Raser am Sylvenstein: Schwere Motorradunfälle belasten Freiwillige Feuerwehren
Die Feuerwehren am Sylvenstein sind mit einer wachsenden Anzahl von schweren Motorradunfällen konfrontiert. Trotz der steigenden Belastung bleibt die Bereitschaft der Freiwilligen, zu den Einsätzen auszurücken, hoch. Doch wie lange noch?
Fall – Wie viel kann man aushalten, ohne dass es zu viel ist? Fragen wie diese stellt sich Christian Eberl (41) eigentlich nicht. Dafür ist der Kommandant der Faller Feuerwehr zu pragmatisch. Das gilt auch für seine Mannschaft aus etwa 15 Freiwilligen, die bei Einsätzen ausrücken. Dennoch sind die schweren Motorradunfälle, die die Feuerwehr seit Ende März beschäftigen, ein ständiges Thema. Zwei Schwerverletzte, ein Toter. Das war heuer die Bilanz, noch bevor die Saison richtig losgegangen war. „Nach dem ersten Unfall habe ich mir gedacht: Das wird ein krasses Jahr“, sagt Gruppenführer Thomas Resenberger (35).
Sudelfeld-Sperrung bereitet Sorgen
Etwa 50 Einsätze absolviert die Feuerwehr Fall jedes Jahr. Immer unterstützt von der Wehr aus Vorderriß mit ihren rund zehn Aktiven. Die Mehrzahl sind Unfälle auf der B13 und der B307 rund um den Sylvensteinsee. Seit Jahren werden die Strecken bei Motorradfahrern immer beliebter – vor allem die 1,6 Kilometer zwischen Damm und Faller Klammbrücke. Das ist nicht erst seit der tageszeitlichen Sperrung des Kesselbergs für Motorradfahrer so, aber der Zulauf ist dadurch größer geworden. Der Sperrung, die seit diesem Mittwoch am Sudelfeld gilt, blicken Eberl und sein Vorderrißer Kollege Ludwig Kast mit Sorge entgegen. „Man fragt sich jetzt schon, wer die nächsten Tage vor Ort ist und ausrücken kann“, sagt Kast.
Viele Fahrer kommen immer wieder
Ganze Gruppen reisen mit ihren Bikes am Sylvenstein an. Sie kommen zum Teil aus Österreich, wo die Strafen deutlich empfindlicher sind, „aber nicht nur“, sagt Eberl. Viele Fahrer kommen immer wieder. Das gilt auch für die Gruppe, aus deren Reihen der 22-Jährige stammte, der nach einem missglückten Überholmanöver stürzte und später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. „Die Gruppe war jeden Tag danach da. Donnerstag, Freitag, Samstag. Die Freundin hat an der Unfallstelle geweint“, sagt Eberl. Kast sprach sie an und bot an, ihr psychologische Hilfe zu vermitteln. Am Sonntag stürzte die junge Frau dann in derselben Kurve, in der ihr Spezl den Tod gefunden hatte. „Da muss man sich schon zusammenreißen, dass es einem nicht den Schalter raushaut“, bekennt Eberl.
„Bilder mit schweren Verletzungen packt nicht jeder“
Dennoch: Die Bereitschaft auszurücken, sei noch bei allen vorhanden. „Keiner sagt: Das ist mir zu viel“, sagt der Faller Kommandant. „Trotzdem denkt man schon manchmal: Wegen dem Deppen versau‘ ich mir jetzt den Sonntag.“ Kast hat erste Ausfallerscheinungen festgestellt. „Einige sagen: Wenn ihr mich nicht unbedingt braucht...“ Das Problem: Die Verantwortung und die Arbeit liegen auf so wenigen ehrenamtlichen Schultern, dass jeder gebraucht wird. „Aber natürlich sieht man teilweise schwerste Verletzungen. Diese Bilder – das packt nicht jeder.“
„Jeder wartet, dass die Sirene geht“
Sobald das Wetter schön ist, „ist man gedanklich hier am Feuerwehrhaus“, sagt Vorstand und Gruppenführer Werner Bünger (61). „Jeder im Dorf wartet im Prinzip darauf, dass die Sirene geht“, ergänzt Resenberger. Freizeitaktivitäten werden so geplant, dass immer eine gewisse Anzahl an Helfern vor Ort bleibt. „Wenn man vorher weiß, dass viele weg sind, sagt man dann halt der Familie, dass man nicht böse wäre, wenn man dieses Wochenende nichts unternehmen müsste“, sagt Eberl.
