Sportwissenschaftler erklärt, wie das optimale Muskelaufbau-Training Ü40 aussieht

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Rudern oder Squats mit der „Landmine“ werden immer populärer. Für Anfänger eignet sich die Übungen an der Maschine allerdings besser. © IMAGO / Dreamstime

Wie trainiert man am besten seine Muskeln, wenn man über 40 ist? Ein Sportwissenschaftler erklärt, wie das ideale Muskelaufbautraining aussieht und gibt Tipps zu Übungen und Trainingshäufigkeit.

Es ist nie zu spät, mit dem Krafttraining anzufangen - ganz im Gegenteil. Im Alter wird Muskelaufbau immer wichtiger. Aber wie trainiert man richtig, wenn man Ü40 ist? Prof. Dr. Jürgen Gießing von der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau und Autor des Buchs „Muskeltraining für Senioren“ erklärt, wie oft man pro Woche trainieren sollte, welche und wie viele Übungen pro Einheit und Wiederholungen pro Satz sinnvoll sind und was es beim Warm-up zu beachten gilt.

Schweres Gewicht oder viele Wiederholungen? Darauf kommt es an

Können Menschen Ü40 noch richtig schwere Gewichte stemmen?

Prof. Dr. Jürgen Gießing: „Absolut. Die Frage ist nur, hat man einen Blick, was schwer bedeutet? Das ist ein relativer Begriff. Die meisten Älteren, die trainieren, wollen ja kein klassisches Gewichtheben machen. Sie wollen nicht zu Olympia, sondern sie wollen einfach den Muskel und die Kraft erhalten oder verbessern. 10 bis 20 Wiederholungen pro Krafttrainingssatz sind da wunderbar, um Richtung Muskelaufbau und Kraftausdauer zu gehen.“

Was bedeutet das fürs Gewicht?

Gießing: „Wenn ich bei einer Übung das Gewicht so wähle, dass ich zehn Wiederholungen sauber in guter Technik schaffe, bevor nichts mehr geht, dann ist das schon ein schweres Gewicht. Aber es ist immer noch leicht genug, damit es nicht problematisch für meine Gelenke wird.“

„Das Gewicht ist nur Mittel zum Zweck“

Es gibt durchaus ehrgeizige Sportlerinnen und Sportler, die einen Traumkörper über 40 erreichen wollen. Wie sinnvoll ist es da, Sätze mit weniger Wiederholungen und höheren Gewichten, die Richtung One Repetition Maximum (1RM) gehen, zu machen?

Gießing: „Davon würde ich eher weggehen. Das 1RM muss uns nicht interessieren, außer wir sind Gewichtheber. Selbst wenn man mit richtig schweren Gewichten arbeitet, mit maximal 5 Wiederholungen pro Satz – also so, dass man nach der fünften die sechste Wiederholung nicht mehr schafft. Da spricht überhaupt nichts dagegen. Aber für ein Hypertrophietraining ist das nicht unbedingt notwendig. Für jemand, der verstärkt auf Kraft gehen will, ist das wiederum schon sinnvoll, dass er auch mal so wenige Wiederholungen bei hoher Intensität macht.“

Maximalkrafttraining geht also auch für Ältere?

Gießing: „Das kann auch ein alter Körper relativ gut wegstecken. Genauso wie ein junger. Wir müssen uns nur immer eins vor Augen halten: Das Gewicht ist nur ein Mittel zum Zweck. Es ist nur ein Werkzeug. Wir sind immer an Zahlen fixiert: ‚Wenn ich jetzt 80 Kilo drücke, ist es besser, als wenn ich 75 drücke!‘ Aber wenn ich 75 Kilo in guter Technik drücke und dafür zweimal mehr als die 80, dann sollte ich vielleicht mit den 75 Kilo arbeiten. Das Gewicht nehme ich dazu, um nach einer bestimmten Wiederholungszahl den Muskel zu erschöpfen. Das ist die eigentliche Aufgabe. Und wenn das Gewicht genau das macht, dann ist es genau das richtige Gewicht.“

