Zu den dramatischen Ereignissen, die sich im Mai 1945 abspielten, zählt ein tödlicher und bis heute rätselhafter Angriff auf drei unbewaffnete Frauen am Walchensee.
Jachenau – In seinen chaotischen letzten Tagen forderte der Zweite Weltkrieg auch im Oberland noch etliche Opfer, deren Tod vor dem Hintergrund eines aussichtslosen, fanatischen „Endkampfs bis zum letzten Mann“ als besonders sinnlos erscheint. Das trifft auch für abgelegene Winkel in der Jachenau zu, wo die SS-Division „Götz von Berlichingen“ und Kräfte der SS-Junkerschule versuchten, sich den vorrückenden amerikanischen Truppen entgegenzustellen.
Tödliche Schüsse in Sachenbach am Walchensee
In der Jachenauer Chronik erinnert Jost Gudelius in diesem Kontext an ein ebenso grausames wie unbegreifliches Geschehen am 3. Mai 1945 in Sachenbach. SS-Soldaten schossen auf drei Frauen. Elisabeth und Ruth Schwink – Mutter und Tochter – starben, die 16-jährige Jachenauerin Johanna Pfund überlebte schwer verletzt.
Elisabeth und Ruth Schwink aus München zählten zu den vielen Flüchtlingen und Evakuierten, die während des Kriegs in der Jachenau Zuflucht suchten. Elisabeth war die zweite Ehefrau von Dr. Otto Schwink, der im Ersten Weltkrieg Major im Generalstab und bis 1933 Direktor des Verkehrsvereins in München gewesen war. Die Ehe galt nach der Rassendoktrin der Nationalsozialisten als Mischehe: nach Einschätzung von Jost Gudelius der Grund, aus dem Otto Schwink seine „halbjüdische“ Frau Elisabeth Schwink und die Tochter in der abgelegenen Jachenau unterbrachte. Die beiden Frauen lebten beim Mühlbauer.
Amerikanische Soldaten hatten Urfeld erreicht
Die 14-jährige Ruth Schwink war mit Johanna Pfund, der „Pfund Mausi“, befreundet. „Sie besuchten gemeinsam eine Klasse des bis Februar 1945 in die Jachenau evakuierten Gymnasiums aus Gelsenkirchen“, schreibt Gudelius in der Chronik. Was am 3. Mai 1945 geschah, das berichtete ihm Johanna Heider, geborene Pfund, in einem Gespräch im Oktober 2002.
Am Morgen jenes Tages hatten amerikanische Infanteriekräfte mit Schützenpanzern Urfeld erreicht. „Der Himmel war blau und die Landschaft weiß vom Schneefall des Vortages“, schreibt Gudelius. Nach dem Mittagessen sei Ruth auf den Pfundhof gekommen und habe zu „Mausi“ gesagt: „Wir wollen an den Walchensee gehen, solange er noch bayerisch ist. Geh doch mit!“ Johanna ließ sich von ihrer Freundin sowie von ihrer Mutter Johanna Pfund überreden.
Frau wollte Schaden abwenden
„Frau Schwink ging mit den beiden Mädchen über Berg und die Fieberkapelle in Richtung Sachenbach“, so Gudelius. „Oben auf dem Sattel trafen sie auf Baumsperren und blutjunge SS-Soldaten.“ Diese seien betrunken gewesen und hätten geprahlt: „Die Amis machen wir fertig!“ Als sie die Frauen fragten, wohin sie wollten, sagte Elisabeth Schwink, damals 51 Jahre alt, „dass sie den Walchensee noch einmal sehen wollten“. Sie habe versucht, „die fanatischen Soldaten zu beschwichtigen und riet ihnen heimzugehen, da die Situation hier nicht mehr gut enden würde“.
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Die Frauen überstiegen die Straßensperren und zogen weiter nach Sachenbach, wo die Mädchen beim Irglbauer verblieben. Elisabeth Schwink hatte aber noch andere Pläne. Sie ging weiter Richtung Urfeld – offenbar in der Absicht, Verbindung zu den Amerikanern herzustellen und die Jachenau und ihre Bevölkerung vor Schäden zu bewahren. Ein amerikanischer Oberst sagte ihr auch Hilfe zu.
In Walchensee bei Kerzenlicht operiert
Unterdessen kam es am Walchensee zu Kampfhandlungen. Von Urfeld kommend durchfuhren laut der Chronik amerikanische Panzerwagen Sachenbach und gerieten bald darauf in ein kurzes Feuergefecht mit SS-Soldaten. Aufseiten der Amerikaner gab es Tote und Verwundete, sie verloren zwei Panzerwagen. Nach etwa 15 Minuten wichen sie wieder über Sachenbach nach Urfeld aus.
„Inzwischen herrschte absolute Gefechtsstille“, schreibt Gudelius. Elisabeth Schwink und die Mädchen machten sich auf den Heimweg. „Als sie auf freiem Feld in Schussentfernung der Gefechtsvorposten der SS-Junkerschule waren, wurden sie von deren Feuer überfallen. Mausi traf ein Bauchschuss, Frau Schwink warf sich über sie, das Feuer hämmerte weiter. Frau Schwink wurde in die Brust getroffen, Ruth trafen fünf Schüsse. Mausi kroch hinter einen Misthaufen und verharrte dort, bis das Feuer endete. Schwerst verletzt raffte sie sich auf, lief zurück nach Sachenbach und brach vor dem Hof des Irglbauern zusammen. Der ließ einspannen, um die beiden Schwinks zu bergen. Frau Schwink hat noch kurz gelebt und flehte: ,Rettet mir mein Kind!‘“
Marterl erinnert an grausames Ereignis
Der Irglbauer sei mit dem Fahrrad nach Urfeld gefahren und habe die Amerikaner um Hilfe gebeten. Nach anfänglicher Ablehnung, da es sich um „nicht gesäubertes Gebiet“ handelte, meldeten sich vier Freiwillige, die mit dem Jeep nach Sachenbach eilten und die stark blutende Johanna Pfund verbanden und für den Weitertransport versorgten.
„Drei Schüsse hatten sie an Hüfte, Bauch und Oberschenkel getroffen. Von den Ärzten einer Genesendenkompanie in Walchensee wurde sie am Abend unter primitivsten Verhältnissen bei Kerzenlicht operiert“, steht in der Chronik. Nach sechs Wochen kehrte sie heim in die Jachenau.
Bis heute erinnert ein von Dr. Otto Schwink errichtetes Marterl oberhalb von Sachenbach an den schrecklichen Tod von Elisabeth und Ruth Schwink. Johanna Heider starb am 15. September 2024 im Alter von 95 Jahren. Gudelius schreibt: „Wir fragen uns heute noch, wie es dazu kommen konnte, dass junge deutsche Soldaten auf drei unbewaffnete Frauen überfallartig das Feuer eröffneten.“ (ast)