Die Fakten am Morgen
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Es gibt Aufgaben, denen ich persönlich lieber aus dem Weg gehe. Etwa: Fahren Sie zur Klimakonferenz COP30 nach Brasilien und provozieren Sie den Bürgermeister von Rio derart, dass er Sie in einem Tweet beschimpft: „Hitler-Sohn! Mistkerl! Nazi!“ Friedrich Merz hat das geschafft. Ohne nachzudenken, was nicht als Kompliment gemeint ist.
Er denkt oft zu wenig nach, bevor er spricht. Wobei ich Sie warnen möchte: Hier soll es nicht nur um die Fettnäpfe gehen, die er inzwischen mit einer gewissen Regelmäßigkeit förmlich zu suchen scheint. Es geht auch um den Diskursraum drum herum, der in den vergangenen Jahren deutlich enger wurde.
Wieso muss er auch noch Brasilien brüskieren?
In Brasilien jedenfalls war er wirklich selber schuld: Zuerst fragte er am Konferenzort in Belém in einer Hintergrundrunde seine mitgereisten Journalisten: „Wer von euch würde denn gerne hierbleiben?“ – und freute sich dann offenbar, als niemand die Hand hob. Übersetzt sollte das wohl so viel heißen wie: „Das müsst selbst ihr zugeben, dass Deutschland ein viel schöneres Land ist.“ Die Journalisten verschwiegen den Vorfall. War ja Off the record.
Aber dann fällt Merz nichts Blöderes ein, als zu Hause bei einer öffentlichen Konferenz die Anekdote zu wiederholen. Und wie das heute so ist, ging die Botschaft samt Echo daraufhin ad hoc mehrfach um den Planeten. Brasilien zeigte sich empört bis hoch zu Präsident Lula da Silva. Nazi-Vorwurf aus Rio inklusive.
Die drei Missverständnisse des Friedrich Merz
Merz versteht drei Dinge nicht. Erstens: Er ist jetzt Kanzler, nicht mehr Opposition. Einen raushauen und wegrennen – das geht nicht mehr. Schlagworte wie „kleine Paschas“ oder „Sozialtourismus“ helfen nicht mehr. Man muss sich als Regierungschef einfach besser benehmen. Respektvoller. Erst recht, wenn es um komplette Nationen geht.
Im Sommer verteidigte er die israelischen Angriffe auf iranische Atomanlagen mit den Worten, die Israelis würden nun mal „die Drecksarbeit“ für den Westen erledigen. Ja, das kann man denken. Sollte man als deutscher Kanzler aber nicht formulieren, als stünde man gerade mit Gummistiefeln im Komposthaufen.
Zweitens: 2025 gibt es keine geschützten Räume mehr. Egal ob er in einem Club von Industriellen auftritt, bei „Maischberger“ oder auf einem fränkischen Schützenfest – irgendeiner schickt es immer weiter. Gesagt ist gesagt und wird – drittens – von Gegnern sofort auf Empörungspotenzial gescannt. Niemand fragt heute mehr höflich: Hamse das wirklich so gemeint, wie es ankam?
Am „Stadtbild“-Flop zeigt sich das Muster
Seine „Stadtbild“-Äußerung zum Beispiel offenbart das Muster: Indem Merz Dinge überspitzt, macht er vorhandene Probleme zwar bisweilen verständlich, aber zugleich unlösbar, weil er aus dem sich anschließenden Shitstorm gar nicht mehr herausfindet. Dann wird noch ein bisschen hin und her gerudert, bis alle das eigentliche Problem aus den Augen verloren haben.
Wer schon mal eine Parade am Christopher Street Day erlebt hat, kann ja durchaus an Zirkus denken. Aber als Kanzler sollte man eine Regenbogenfahne auf dem Parlament zumindest nicht mit der Begründung ablehnen: „Der Bundestag ist kein Zirkuszelt.“ Es hätte deutlich klügere Argumente gegen die Fahne gegeben.
Die Welt hat sich verändert. Sie ist generell härter und empfindlicher zugleich geworden. Merz hat sich da leider nicht mitverändert. Insofern steht er sich beharrlich selbst im Weg in dem Glauben, er finde doch immer die richtigen Worte. Nein, tut er leider nicht, was mich zu der Frage führt: Was macht eigentlich sein Regierungssprecher Stefan Kornelius beruflich?
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