Nicht nur Protein! Experte spricht über ein unterschätztes Supplement für Muskelaufbau

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Als Ergänzung zum Krafttraining schwören viele auf eine proteinreiche Ernährung für optimalen Muskelaufbau. Doch es gibt noch ein weiteres Supplement, das sich anbietet. © IMAGO / Pond5 Images

Eine ausreichende Versorgung mit Protein gilt als essenziell für optimalen Muskelaufbau. Dabei wird die Supplementierung eines anderen Nährstoffs eher unterschätzt, wie Prof. Dr. Jürgen Gießing vom Deutschen Fitnesswissenschaftsrat im Interview erklärt.

Für effektiven Muskelaufbau spielt regelmäßiges Training eine wichtige Rolle – unabhängig vom Alter der Trainierenden. Mit der richtigen Ernährung kann das Muskelwachstum noch weiter unterstützt werden. Die Versorgung mit ausreichend Protein spielt eine wichtige Rolle, was durch zahlreiche Studien belegt ist. Die Sinnhaftigkeit des Konsums von Eiweiß-Pulver, Proteinriegeln, Joghurt mit Extra-Protein, etc. ist jedoch in vielen Fällen infrage zu stellen. Schließlich nehmen die meisten Menschen genügend Eiweiß über die normale Nahrung zu sich, um ihren Bedarf zu decken – auch Sportler, die Muskelaufbau betreiben. Sie haben einen täglichen Bedarf von etwa 1,4 bis 2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht (Quelle: Geisler/Gavanda/Isenmann/Havers (2022). Hypertrophietraining. S. 233).

Neben Eiweiß könnte ein anderes Supplement eine unterschätzte Rolle beim Muskelaufbau spielen – insbesondere für Menschen über 40. Welcher Nährstoff das ist, und was ihn so hilfreich für den Muskelaufbau macht, erklärt Sportwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Gießing (TU Kaiserslautern-Landau) im Gespräch mit „Ippen Media“.

So wirkt Kreatin in der Muskulatur

Herr Prof. Gießing, ist es aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll, bestimmte Nährstoffe wie Eiweiß zu supplementieren, um optimalen Muskelaufbau zu erzielen?

Prof. Dr. Jürgen Gießing: „Ich befasse mich seit langem mit dem gesundheitsorientierten Muskeltraining. In diesem Zusammenhang wird zwar zu Recht immer über Eiweiß gesprochen. Vor 30 Jahren hat die Wissenschaft aber schon entdeckt, dass es ein Supplement gibt, das nachweisbare Effekte hat, bei richtiger Dosierung ohne jegliche Nebenwirkungen, und das im natürlichen Stoffwechsel vorkommt: Kreatin! Mit dem Thema befasse ich mich seit Jahren und habe die wichtigsten Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst.“

Zur Person

Porträt Prof. Dr. Jürgen Gießing
Prof. Dr. Jürgen Gießing © privat

Prof. Dr. Jürgen Gießing, Leiter des Instituts für Sportwissenschaft an der TU Kaiserslautern-Landau, ist Mitglied im Deutschen Fitnesswissenschaftsrat. Seine Forschungsschwerpunkte sind die gesundheitsfördernden Effekte regelmäßigen Muskeltrainings im Alterungsverlauf (von der Jugend bis ins hohe Alter), das Hochintensitätstraining (HIT) und die Bedeutung von Kreatin für metabolische Gesundheit und Leistungsvermögen.

Zwei seiner Bücher gelten als Standardwerke auf dem jeweiligen Gebiet: „HIT. Mit hochintensivem Training weniger Zeit investieren und schneller Muskeln aufbauen“ und „Kreatin: Eine natürliche Substanz und ihre Bedeutung für Muskelaufbau, Fitness und Anti-Aging“

Warum ist es nicht so populär wie Eiweiß?

Gießing: „Es ist ein Nischenthema. Was ich bis heute nicht verstehen kann, weil Kreatin wirklich ausgesprochen wirksam ist.“

Was macht Kreatin so wichtig?

Gießing: „Da ist zum einen der Leistungsaspekt. Jahrelang haben wir uns damit befasst, was Kreatin in der Muskulatur macht. Da ist es nämlich unheimlich wichtig im anaeroben Stoffwechsel, der für intensive Anstrengungen wie Sprints oder Krafttraining benötigt wird. Beim Krafttraining benötigt der Körper Kreatinphosphat. Wenn jemand ausreichend Kreatin über die Nahrung zuführt, dann merkt er das in der Regel beim Training und wird leistungsfähiger. Es ist nachweisbar, dass man dann die eine oder andere Wiederholung mehr schafft, bevor man in die Erschöpfung kommt. Das macht Kreatin zu einem absolut nutzbringenden Supplement. Außerdem verkürzt es die Regenerationsdauer zwischen Trainingssätzen und zwischen Trainingseinheiten.“

Welche Rolle spielt Kreatin für Menschen Ü40 oder noch älter, die Muskulatur aufbauen oder erhalten wollen?

