Charkiw, Donezk, Kursk - In drei Regionen wird jetzt die düstere Lage der Ukraine deutlich

Vor 1000 Tagen begann Russland mit seinem großangelegten Angriffskrieg auf die Ukraine. Seitdem sind UN-Angaben zufolge mehr als 12.000 ukrainische Zivilisten gestorben. Schätzungen gehen von Zehntausenden toten ukrainischen Soldaten und etwa 300.000 verwundeten aus. Auf russischer Seite sind laut Schätzungen 115.000 Soldaten gefallen und mehr als eine halbe Million verwundet worden.

Und es wird immer weiter gekämpft. Zuletzt stagnierten die Frontverläufe aber weitgehend, wie die Experten der US-Denkfabrik „Institute for the Study of War“ (ISW) analysieren. Werfen wir einen Blick auf die drei am meisten umkämpften Regionen: Charkiw und Donezk in der Ukraine sowie Kursk in Russland:

1. Charkiw, Ukraine

Kurz nach Beginn des Angriffskrieges waren russische Einheiten in die gleichnamige Gebietshauptstadt von Charkiw – etwa 20 Kilometer von der Grenze entfernt – eingedrungen. Seither hat Kiew die Angreifer wieder weitgehend auf russisches Territorium zurückgedrängt. Die Kämpfe auf ukrainischem Gebiet halten jedoch an.

Russland verfolgt laut ISW-Experten das Ziel, die ukrainischen Streitkräfte von der internationalen Grenze zur russischen Region Belgorod zurückzudrängen und die Gebietshauptstadt wieder in Reichweite ihrer Artillerie zu bringen. Dazu hätten russische Truppen am Wochenende ihre Bodenangriffe nördlich und nordöstlich der Stadt, nahe der Grenze, fortgesetzt. Bestätigte Vorstöße seien ausgeblieben, heißt es im Lagebericht.

Anders im Osten der Region Charkiw nahe der fast vollständig russisch besetzten Oblast Luhansk: Hier haben die russischen Truppen ihre Angriffe nahe der Frontstadt Kupjansk am Wochenende fortgesetzt und Gebietsgewinne erzielt, analysieren die ISW-Experten. Die Stadt war in den ersten Tagen des Krieges von Russland eingenommen worden. Die Ukraine eroberte den Ort aber zurück.

Erst Mitte vergangener Woche hatte die Ukraine nach eigenen Angaben einen russischen Vorstoß nahe Kupjansk zurückgeschlagen. Der Angriff sei in vier Wellen erfolgt, teilt der Generalstab auf Facebook mit. Alle eingesetzten russischen Panzer und gepanzerte Fahrzeuge seien zerstört und „ein bedeutender Teil“ der feindlichen Soldaten ausgeschaltet worden.

Etwa 20 Kilometer weiter südlich der Stadt haben russische Einheiten offenbar am Wochenende das Dorf Kolesnikovka eingenommen, bezieht sich der Lagebericht auf den ukrainischen Militärbeobachter Kostyantyn Mashovets. Demnach halten sie nun ein etwa drei bis dreieinhalb Kilometer langes Gebiet am östlichen Ufer des Oskil-Flusses besetzt.

In der angrenzenden Oblast Luhansk soll es auch einzelne russische Angriffe gegeben haben, die aber nicht weiter ausgeführt werden. Das Ziel des Kremls hier lautet, die gesamte Region unter seine Kontrolle zu bringen, um von hier weiter in Richtung der Regionen Charkiw und Donezk vordringen zu können, analysieren die Experten der US-Denkfabrik.

2. Donezk, Ukraine

Weitere Geländegewinne gibt es im Gebiet Donezk, heißt es im ISW-Lagebericht. Hier konnten russische Truppen demnach gleich an drei Orten vorrücken: bei Tschassiw Jar, Kurachowe und Wuhledar.

