„Politik im Blindflug“ – Bundesregierung kennt Kosten für Renten-Neuerung nicht

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Millionen von Renten werden nicht vollständig ausgezahlt. Eine Reform soll Menschen mit kleinem Einkommen helfen, doch bei der Ampel gibt es eine entscheidende Wissenslücke.

Berlin – Etlichen Menschen wird die Rente nicht vollständig ausgezahlt. Das zeigen kürzlich veröffentlichte Zahlen der Bundesregierung. Besonders betroffen sind Witwen und Witwer, die eine Hinterbliebenenrente bekommen. Im Jahr 2022 wurde 86,9 Prozent der knapp 5,8 Millionen Witwen und Witwer die Hinterbliebenenrente nicht ganz ausgezahlt. Durch eine Reform sollen künftig besonders arbeitende Menschen entlastet werden und die volle Rente erhalten – allerdings weiß die Ampel-Koalition gar nicht, wie viele Menschen das betrifft.

Witwenrente wird für Millionen nicht ganz ausgezahlt

Durchschnittlich 204 Euro werden den Witwen und Witwern jeden Monat von der eigentlichen Hinterbliebenenrente abgezogen. Die Daten stammen von der Deutschen Rentenversicherung und wurden von der Bundesregierung im Zuge einer kleinen Anfrage der Linken im Bundestag veröffentlicht. Im Jahresvergleich zeigt sich, dass der Anteil der Menschen, die nicht die volle Rente bekommen, zugenommen hat, ebenso die Höhe der Abzüge. 2018 betrug dieser durchschnittlich noch 172 Euro.

Hinter den Abzügen steckt die sogenannte Einkommensanrechnung. Witwer und Witwen, die neben der Hinterbliebenenrente ein zusätzliches Einkommen beziehen und damit einen Freibetrag überschreiten, bekommen weniger Geld von der Rentenkasse. Kritiker und Betroffene beklagen schon lange, dass der Freibetrag im Einzelfall oft zu niedrig sei und Menschen mit wenig Geld darunter litten.

Bundesregierung will Reform – weiß aber nicht, für wen

Die Bundesregierung will das nun ändern. In der im Kabinett bereits verabschiedeten Wachstumsinitiative soll ein Sockelbeitrag für arbeitende Witwen und Witwer kommen: Wer auf Mini-Job-Basis arbeitet, soll künftig von der Einkommensanrechnung ausgenommen sein. Wie sich durch die Anfrage der Linken allerdings herausstellte, weiß die Ampel-Koalition nicht einmal, wie viele Menschen das betrifft. Denn dafür muss klar sein, welche Art von Zusatzeinkommen – etwa Arbeit oder eine eigene Rente – die Menschen neben der Hinterbliebenenrente bekommen.

Die parlamentarische Staatssekretärin im Arbeits- und Sozialministerium, Kerstin Griese (SPD), schrieb für die Bundesregierung: „Eine Differenzierung nach Fällen mit Erwerbseinkommen ist nicht exakt möglich. In der Mehrheit der Fälle wird eine eigene Rente als anrechenbares Einkommen bezogen.“

„Politik im Blindflug“

Für Matthias W. Birkwald, Renten- und Alterspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, hat die Reform der Ampel damit einen faden Beigeschmack. Zwar begrüße er, „dass die Witwen und Witwer zukünftig mehr von ihrem Hinzuverdienst behalten werden dürfen. Gerade diejenigen mit kleinen und mittleren Einkommen wird das enorm entlasten“, sagte Birkwald gegenüber IPPEN.MEDIA.

Die Wissenslücke über die Kosten der Reform ärgert den Linken-Politiker aber: „Nur schlägt die Bundesregierung wieder einmal Maßnahmen vor, bei denen sie eigentlich die rechnerische Grundlage gar nicht benennen kann. Mit der Wachstumsinitiative soll die Anrechnung aus Erwerbseinkommen bei den Witwenrenten reformiert werden, aber wie viel Erwerbseinkommen dort überhaupt anrechnet wird, das weiß die Ampel gar nicht“, so der Linken-Abgeordnete, der deshalb mit hart mit der Koalition ins Gericht geht: „Das bedeutet auch, dass SPD, Grüne und FDP die finanziellen Auswirkungen weder für die Witwen und Witwer, noch für die Rentenversicherung benennen können. Ihre Politik im Blindflug ist eine schlechte Politik.“

Millionen Witwen und Witwer bekommen die Hinterbliebenenrente nicht voll ausgezahlt. Das geht aus einer kleinen Anfrage des Linken-Politikers Matthias W. Birkwald an die Bundesregierung hervor. © Imago/ dts Nachrichtenagentur/ C3 Pictures

Abschaffung der Witwenrente

Genaue Daten hat die Regierung dagegen bei der Frage, wie viele Rentenbeiträge nicht ausgezahlt werden – etwa wegen Versterben der Rentnerinnen und Rentner: 2018 wurden rund fünf Milliarden Euro nicht aus der Rentenkasse gezahlt, 2023 fast 6,5 Milliarden.

Einige Expertinnen und Experten wie die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, sprechen sich für eine komplette Abschaffung der Hinterbliebenenrente und einer Reform des Systems aus. Sie forderte im vergangenen Jahr, künftig alle Rentenbeiträge gleichmäßig zwischen beiden Ehepartnern zu verteilten – eine Art „Rentensplitting“.

Auch interessant

Kommentare