Volkswagen erwägt Stellenabbau und Werkschließungen: IG Metall kritisiert „unverantwortlichen Plan“
Volkswagen hebt die Jobgarantien für seine Mitarbeiter auf und zieht erstmals Werkschließungen in Betracht. Betriebsrat und Gewerkschaft sind fassungslos. Wie konnte es so weit kommen?
Wolfsburg – Im Volkswagen-Konzern rumort es kräftig. Neben den schwachen Absatzzahlen in der Elektroauto-Sparte verläuft auch das selbst auferlegte Sparprogramm namens „Performance“ nicht planmäßig. Die angepeilte Ergebnisverbesserung bis 2026 von zehn Milliarden Euro droht zu scheitern. Die Konzernspitze um CEO Oliver Blume verkündete auf einer Führungskräftetagung am Montag nun Konsequenzen: Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland sind ab sofort kein Tabu mehr.
Volkswagen kündigt Jobgarantien mit Betriebsrat auf: Werkschließung wäre ein Novum
Bisher galt die mit dem Betriebsrat 1994 vereinbarte Jobgarantie bis 2029 für unantastbar. Doch nun hat der VW-Vorstand diese Vereinbarung einseitig aufgekündigt. Laut Informationen des VW-Betriebsrats stünden mindestens ein Fahrzeugwerk und eine Komponentenfabrik in Deutschland auf der Kippe. Auch das Handelsblatt berichtet über die Möglichkeit, dass mindestens ein Standort vor dem Aus stehen könnte. Damit wäre ein Novum in der Volkswagen-Historie erreicht: In Deutschland kam es in der 87-jährigen Geschichte des Traditionsunternehmens noch nie zu einer Werksschließung.
In welchem Umfang VW Stellen der rund 120.000 Mitarbeiter in Deutschland streichen wolle, ließ der Konzern offen. Sicher sei allerdings, dass der ursprünglich geplante Stellenabbau über Modelle wie Altersteilzeit und Abfindungen nicht mehr ausreiche.
Verliert Standort Deutschland an Attraktivität? Blume: „Wirtschaftliche Umfeld hat sich verschärft“
Blume begründete die Entscheidung für den Stellenabbau in einer Unternehmensmitteilung mit der aktuellen Wirtschaftslage: „Das wirtschaftliche Umfeld hat sich nochmals verschärft, neue Anbieter drängen nach Europa. Dazu kommt, dass vor allem der Standort Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit weiter zurückfällt.“
VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo erklärte dazu am Montag in einem Pressestatement, dass es unter ihrer Leitung keine Standortschließungen geben werde. Die Gewerkschaft IG Metall sprach von einem „unverantwortlichen Plan“ und sieht vielmehr VW in der Pflicht, eine nachhaltige Strategie zur Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplatzsicherung zu entwickeln. Ähnliche Bedingungen stellte auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) an VW: „Wir erwarten, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt. Die Landesregierung wird darauf ein besonderes Augenmerk legen.“
Anteilseigner Niedersachsen nimmt im VW-Streit pikante Rolle ein: Kommt es zu einem Interessenskonflikt?
Pikant ist dabei Weils Rolle: Als niedersächsischer Ministerpräsident sitzt er automatisch im VW-Aufsichtsrat, da das Bundesland mit 11,8 Prozent an Volkswagen beteiligt ist. Zudem verfügt er über 20 Prozent der Stimmrechte, wodurch sich schnell ein Interessenskonflikt ergeben könnte. Etwa wenn VW tatsächlich eines der niedersächsischen Werke in Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Osnabrück, Salzgitter oder Emden verkleinern, schließen oder verkaufen würde. In diesem Fall könnte die Landesregierung in Hannover intervenieren und mit ihrem Vetorecht gegen die Maßnahme votieren.
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Darüber hinaus stehen auch die Fertigungen in Kassel, Chemnitz, Dresden und Zwickau auf dem Prüfstand. Die Wirtschaftswoche spekuliert etwa, dass die Standorte in Dresden und Osnabrück dem Sparkurs von VW zum Opfer fallen könnten. Beide seien vergleichsweise wenig ausgelastet.
VW-Standorte in Dresden und Osnabrück besonders in Gefahr? Oder rächt sich Emdens Elektrostrategie?
In dem niedersächsischen Werk blieben zuletzt die Aufträge für Kleinwagen und Cabriolets der Marken Porsche und VW aus. Der Standort in der Elbstadt ist hingegen einzig auf E-Autos ausgerichtet und stellt die kleinste Produktionsstätte in Deutschland – beides keine Vorteile im bundesweiten Konkurrenzkampf.
Doch auch Emden könnte sich laut der WiWo zu einem Verkaufskandidaten entwickeln. Nur noch bis Ende des Jahres laufen dort noch Mittelklassewagen des Verbrenner-Modells Arteon vom Band, ehe anschließend in Ostfriesland nur noch die E-Automodelle ID.4 und ID.7 produziert werden. Gegen ein Emden-Aus spricht allerdings, dass Volkswagen über eine Milliarde Euro in den Umbau investiert hat. Diese Hoffnung äußerte auch Emdens Oberbürgermeister Tim Kruithoff gegenüber dem NDR.
Expertin Wisbert: Hohe Produktionskosten und Ampel-Entscheidungen spielen eine Rolle
Ein weiteres Argument gegen eine Werkschließung ist zudem der lokale Seehafen. Dieser sei „für den Volkswagen-Konzern sogar der größte Umschlags- und Fahrzeugaufbereitungsplatz“, erklärt Dirk Surma, Geschäftsführer der Emder Verkehrs- und Automotive Gesellschaft mbH gegenüber der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung. VW verschiffe von hier rund 1,5 Millionen Fahrzeuge jährlich.
Helena Wisbert, Direktorin des privaten Center Automotive Research (CAR) in Duisburg, sieht vielfältige Gründe für die verschärfte Marktsituation von VW. Einerseits liege diese an der geringen Nachfrage der Verbraucher, die in aktuell angespannten Wirtschaftslage ihr Geld zusammenhielten, erklärte die Expertin gegenüber dem Spiegel. Außerdem gebe VW die hohen Produktionskosten der „Made in Germany“-Fertigung an die Kunden weiter. Zur Wahrheit gehöre nämlich auch, dass ein Elektrofahrzeug bei Volkswagen nicht unter 40.000 Euro zu haben sei: „Von einem echten ‚Volkswagen‘ könnte man erst bei einem Preis zwischen 20.000 und 25.000 Euro sprechen.“
Dennoch seien auch Faktoren wie der hohe Preis für Industriestrom und die von der Ampel im Dezember 2023 gestrichene Umweltprämie für Elektroautos ursächlich für die Schwierigkeiten von Europas größtem Autokonzern.
Friedrich Merz sieht Schuld bei der Bundesregierung: „Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig.“
Deutlicher formulierte es CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz auf einer Veranstaltung in Osnabrück: „Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig genug.“ Das träfe auf die Automobilbranche genauso zu wie auf die Sektoren Chemie und Maschinenbau. Diese Entwicklung seien den „politischen Rahmenbedingungen“ geschuldet, in denen sich VW etwa eingleisig auf die Elektromobilität festlegen musste, ergänzte Merz: „Das zeigt jetzt auch dieser Bundesregierung endgültig, wo wir stehen.“