Junger Syrer (26) aus Grafing erhält Morddrohung mit Hakenkreuz

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Mit dem Handy hat Abdul die Morddrohung abfotografiert. Unter dem Kreis, eingefügt von der Redaktion, trägt der Brief ein Hakenkreuz. „Dein Todestag“ steht darunter. © sro

Kurz vor seiner Einbürgerung findet der 26-jährige Abdul A. eine rechtsradikale Hassbotschaft im Briefkasten. Der junge Syrer ist schockiert. Die Polizei sucht nach Spuren, seine Kollegen setzen eine Belohnung aus.

Patientenakten stapeln sich am Empfang der Baldhamer Arztpraxis, im Minutentakt klingelt das Telefon, eine Mitarbeiterin lotst einen Buben vom Wartebereich durch den schmalen Gang in Richtung Behandlungszimmer. Abdul A. steht dort wartend in der Tür, deren milchiges Glas öffnet den Blick auf eine Behandlungsliege, eine grell leuchtende Untersuchungslampe scheint auf die Untersuchungsinstrumente.

Mit wasserfestem Filzstift durchgestrichen: Jemand hat zeitgleich mit dem Brief das Klingelschild von Abdul und seinem Cousin an ihrer Grafinger Wohnung übermalt.
Mit wasserfestem Filzstift durchgestrichen: Jemand hat zeitgleich mit dem Brief das Klingelschild von Abdul und seinem Cousin an ihrer Grafinger Wohnung übermalt. © ez

In seiner Hand hält der Arzthelfer die Akte des Buben. „Ich komme gleich“, sagt er an seine Chefin gewandt. Dann dreht er sich um, zieht die FFP2-Maske vom Mund. Ein schmales Lächeln huscht ihm über das Gesicht. Doch wirklich glücklich scheint Abdul nicht zu sein, Sorgenfalten durchfurchen seine Stirn. Keine 24 Stunden ist es her, dass der aus Syrien geflüchtete junge Mann eine Morddrohung aus seinem Briefkasten in Grafing gefischt hat. Der Schock sitzt tief.

Syrer (26) findet Morddrohung mit Hakenkreuz in seinem Briefkasten

Ein Tag zuvor: Es ist der frühe Dienstagmorgen, als Abduls Cousin von der Nachtschicht nach Hause kommt. Der 26-jährige Arzthelfer ist zu dem Zeitpunkt bereits wach, schließlich fährt er jeden Tag um kurz vor 7 Uhr in die Arbeit. „Mein Cousin hat den Briefkasten geöffnet, so wie immer eigentlich“, erinnert er sich. Doch an diesem Tag ist etwas anders: Zwischen Rechnungen und Werbung findet sein Cousin ein blankes Kuvert.

Neugierig öffnet er den Brief in der gemeinsamen Wohnung. „Er hat dann sofort nach mir gerufen. Ich war erschrocken“, sagt der Abdul über den Inhalt des Schreibens. In fein säuberlichen Druckbuchstaben zieren die Worte „Dein Todestag. 1.7.2024“ das linierte DIN A4 Papier. Darüber ist ein schwarzes Hakenkreuz gemalt.

Kollegen aus Baldhamer Praxis über rechtsextreme Anfeindung schockiert: „Einfach unvorstellbar“

„Es fehlt nur noch die Uhrzeit“, sagt Abdul bedrückt. Mittlerweile hat sich der 26-Jährige im Pausenraum der Praxis auf einen Stuhl gesetzt. Auf seinem Handy zeigt er ein Foto der Todesdrohung. „Ich habe eigentlich keine Angst, aber jetzt mache ich mir schon Sorgen“, erklärt er. Denn neben der rechtsradikalen Anfeindung sei auch sein Klingelschild mit schwarzem Filzstift durchgestrichen worden. „Das war ein gezielter Angriff“, ist er sich sicher.

Zusammen arbeiten sie in einer Zahnarztpraxis in Baldham: Abdul Almohammad (re.) und Jan Rosendahl.
Zusammen arbeiten sie in einer Arztpraxis in Baldham: Abdul A. (re.) und Jan R. © sro

„Und, dass da sogar der genaue Tag draufsteht, das ist schon ein komisches Gefühl.“ Auch die Belegschaft der Baldhamer Arztpraxis, in der Abdul A. seit einigen Monaten arbeitet, ist von der rechtsradikalen Hassbotschaft alarmiert. „Es ist einfach unvorstellbar“, sagt Kollege Jan R. fassungslos. „Abdul ist so ein netter Mensch, immer freundlich. Wir schätzen ihn sehr.“ Bei allen stelle sich daher nur eine Frage: „Wer macht sowas?“

Polizei ermittelt – Kollegen loben 1000 Euro Belohnung für Hinweise aus

Eine mögliche Antwort hat Abdul nicht. Er habe sich mit niemandem gestritten, sei vom Wesen her ruhig und habe sich seit seiner Flucht nach Deutschland vor rund zehn Jahren bestens integriert. „Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung, eine Freundin, viele deutsche Freunde“, zählt er auf. In den kommenden Wochen erhält Abdul sogar einen deutschen Pass. Auch sein Cousin könne sich die Todesdrohung nicht erklären. Doch seit dem hasserfüllten Briefkastenfund ist für den 26-Jährigen alles anders. „Ich dachte immer, in Deutschland kann mir nichts passieren. Ich komme aus einem Land, in dem Krieg herrscht. Ich bin hierher, um endlich in Sicherheit zu leben“, erzählt er mit brüchiger Stimme. Eine Illusion, wie Abdul nun schweren Herzens feststellen muss.

„Ich traue mich kaum noch rauszugehen“, sagt er. Selbst in seiner Wohnung fühle sich der Arzthelfer nicht mehr sicher. Für Kollegen Jan R. verständlich. „Solchen Menschen kann man alles zutrauen“, sagt er. Mit gemischten Gefühlen blicken die beiden nun auf den 1. Juli. „Ich weiß nicht, was passieren wird“, erklärt Abdul verunsichert. Bei der Polizei habe er bereits Anzeige erstattet. Die Morddrohung sei sichergestellt worden. „Der Spurenträger wird nun auf mögliche Fingerabdrücke untersucht“, erklärt Anja Schmidt, stellvertretende Dienststellenleiterin der PI Ebersberg. Jan R. kündigt an, zusätzlich eine Belohnung in Höhe von 1000 Euro für Hinweise auszuloben. Der Sicherheit der Beteiligten zuliebe enthält dieser Text keine vollständigen Namen. Am 1. Juli will Abdul nicht alleine sein.

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