Krieg in Nahost weitet sich aus: Schwache Konjunktur wird plötzlich zur guten Nachricht
Die erbitterten Gefechte zwischen Israel und dem Libanon heizen den Nahostkonflikt weiter an. Der Ölmarkt reagiert dennoch deutlich ruhiger, als früher in diesem Jahr.
Der immer weiter eskalierende Konflikt im Nahen Osten schürt auch im Westen die Furcht vor einem Flächenbrand. Denn beide Konfliktparteien, Israel und die libanesiche Hisbollah-Miliz, haben mächtige Rückversicherungen: Die USA und den Iran. Und: Der Nahe Osten beheimatet einige der wichtigsten Ölfelder der Welt. Rein marktseitig ist die Lage jedoch entspannt: Öl ist am Weltmarkt relativ günstig.
Israel greift im Libanon an: Ölpreise reagieren noch nicht auf Krieg im Nahen Osten
Denn trotz gegenseitigen Raketenbeschusses und mehreren hundert Toten erwarten die Rohstoff-Händler scheinbar nicht, dass der lokale Konflikt im Südlibanon auf die Region ausgreift: „Der Rohölmarkt geht aktuell nicht davon aus, dass die Spannungen die Angebotsseite grundlegend beeinflussen. Der Risikoaufschlag dürfte sich im Bereich von fünf US-Dollar pro Barrel bewegen“, erklärt Linda Yu. Sie ist Rohstoffanalystin bei der DZ-Bank, dem Spitzeninstitut der Volks- und Raiffeisenbanken.
Selbst mit Aufschlag notierte Öl der Sorte Brent gestern nur bei 75 Dollar pro Barrel (159 Liter). Das ist gut 15 Dollar vom Jahreshoch bei 90 Dollar entfernt, als der Iran im April Raketen auf Israel abgeschossen hatte. „Aktuell hat der Ölpreis mit anderen Sorgen zu kämpfen“, so Yu.
Denn generell fehle es wegen der mauen Industriekonjunktur an Nachfrage aus den USA und China: „Vor zwei Wochen ist der Ölpreis das erste Mal seit drei Jahren unter 70 Dollar gefallen“, erklärt die Analystin. Sie rechnet nur mit langsam steigenden Ölpreisen: in den kommenden drei Monaten lediglich auf 80 Dollar. „2025 erwarten wir eine insgesamt solide Entwicklung der Weltkonjunktur und damit mehr Nachfrage, die den Ölpreis im ersten Quartal auf 85 Dollar heben dürfte. In 12 Monaten erwarten wir 90 Dollar.“
Ölmarkt hat sich an Konflikt im Nahen Osten gewöhnt
Weshalb aber haben die schweren Gefechte der vergangenen Tage kaum Auswirkungen auf den Markt? „Es mag etwas zynisch klingen: Der Markt hat sich in den vergangenen Monaten an die Spannungen im Nahen Osten gewöhnt“, erklärt Linda Yu. „Um einen starken Preissprung auszulösen, müsste eine physische Beeinträchtigung der Ölversorgung zumindest in greifbare Nähe rücken. Dies ist bisher nicht der Fall.“ Ein Schritt in Richtung eines solchen Szenarios wären „direkte Angriffe Israels auf die Ölinfrastruktur im Iran.“ Denn Israel und der Libanon selbst sind aus Rohstoffsicht unbedeutend.
„Ein gefährlicheres Szenario wären militärische Auseinandersetzungen in der Straße von Hormus am Persischen Golf“, so Yu weiter. Denn hinter dieser Meerenge, der den Persischen Golf mit den Weltmeeren verbindet, sitzen viele global relevante Öl-Exporteure, neben dem Iran etwa Saudi-Arabien und Katar.
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„Sollte es dort zu Kämpfen kommen, sind auch 100 Dollar pro Barrel möglich.“ Noch gefährlicher wäre es, sollten die USA sich gezwungen sehen, mit ihrer Marine einzugreifen: „Ein direkter militärischer Eingriff der USA in den Konflikt wäre eine zusätzliche Eskalationsstufe, deren Auswirkungen auf den Ölmarkt noch gravierender ausfallen dürften. In diesem Fall halten wir auch einen Ölpreis von mehr als 100 Dollar für möglich“, sagt Yu.
Deutschland würde höhere Ölpreise spüren: Schwache Konjunktur ausnahmsweise keine schlechte Nachricht
Volkswirtschaftlich wäre ein solches Szenario auch für Deutschland und Europa spürbar: Die Bundesrepublik bestreitet immer noch 30 Prozent ihres Energiebedarfs mit Mineralöl. Hohe Ölpreise hätten also einen inflationstreibenden Effekt. Das Risiko wird aber, wie gesagt, als gering eingeschätzt: „Der Nahost-Konflikt dauert inzwischen seit fast einem Jahr an, ohne dass es am Ölmarkt zu nennenswerten Angebotsausfällen gekommen ist“, so auch Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch. Nicht einmal die erfolgreichen Angriffe der pro-iranischen Huthi-Rebellen auf Öltanker im Roten Meer hätten die globale Versorgung stören können.
Damit sorgt die aktuelle Wirtschaftsschwäche in den beiden größten Volkswirtschaften der Welt – den USA und China – zumindest für inflationsdämpfende Rohstoffpreise. Privatkunden in München können Heizöl gerade für bestenfalls 96 Cent (ab 3000 Litern) kaufen, zeigt das Vergleichsportal Heizöl24.
Das gilt auch für Erdgas, wovon ein Teil aus dem Nahen Osten stammt. Die wieder günstigeren Preise hier drücken auch die Kosten für Strom in Deutschland. Verbraucher können Verträge gerade so günstig abschließen, wie 2019. Real ist elektrische Energie damit – zumindest auf Privatkundenseite – günstiger als vor der Russland-Krise.