Euro-Shops bis Döner-Buden – wir führen die falsche „Stadtbild“-Debatte

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Kennen Sie das? Man kommt nach Jahren wieder in eine Stadt – und ist – gelinde gesagt – überrascht, was sich da verändert hat. Selten zum Guten. Ich bin oft unterwegs im Land. Und oft überrascht. In Würzburg wie in Wuppertal, in Bad Godesberg, Göttingen, Gütersloh, natürlich in Berlin und selbst in Bayreuth – überall Geschäftsruinen und Ein-Euro-Shops, Döner-Buden und Dysfunktionalität. Wir führen bislang die völlig falsche „Stadtbild“-Debatte, scheint mir.

Die Lage ist ernst. Diese Woche meldete das Statistische Bundesamt einen neuen Schuldenrekord der Kommunen: 343,8 Milliarden Euro. Die Zahl mag abstrakt wirken, die Realität ist sehr konkret: Dreck, Verfall, Apathie.

Warum auch Amazon Mitschuld an der Verödung trägt

Am Donnerstag trifft sich in Berlin die Ministerpräsidentenkonferenz, also die Runde der Regierungschefs der Länder, mit dem Kanzler. Es wird ums Geld gehen. Vor allem um das Geld, das nicht da ist. Und um die Schulden, die Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren angehäuft haben. Diese Schulden haben viele Ursachen.

Selbst Amazon zum Beispiel ist mitverantwortlich an der Verelendung vieler Innenstädte – und damit wir alle. Wenn immer mehr online gekauft wird, geht stationären Läden eben die Luft aus. Das ist weder für die Bürger noch für den Stadtsäckel schön. 

Überhaupt sorgen Strukturwandel, weltweit mieses Konsumklima und globaler Konkurrenzdruck dafür, dass selbst in den Paradebranchen der Exportrepublik Deutschland wie Auto, Chemie, Pharma und Maschinenbau immer mehr Jobs bedroht sind.

Weniger Firmen und Arbeitsplätze bedeuten weniger Steuern, also weniger Geld für vieles, was eine Stadt lebens- und liebenswert macht. So einfach ist das. Dann verkommen Schulen, Schwimmbäder, Theater, Marktplätze ... Es ist aber nicht nur aus strukturellen Gründen weniger Geld da. Städte und Gemeinden müssen auch immer mehr ausgeben für Dinge, die früher schlicht weniger eine Rolle spielten.

Was man von Heilbronn lernen kann

Ein Beispiel von vielen: In Heilbronns Grundschulen liegt die Zahl der Schüler mit Migrationshintergrund mittlerweile bei weit über 50 Prozent. Und das ist nur der Durchschnitt. Es gibt auch Klassen, wo kein einziges Kind mehr mit deutschen Sprachkenntnissen sitzt, aber über ein Dutzend unterschiedlichster Kulturen miteinander klarkommen müssen.

Wissen Sie, wer rund um Heilbronn die nachmittäglichen Deutschkurse für Tausende von Schülern zahlt: der Lidl-und Kaufland-Gründer Dieter Schwarz, einer der so gern beschimpften „Superreichen“. Ohne ihn wäre seine Heimatstadt nicht nur an dieser Stelle längst überfordert.

Die wenigsten Kommunen haben so einen Förderer, aber alle ähnliche Zusatzaufgaben. Es geht um Flüchtlingsunterkünfte und Sozialausgaben, um Erziehungshilfen, Integrationsleistungen aller Art und am Ende auch noch um die mittlerweile verpflichtenden Sicherheitsmaßnahmen nicht nur rund um Weihnachtsmärkte.

„Die Haushalte kollabieren reihenweise“

Die Folge: Die finanzielle Lage der Kommunen ist aus Sicht von Städtetags-Präsident Burkhard Jung verheerend: „Sie können nicht mehr“, ihre Haushalte „kollabieren reihenweise, mittlerweile auch in den reicheren südlichen Bundesländern“, sagt er.

Die Kommunen leisten laut Jung etwa ein Viertel der gesamtstaatlichen Ausgaben, erhalten aber nur ein Siebtel der Steuereinnahmen. Das Einzige, was in vielen Städten deshalb noch wächst, ist das Defizit. Dieses Jahr wohl um mindestens weitere 30 Milliarden Euro, schätzt Jung, der zugleich SPD-Oberbürgermeister von Leipzig ist.

Auch sein Essener CDU-Amtskollege Thomas Kufen schlug jüngst Alarm, dass fast jede deutsche Stadt vor der Pleite stünde. Und weil eben immer weniger Geld zur Verfügung steht, muss an anderen Stellen gespart werden: vom Sportverein übers Busnetz bis zum Stadtfest. Das kommt dabei heraus, wenn in Berlin Politik gemacht wird, die draußen im Land bezahlt werden soll.

Das Zauberwort „Veranlassungskonnexität“

Verständlich, dass die Länder ein neues Prinzip fordern, die „Veranlassungskonnexität“, oder klarer: Wer bestellt, zahlt! „Was wir brauchen, ist eine verbindliche, unverrückbare Regelung, die automatisch Kompensationszahlungen auslöst, wenn der Bund neue Aufgaben schafft“, findet Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU). Es wird da sehr schnell sehr kompliziert. Zu kompliziert für Empörungs-Hashtags.

Schön wäre es schon, wenn der Bund endlich mal verstünde, dass Schluss sein muss mit gedankenlosen Wünsch-dir-was-Spielchen. Da sind sich draußen im Land übrigens mal alle Stadtväter und -mütter herrlich einig. Über alle Parteigrenzen und Ideologien hinweg. Der pragmatisch-unverstellte Blick auf Realitäten könnte dem Land sehr helfen.

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