Östlich von Tschassiw Jar – im Norden der Region Donezk – würden verifizierte Aufnahmen zeigen, dass russische Einheiten ein Areal zwischen zwei bereits besetzten Gebieten teilweise eingenommen haben. Russische Militärblogger behaupten derweil, dass eigene Truppen auch nördlich und südlich der Stadt vorgedrungen seien, das ISW kann dies allerdings nicht bestätigen.

Im Westen Donezks sollen russische Einheiten seit Freitag auf das nördliche Ufer des Kurachower Stausees vorgerückt sein. Aufnahmen würden sie in den nördlichen Außenbezirken der Stadt verorten, heißt es im Lagebericht. Der größte Teil Kurachowes und das Stadtzentrum befindet sich allerdings jenseits des Sees.

Bereits vergangenen Montag warnte der regierungsnahe ukrainische Militärkanals „Deep State“ vor einer Katastrophe für die Verteidiger der Stadt. Kurachowe sei bereits von drei Seiten eingeschlossen. Inzwischen versuchten die russischen Einheiten, das dort postierte ukrainische Militär von der Versorgung abzuschneiden und einzukesseln, so die Militärexperten.

Zudem hätten die Russen „den Damm des Kurachower Stausees beschädigt“, teilte Gouverneur Wadim Filaschkin vergangenen Montag in Onlinenetzwerken mit. Er warnte, dass nahe gelegene Dörfer in den Regionen Donezk und Dnipro durch steigende Wasserstände bedroht sein könnten.

Ein russischer Militärblogger behauptete am Wochenende, dass sich die ukrainischen Verteidiger vom Nordufer des Stausees zurückziehen, gleichzeitig würde sich der russische Vormarsch von Süden her verlangsamen, schreibt das ISW in seinem neuesten Lagebericht.

Auch etwa 20 Kilometer südlich des Stausees konnten die Russen nach der Eroberung Wuhledars im Oktober weitere Gebiete erobern. Laut vom ISW zitierten Berichten soll dort auch die Speznas, eine Spezialeinheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU, im Einsatz sein. Weitere von russischen Militärbloggern erhobene Behauptungen von größeren Eroberungen in dem Gebiet konnten die Analysten allerdings nicht bestätigen.

Unbestätigte Vorstöße soll es zudem bei Toretsk, etwa 60 Kilometer nordöstlich des Stausees, und bei Pokrowsk, etwa 30 Kilometer nördlich des Sees, geben. Russische Militärblogger behaupten zudem, dass bei letzterem ein ukrainischer Gegenangriff zurückgeschlagen worden sei. In den übrigen Frontregionen soll es laut ISW keine signifikanten Kämpfe gegeben haben.

3. Kursk, Russland

Im August hatte die Ukraine den Krieg zurück nach Russland gebracht. Seither kämpfen ukrainische Truppen auf russischem Staatsgebiet gegen Moskaus Truppen, die mittlerweile auch von nordkoreanischen Soldaten unterstützt werden. Diese hätten bereits begonnen, „gemeinsam mit den russischen Streitkräften in Kampfhandlungen einzutreten“, wie das US-Außenministerium vergangene Woche mitgeteilt hatte.

Moskaus erklärtes Ziel ist es, die ukrainischen Einheiten wieder von seinem Staatsgebiet zu verdrängen. Am Wochenende hatten die russischen Einheiten damit allerdings keinen Erfolg, wie die Experten des ISW schreiben. Behauptungen Russlands, ukrainische Einheiten eingekesselt und angegriffen zu haben, konnte das Institut nicht bestätigen.

Der Kampf in Kursk dürfte in naher Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Putin wolle einem Bericht zufolge das Gebiet noch vor der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Donald Trump wieder zurückerobern. Das könnte schwieriger werden als erhofft, da der scheidende US-Präsident Joe Biden Berichten zufolge den Einsatz weitreichender Raketen gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet erlaubt hat. (mit Agenturmaterial)

Von Daniel Krause

Das Original zu diesem Beitrag "Charkiw, Donezk, Kursk: Das sind die derzeit wichtigsten Fronten im Ukraine-Krieg" stammt von Tagesspiegel.