Auswahl der Kraft-Übungen: Wie eine optimale Trainingseinheit aufgebaut ist

Wir halten fest: Beim Muskelaufbautraining sollten sich Menschen Ü40 an 10 bis 20 Wiederholungen pro Satz orientieren und das Gewicht so wählen, sodass der Muskel am Ende dieser Wiederholungszahl erschöpft ist. Wer seinen Fokus auf Kraftsteigerung legt, macht circa fünf Wiederholungen bei entsprechend höherem Gewicht. Was gilt es beim Umfang des Trainings noch zu beachten?

Gießing: „Das hängt natürlich davon ab, wie oft man trainieren und wie man seine Einheiten gestalten will. Ob als Ganzkörpertraining mit längeren Einheiten, dafür nur zwei- bis dreimal pro Woche, oder als Split-Training mit kürzeren Einheiten an mindestens vier Tagen pro Woche. Das ist Geschmackssache.“

Gehen wir vom Ganzkörpertraining aus.

Gießing: „Man kann in einer Trainingseinheit sehr gut den ganzen Körper trainieren. Insbesondere wenn man mit Grundübungen arbeitet, zum Beispiel Bankdrücken, Rudern oder Beinpresse. Dann hat man mit drei Übungen schon fast alle Muskeln abgedeckt. Also man hat gedrückt, gezogen und mit den Beinen gearbeitet. Und bei der Beinpresse ist auch die Hüft- und Gesäßmuskulatur mit dabei. Muskeln arbeiten immer synergistisch zusammen und mit einem halben Dutzend Übungen kann man ganz gezielt den ganzen Körper trainieren.“

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Also sechs Übungen pro Trainingseinheit?

Gießing: „Das Minimum sind zwei Übungen pro Körperhälfte. Eine drückende und eine ziehende Übung für den Oberkörper, beispielsweise Liegestütze und Klimmzüge. Dann hat man die Vorderseite und die Hinterseite trainiert, die sogenannten Muskelketten oder Muskelschlingen. Beim Ziehen arbeiten Armbeuger, die hintere Schulter und der Latissimus, beim Drücken Armstrecker, vordere Schulter und Brust. Für den Unterkörper gilt das Gleiche. Also beispielsweise Beinpresse oder auch Kniebeugen, wenn man sie technisch sauber hinbekommt, und dann vielleicht noch den Beinbeuger an der Maschine. Der Grundsatz lautet immer: antagonistisch trainieren. Wer drückt, muss auch ziehen, sonst wird er irgendwann krumm. Das sieht man beispielsweise bei den Leuten, die nur Bankdrücken und den Bizeps trainieren. Das sorgt für Verkürzungen und Dysbalancen, die es eigentlich zu vermeiden gilt.“

Zwei Übungen für den Unterkörper und zwei für den Oberkörper macht vier insgesamt. Wie kann man diese noch sinnvoll ergänzen?

Gießing: „Im Fitnessstudio könnte man beispielsweise noch die Schulterpresse hinzunehmen. Was auch gut ist, ist eine zusätzliche Bauchübung. Zwar muss die Bauchmuskulatur auch bei Übungen wie Kniebeugen oder Überkopfdrücken stark arbeiten. Trotzdem ist es sinnvoll, die Bauchmuskulatur und auch den unteren Rücken mit jeweils einer Übung gezielt zu stärken. Das geht beispielsweise mit Crunches für den Bauch und der Plank für den Rücken. Wenn man im Studio trainiert, gibt es spezielle Rückenstrecker-Maschinen – das ist dann perfekt. Dann hat man sechs Übungen, zwei für Brust und Rücken, zwei für Bauch und unteren Rücken und zwei für die Beine.“

Trainingsplan für Gym-Anfänger als PDF downloaden

Sie sind neu im Fitnessstudio und wollen sowohl Muskeln aufbauen als auch Abnehmen? Wie das Training aufgebaut sein sollte, wie viele Wiederholungen und Sätze zu absolvieren sind, erfahren Sie im Trainingsplan, den Sie sich hier kostenlos als PDF herunterladen können.