Trotzdem ist es bei manchen Einsätzen knapp, wie am Fronleichnamstag 2017, als zwei Motorräder frontal kollidierten und Feuer fingen, weitere Bikes waren beteiligt. Zwei Menschen starben, acht weitere wurden verletzt, der Rest der Bikergruppe war traumatisiert. „An der Unfallstelle sah es aus wie in Beirut. Und das machst du dann mit sechs Einsatzkräften, und die Leitstelle sagt dir, die nächste halbe Stunde kann sie niemanden schicken“, erinnert sich Eberl. Tote und Schwerverletzte – mit dieser Belastung gehe jeder unterschiedlich um, sagt Bünger. Im Einsatz habe man ohnehin keine Zeit, darüber nachzudenken, ergänzt Resenberger. Danach wird darüber gesprochen, auch an Schulungsabenden geht es um das Thema Bewältigung.
Wasserwacht rückt auch oft mit aus
Dass neben den beiden Feuerwehren oft auch die Wasserwacht mit ausrückt, hilft. „Die Zusammenarbeit läuft tadellos“, sagt Eberl. Allerdings löst es eben das Problem nicht. Vor wenigen Tagen kam die Unfallkommission noch einmal am Sylvenstein zusammen, beriet über weitere Maßnahmen. Zuletzt trat ein Überholverbot in Kraft. Bereits seit Längerem gilt in einigen Teilbereichen Tempo 50. „Das hat eher zu mehr Unfällen geführt“, sagt Eberl, weil Motorradfahrer nun trotz Verbots die langsameren Autos eher überholen. Dennoch hat er Verständnis für die Maßnahmen. „Es geht vor allem darum, die Bußgelder nach oben zu treiben.“
Sein Dank gilt generell der Tölzer Polizei. „Die schauen sich das nicht nur an. Die kommen zum Lasern und sind wirklich präsent.“ Dennoch hilft das nur bedingt, zu schnell spricht sich unter den Motorradfahrern herum, wenn Polizei vor Ort ist. Helfen, glaubt Eberl, würde eine Streckensperrung in eine Richtung. Viel Hoffnung hat er nicht. „Am Sudelfeld und am Kesselberg hat das zehn Jahre gedauert.“
Forderung: Politik muss tätig werden
Eine andere Idee wären Abschnittskontrollen, wie sie auf österreichischen Autobahnen praktiziert würden, sagt Eberl. Auf einer bestimmten Strecke werden die Kennzeichen aller Fahrzeuge an mehreren Stellen vom Radar erfasst. So kann ermittelt werden, ob jemand im Schnitt schneller als erlaubt auf der Strecke unterwegs war. In Deutschland gibt es die „Section Control“ nicht. Sie allein würde auch nichts bringen, solange es für Motorradfahrer keine Halterhaftung gibt, sondern der Fahrer ermittelt werden muss. „Im Vergleich zu vielen anderen Ländern ist Deutschland schon sehr kompliziert“, sagt der Faller Kommandant. „Für uns stellt sich die Frage, wann die Politik hier endlich tätig wird“, ergänzt Kast.
Bis sich etwas bewegt, bleibt den Feuerwehren nur, auf die nächste Alarmierung zu warten. Resenberger: „Mittlerweile ist man fast froh, wenn schlechtes Wetter ist.“