassenkontext besprochen werden, ist in Arbeit – ebenso wie ein Präventionsprogramm gegen Mobbing namens „Gemeinsam Klasse sein“.

Trotzdem stößt das Schulsystem irgendwann an seine Grenzen.

Ja, denn in erster Linie ist es natürlich unsere Aufgabe, Kindern und Jugendlichen Wissen zu vermitteln. Aber natürlich ist es auch unsere erzieherische und pädagogische Verantwortung, die Schülerinnen und Schüler ganzheitlich zu erziehen und dabei auch auf ihre mentale Gesundheit zu achten. Das ist das Ziel, das wir als Schule gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern und natürlich auch den Eltern haben. Doch unsere Kapazitäten sind dafür im gewöhnlichen Schulalltag begrenzt. Daher benötigen wir Unterstützung.

Was fällt Ihnen am Verhalten der Kinder und Jugendlichen auf?

Der Großteil unserer Schüler kommt aus behüteten Haushalten, aber allgemein haben die psychischen Belastungen, wie überall, auch an unserer Schule zugenommen. Das äußert sich ganz unterschiedlich, aber die Lehrkräfte, die die Kinder und Jugendlichen natürlich sehr gut kennen, bemerken Auffälligkeiten im Verhalten – etwa, wenn sich jemand sehr isoliert und sich gar nicht mehr so recht mit den Klassenkameraden abgeben will. Das kann private Gründe haben, aber auch schulische, manchmal stecken Lernprobleme dahinter. Oft können die Eltern Aufschluss geben, aber manchmal liegen die Ursachen auch tiefer, sodass es eben Unterstützung von der Schulpsychologin – oder eben einer Jugendsozialarbeiterin – braucht, die gegebenenfalls an einen Arzt oder Therapeuten verweist. Hinzu kommt, dass wir in einer Brückenklasse ukrainische Kinder unterrichten. Auch in dieser Klasse zeigen sich Verhaltensauffälligkeiten, die sich nicht ohne externe Hilfe lösen lassen.

Der Krieg gegen die Ukraine, die Corona-Pandemie, der Klimawandel und weitere Krisen: Die vergangenen Jahre waren und sind nach wie vor herausfordernd. Welchen Einfluss haben diese Themen?

Die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Die Zeiten von Lockdown und Homeschooling haben wir zwar bestmöglich und, ich denke, auch recht erfolgreich überbrückt. Trotzdem ist Homeschooling nicht mit Präsenzunterricht vergleichbar. Die sozialen Kontakte haben extrem gelitten, dabei brauchen gerade Jugendliche ihre Freunde. Dass so ein verlässlicher Eckpfeiler wie die Schule, die man jeden Tag besucht, wegbricht, war schon für uns Lehrkräfte herausfordernd – für die Kinder dann umso schlimmer. Und auch nach Corona kam keine Phase der Sicherheit, sondern neue Herausforderungen: ein Krieg in Europa, der Klimawandel, diverse Krisen, die mit finanziellen Unsicherheiten verbunden sind. All diese Dinge bringen Verunsicherung mit sich, die natürlich auch Kinder und Jugendliche spüren.

Daher ist es umso wichtiger, mentale Gesundheit zur Priorität zu machen.

Unsere ganze Gesellschaft wird seit Jahren sensibler für Themen rund um psychische Gesundheit. Dass sich dieses Stigma auflöst, ist sehr begrüßenswert. Das bedeutet aber auch, dass psychische Erkrankungen sichtbarer werden – daher braucht es mehr Unterstützung, wie für uns Schulen eben durch die Jugendsozialarbeit.

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