Junger Mann trainiert in der Beinpresse
Fitness-Anfänger, die im Gym am Ziel Abnehmen arbeiten wollen, finden in der PDF-Bibliothek einen passenden Trainingsplan. © IMAGO/Pond5 Images

Krafttraining Ü40: So oft sollten Sie mindestens pro Woche trainieren

Wie oft muss man pro Woche trainieren, um effektiv Muskeln aufzubauen?

Gießing: „Gehen wir von diesem Ganzkörpertraining aus, dann zeigt die Trainingsforschung, dass man bereits mit einer regelmäßigen Trainingseinheit pro Woche Fortschritte erzielt – sowohl im Hinblick auf Muskelzuwachs und Kraftzuwachs. Wir wissen auch, dass zwei Einheiten pro Woche bessere Resultate bringen als eine. Ab drei wöchentlichen Trainingseinheiten werden die zusätzlichen Vorteile kleiner und bei mehr als drei liegen sie im Mini-Bereich. Was wir anstreben sollten, sind zwei Trainingseinheiten pro Woche – und zwar immer.“

Eine Trainingseinheit ist aber besser als keine ...

Gießing: „Es kann auch mal eine Einheit sein, aber zwei wären schon besser, und zwar regelmäßig. Es hilft nichts, wenn ich sage: ‚Ich gehe immer montags.‘ Dann ist einmal Feiertag, einmal bin ich auf einem Geburtstag eingeladen und das nächste Mal muss ich länger arbeiten. Dann trainiere ich praktisch nie. Man darf sich nicht in die Tasche lügen. Es muss dann auch wirklich mindestens eine Einheit pro Woche sein. Und wenn ich montags nicht gehen kann, dann gehe ich dienstags. Wenn man die Trainingseinheiten schiebt, muss man aber einen anderen Grundsatz beachten: Niemals auf aufeinander folgenden Tagen Krafttraining für die gleichen Muskeln machen. Wenn man es beispielsweise unter der Woche nicht geschafft hat, sollte man nicht Samstag und Sonntag jeweils ein Ganzkörpertraining machen. Dann lieber nur einmal oder splitten. Samstags vier, fünf Übungen für die Beine und sonntags vier, fünf Übungen für den Oberkörper. Das kann man dann auch mal machen.“

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Muskelaufbautraining Ü40: Allgemeines und lokales Aufwärmen

Was gibt es beim Warm-up fürs Muskelaufbautraining zu beachten?

Gießing: „Es ist günstig, wenn man die Körpertemperatur erstmal hochbringt. Zum Beispiel kann man erstmal fünf Minuten auf dem Fahrrad strampeln. Wenn man anfängt zu schwitzen, ist es ein Zeichen, dass die Körpertemperatur sich erhöht, weil der Körper nach außen Wärme abgeben will. Und das ist genau unser Ziel. Wenn die Körperkerntemperatur erhöht ist, dann ist auch die Gelenkschmiere aktiv und so weiter. Dann ist unser Muskel gut auf Belastung eingestellt. Und das Risiko für bestimmte Verletzungen sinkt.“

Wie hoch ist das Verletzungsrisiko im Kraftsport allgemein?

Gießing: „Das normale Muskelaufbautraining, anders als das Gewichtheben oder Power Lifting, ist schon eine Sportart oder Trainingsform mit der geringsten Verletzungsquote überhaupt. Selbst Tischtennis ist da gefährlicher.“

Muss man sich auch spezifisch am jeweiligen Gerät bzw. mit der jeweiligen Übung aufwärmen?

