Gemeinde will Plakatwand verhindern – und verstößt gegen das Grundgesetz
Juristisches Tauziehen um Werbeplakate in Steinhöring: Ein Hamburger Anwalt verzweifelt an den Feinheiten des bayerischen Baurechts. Doch seine Gegnerin, die Gemeinde, scheitert am Grundgesetz.
Steinhöring - Glücklich war am Ende niemand. Dem Hamburger Anwalt, der eigens für die Gerichtsverhandlung nach Steinhöring gereist war, schwirrte sichtlich der Kopf angesichts der Finessen der Bayerischen Bauvorlagenverordnung. Und Steinhörings Bürgermeisterin Martina Lietsch und ihre Verwaltung hatten von Richter Korbinian Heinzeller den Kopf gewaschen bekommen, weil die örtliche Außenwerbungssatzung nicht nur gegen irgendeine Verordnung verstoße, sondern gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Vordergründig ging es um neue Werbeplakatwände an der Münchner Straße, die die Gemeinde verhindern will. Die Verhandlung des Münchner Verwaltungsgerichts erwies sich als formaljuristisches Schmankerl.
Es geht um drei Stellwände: Gerichtsverhandlung in Steinhöring
Im Straßenlärm an der B 304 ging es direkt dort zur Sache, wo ein Unternehmer aus dem Ruhrgebiet drei Plakatstellwände aufbauen und an wechselnde Werbekunden vermieten will: auf dem verödeten, zugewachsenen Gelände an der Kurve zwischen Ushio-Werk und Abersdorfer Straße, wo die Telekom eine Schaltstation betreibt.

Die Gemeinde hatte argumentiert, die drei geplanten Plakatwände im 18/1-Format am Rand der Münchner Straße/B 304, jede fast so groß wie ein Pkw-Parkplatz, würden die Sichtachse auf den historischen Ortskern um Postwirt, Kirche und Pfarrhaus stören. Deshalb hatte sie für den Ortskern eine sogenannte Außenwerbungssatzung erlassen, die genau mit dem strittigen Grundstück endet. „Das wurde für uns maßgeschneidert“, beklagte sich der Anwalt des Werbeunternehmers.
Flächenbegrenzung zu willkürlich: Richter sieht Verstoß gegen Eigentumsschutz
Mit einer ersten Satzung war das Rathaus bereits juristisch gescheitert, hatte eilig nachgebessert. „Die jetzige Satzung ist gut“, lobte Richter Heinzeller. „Viel besser als die meisten.“ Allerdings habe die Gemeinde, weil sie Werbung nicht ganz verbieten kann, eine Maximalgröße von zwei Quadratmetern für entsprechende Außenplakate festgelegt. Das sei zu klein und jenseits aller Normmaße für Plakatwände – und damit, kein Scherz, ein Verstoß gegen Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes: Die Regelung stelle einen unzulässig willkürlichen Eingriff ins Privateigentum dar.
Bauantrag scheitert an fehlender Nummer, Linie, Unterschrift und Datum
Schadenfreude kam beim Hamburger Werbe-Anwalt nicht auf. Statt einer Baugenehmigung bekam auch er einen Rüffel. Dem Steinhöringer Verfassungsbruch stand ein Scheitern des Bauantrags an ein paar winzigen Formfehlern gegenüber: Auf einer Plankarte fehlten dem Richter die Flurnummer eines Nachbargrundstücks, eine Unterschrift samt Datum sowie ein gestrichelter Rand ums überplante Grundstück. Unglücklicherweise alles unbeugsame bayerische Rechtsvorschrift. Ein Verwaltungsgericht müsse paragrafentreu entscheiden, habe keinen Spielraum für solche Nachlässigkeiten: „Sie brauchen einen neuen Bauantrag, das können Sie nicht mehr heilen“, eröffnete Richter Heinzeller dem Anwalt. „Das endet ja nie!“, rief dieser mit Schrecken aus, sah sich wohl schon zum Folgetermin erneut quer durch die Republik tingeln.
Es wäre ein guter Kompromiss.
Dem kam der Richter salomonisch zuvor, nutzte die bedröppelte Stimmung beider Streitparteien, um sie mit sanftem Nachdruck zu einem Kompromiss zu lotsen: Wenn der Werbeunternehmer auf jene der drei Stellwände verzichte, die am aufdringlichsten in der Sichtachse zur Kirche stehe, könne doch das Landratsamt als Aufsichtsbehörde bei dem Formfehler im Bauantrag ein Auge zudrücken und die Genehmigung erteilen. Anders als das Gericht habe die Behörde diese Möglichkeit, wenn die Klage des Werbeunternehmers fallen gelassen würde. „Jeder kriegt was“, argumentierte der Richter und stellte andernfalls einen unabsehbar langen juristischen Papierkrieg in Aussicht. Davon ließen sich alle Beteiligten überzeugen. „Es wäre ein guter Kompromiss“, befand Bürgermeisterin Martina Lietsch im Nachgang. Ob der Deal mit nun zwei Werbewänden ganz in der östlichen Ecke des Grundstücks zustande kommt, muss in gut zwei Wochen der Steinhöringer Gemeinderat entscheiden.