Gießing: „Was das Krafttraining betrifft, ist es so, dass Kreatin gerade für Ältere noch mal interessanter ist als für Jüngere. Jüngere haben mehr Muskelmasse und damit auch mehr Kreatinphosphat, weil dieses zu 95 Prozent in der Muskelmasse gespeichert ist. Wenn wir aber lange Zeit nicht trainiert oder altersbedingt einen gewissen Muskelschwund haben, dann haben wir natürlich weniger Muskelmasse und somit auch weniger Kreatinphosphat im Körper. Also gerade jemand, der älter ist und mit Krafttraining anfängt, sollte darüber nachdenken, Kreatin zu supplementieren. Da reichen wenige Gramm pro Tag aus“

Studie zu Kreatin-Supplementierung und Krafttraining bei Älteren

Kanadische Forscher untersuchten 2017 in einer Metaanalyse die Auswirkung einer Kreatin-Supplementierung während des Krafttrainings auf die Muskelmasse und Muskelkraft bei älteren Erwachsenen. Es wurden insgesamt 22 Studien mit 721 Teilnehmern (sowohl Männer als auch Frauen; mit einem Durchschnittsalter von 57 bis 70 Jahren) einbezogen, die während des Krafttrainings 2 bis 3 Tage lang nach Zufallsprinzip Kreatin-Präparate oder Placebo erhielten.

Ergebnis: Die Kreatin-Supplementierung führte zu einem größeren Anstieg der Muskelmasse sowie der Kraftwerte bei Brustpresse und Beinpresse.

Kreatin-Bedarf für optimalen Muskelaufbau Ü40

Welche Empfehlung gibt es konkret zur Deckung des täglichen Kreatinbedarfs?

Gießing: „Ein bis drei Gramm sind für die meisten Leute schon absolut ausreichend. Und man kann es auch über die Nahrung aufnehmen. Wer gerne Fleisch oder Fisch isst, der bezieht darüber schon einen Teil seines Kreatins. Aber wer sich vegetarisch oder vegan ernährt, der kriegt über die Nahrung 0,0 Kreatin.“

Ist Kreatin nur im Fleisch?

Gießing: „Ja. ‚Kreas‘ ist ja das griechische Wort für Fleisch. Deswegen hat man den Stoff so genannt, weil es nur im Fleisch vorkommt.“

Welche Optionen gibt es für Vegetarier und Veganer?

Gießing: „Kreatin-Monohydrat ist die übliche Form, in der Kreatin supplementiert wird, und ist zu 100 Prozent vegan.“

Darauf kommt es bei Kreatin-Supplements an

Worauf sollte man beim Kauf von Kreatin-Supplements achten?

Gießing: „Es gibt unzählige Hersteller, die alle gutes Kreatin anbieten. Man sollte darauf achten, dass es reines ‚Creapure‘ ist. Es gibt inzwischen dutzende Firmen, die diese hochwertige Form von Kreatin anbieten. Das ist ein eingetragenes Markenzeichen. Creapure-Kreatin muss eine 100-prozentige Reinheit aufweisen. Bei anderen Kreatin-Sorten ist nicht ganz klar, was da eventuell noch drin ist – zum Beispiel Rückstände von anderen Sachen, die man nicht will. Und wenn man ganz auf Nummer sicher gehen will, dann schaut man einfach auf der Kölner Liste. Die wird in Zusammenarbeit mit dem biochemischen Institut der Deutschen Sporthochschule und der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) erstellt. Die untersuchen Nahrungsergänzungsmittel und ähnliche Produkte. Nur wenn diese dopingfrei und absolut in Ordnung sind, dann kommen sie auf die Liste. Da kann man sich bedenkenlos ein Kreatin-Produkt aus mehr als zwanzig Angeboten aussuchen.“

Also ist Kreatin für alle von Bedeutung, die mit regelmäßigem Krafttraining Muskulatur aufbauen oder erhalten wollen. Gibt es sonst noch gesundheitliche Vorteile, die eine Supplementierung mit sich bringt?

Gießing: „In den letzten Jahren hat sich der Fokus erweitert und geht über reine Leistungsaspekte weit hinaus. Zusammen mit Dr. Robert Marshall, dem Mannschaftsarzt von RB Leipzig, bin ich gerade dabei, eine Übersicht über die sportlichen und gesundheitlichen Potenziale von Kreatin zusammenzutragen. Vieles deutet auf zahlreiche positive Effekte hin. Die Grundannahme dabei lautet: Da Kreatin im anaeroben Stoffwechsel hilft, dann müsste es auch bei den Krankheiten oder Verletzungen helfen, bei denen die Zellen zu wenig Sauerstoff zur Verfügung haben – zum Beispiel bei Prellungen, aber möglicherweise auch bei schwereren gesundheitlichen Problemen. Außerdem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass eine ausreichende Kreatin-Versorgung auch die Hirnleistung verbessert. Es gibt also tatsächlich zahlreiche Hinweise, dass Kreatin allgemein gesundheitsfördernd wirken kann.“

In den weiteren Teilen des Gesprächs mit Prof. Dr. Jürgen Gießing zum Muskelaufbau Ü40 lesen Sie, warum Muskelaufbau Ü40 so wichtig ist, worauf es beim Umgang mit Schmerzen ankommt, auf welche Übungen Ältere beim Krafttraining verzichten sollten und wie das optimale Muskelaufbau-Training Ü40 aussieht.

Die Autorin ist ehemalige Leistungssportlerin, geprüfte Skilehrerin und Fitnesstrainerin (B-Lizenz).

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