Gießing: „Es bietet sich an, ein lokales Aufwärmen zu machen. Das heißt, man macht langsam und kontrolliert ein paar Wiederholungen mit der Hälfte des Gewichts, was man eigentlich nehmen würde. Erst drücken, dann ziehen, dann Beinpresse. Dann hat man sich allgemein aufgewärmt und lokal, und kann loslegen. Ganz wichtig ist nämlich, wie bereits angesprochen, antagonistisch zu trainieren. Wenn ich drücke, muss ich auch ziehen, damit die drückenden Muskeln und die ziehenden Muskeln gleichermaßen trainiert werden. So vermeidet man Dysbalancen und erhält seine Beweglichkeit. Das ist das Charmante beim Krafttraining. Das Beweglichkeitstraining ist quasi inkludiert, ich bekomme es kostenlos mit dazu. Denn wenn beispielsweise der Bizeps voll kontrahiert ist, dann ist der Trizeps maximal gestreckt. Deswegen immer ‚full range of motion‘ gehen, also die Bewegung nicht abbrechen, sondern ganz bis zum Ende hin ausführen. Dann ist der Antagonist gestreckt und gedehnt. Und das ist nachweisbar, wenn Menschen mit einem Krafttraining anfangen und vernünftig trainieren, also antagonistisch und in ‚full range of motion‘, dann ist hinterher die Beweglichkeit vergrößert, ohne dass die zusätzlich ein Beweglichkeitstraining machen. Das hat man 1973 erstmals in einer großen Studie festgestellt und seitdem immer wieder.“

Also ist das klassische Stretching nicht zwingend notwendig?

Gießing: „Genau. Aber das ist ein bisschen Geschmackssache, manche Leute brauchen das als mentalen Einstieg, dass sie vorher ein bisschen dehnen. Aber das Dehnen vor dem Training reduziert die Kraft beim anschließenden Training. Das ist ganz unzweifelhaft. Deswegen mein Tipp: Wer sich dehnen möchte, der sollte das nachher tun. Erstens habe ich dann schon ein bisschen Dehnübung gemacht beim Training. Zweitens ist die Muskulatur vollkommen aufgewärmt. Ein warmer Muskel lässt sich besser dehnen als ein kalter. Und es gibt keine Verletzungsprobleme.“

Wie man Ausdauer- und Muskelaufbautraining sinnvoll kombiniert

Wie kann ich Ausdauertraining in das Trainingsprogramm für den Muskelaufbau Ü40 sinnvoll integrieren? Das sollte man schließlich nicht komplett hinten runterfallen lassen.

Gießing: „Hier sollte man im Idealfall auch zwei bis drei Einheiten pro Woche absolvieren, an anderen Tagen als das Krafttraining.“

Ist Krafttraining wichtiger im Alter als Ausdauertraining?

Gießing: „Ich will die Trainingsformen nicht gegeneinander ausspielen. Es ist einfach beides wichtig. Wir brauchen die Leistungsfähigkeit unseres Herz-Kreislauf-Systems und die entsprechenden Anpassungsvorgänge. Aber auch das Krafttraining brauchen wir, weil unsere Muskeln sonst flöten gehen und unsere Knochen an Dichte abnehmen. Der Grund, warum man mittlerweile sagt, Krafttraining ist noch wichtiger, ist, dass man es jahrelang aus den Augen verloren hatte. Die Leute wussten schon, dass man sich bewegen muss, ab und zu mal laufen oder spazieren gehen. Aber früher hat man Älteren eher vom Krafttraining abgeraten. Das sei zu anstrengend, sie würden sich eher schaden, es ginge auf die Gelenke und so weiter. Aber das stimmt alles gar nicht. Das ist nur so, wenn man es unsachgemäß macht.“

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In den weiteren Teilen des Gesprächs zum Muskelaufbau Ü40 mit Prof. Dr. Jürgen Gießing ging es unter anderem um folgende Themen:

Die Autorin ist ehemalige Leistungssportlerin, geprüfte Skilehrerin und Fitnesstrainerin (B-Lizenz).

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