Ausverkauft: Das war Luise Kinseher mit „Wände streichen, Segel setzen“ im Münsinger Pallaufsaal
Kabarettistin Luise Kinseher genießt ihren Auftritt im neuen Münsinger Pallaufsaal. Dort lieferte die ehemalige „Mama Bavaria“ ein Best-of ihrer Figuren.
Münsing – Im nagelneuen Pallaufsaal durfte Luise Kinseher am Samstagabend bei der ersten kommerziellen Veranstaltung auftreten, die Bühne quasi „warm spielen“, wie sie sagte. Aber auch wenn das der Trägerin des deutschen Kabarettpreises 2023 eine Ehre war, betrat sie das Parkett mit einem etwas mulmigem Gefühl. Hatte sie, die nachlässige Hausfrau, doch gerade daheim in ihrer Wohnung an der Münchner Hollestraße einen Riss im Boden verursacht, der sich nach und nach zu einem Teich ausgeweitet hat – in dem jetzt zahlreiche seltene Pflanzen, Libellen und Schwammerl gedeihen. Das ist die skurrile Ausgangssituation ihres Programms „Wände streichen, Segel setzen“, das Luise Kinseher im ausverkauften Pallaufsaal zeigte.
Eingeladen hatte sie der Sportverein (SV) Münsing anlässlich seines 100. Geburtstags 2021. Corona hatte damals den Auftritt im Bierzelt verhindert, sodass die SV-Vorstandschaft mit Kinsehers Nockherberg-Kollegen Wowo Habdank sich entschied, bis zur Fertigstellung des Bürgerhauses zu warten. Dort lieferte die ehemalige „Mama Bavaria“ ein Best-of ihrer Figuren Mary from Bavary, Helga Frese und – ganz neu – Opernsängerin „Brava Maria“.
In ihrer verrotteten Wohnung sitzend erinnert sie sich als nuschelnde Schnapsdrossel Mary an die Mädelsurlaube auf Mallorca, wo sie es ordentlich krachen ließen („dagegen ist das Oktoberfest ein veganer Kindergeburtstag“), spricht als schwerreiche Rentnerin Frau Frese auf dem Kreuzfahrtschiff Aida über eine Vogelstimme mit ihrem verstorbenen Ehemann Heinz, bedauert, mit ihren Fastenpredigten beim „Politikergschwerl“ nichts bewirkt zu haben, allen voran bei Söder, dem „personifizierten Testosterongeschwür aus Franken“ und Aiwanger, bei dem aus jedem „a“ ein „o“ wird, wie in „Opfelsoft“. Sie sinniert köstlich über Saugroboter, SUVs, den Thermomix und Schwarze Löcher.
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Die 55-Jährige freut sich, im Publikum zwei Frauen unter 30 zu entdecken, die wahrscheinlich gar nicht glauben könnten, „dass wir unser Essen vor 20 Jahren nicht fotografiert haben“ und dass man damals noch Handwerker kriegte. Damals, in ihrer Heimat, dem niederbayerischen Geiselhöring, das wie Münsing sei, nur nicht so schön. Waldbaden – noch so eine moderne Erscheinung – könne man hier sicher hervorragend.
Sie habe das einmal ausprobiert. Beim meditativen „Lesen eines Buchenblatts“ mit seinen zahllosen Verästelungen seien ihr die eigenen Falten plötzlich wurscht gewesen. Als „Brava Maria di Bavaria“ schmettert sie bravourös die Arie aus Mozarts „Königin der Nacht“. Ungläubige Blicke aus den vorderen Reihen kommentiert sie mit: „Ja – i sing selber!“ und begleitet auch ihren Techniker Ernst Simon bei dessen Elton-John-Song.
Mühelos schlüpft die Schauspielerin von einer Rolle in die nächste, verschwindet dazwischen kurz hinter dem Vorhang, um sich umzuziehen, und schafft es, nie den roten Faden zu verlieren. Zwischen Abschied (von ihrer Wohnung, mittlerweile im Besitz der Immobilienfirma Hai und als Feuchtbiotop geschützt) und Aufbruch (in eine Zeit, in der die friedliche, Weiblichkeit symbolisierende Kuh den aggressiven, männlichen Löwen eigentlich als bayerisches Wappentier ablösen sollte), zwischen Fantasie und Realität, bewegt sich ihr gut zweistündiges Programm, nie unterhalb der Gürtellinie, stets auf hohem intellektuellen Niveau.
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Am Ende verewigt sich Kinseher im Goldenen Buch der Gemeinde mit den Worten: „Lieber Herr Grasl, lieber Wowo, herzlichen Dank für diesen wunderbaren Abend. Es war mir eine große Ehre, heute das Start-up für dieses großartige Bürgerhaus sein zu dürfen! Ich wünsche Ihnen und den Münsingern das Beste – und keine Risse!“ TANJA LÜHR