Trotz „America First“ - Aus drei entscheidenden Gründen kann Trump die Ukraine nicht im Stich lassen
Der Krieg in der Ukraine ist ein langer Krieg geworden. Er brachte Überraschungen mit sich, wie die massive Invasion Russlands im Februar 2022. Die Verteidigung Kiews. Die ukrainischen Vorstöße im Herbst 2022.
Die Meuterei von Prigoschin, dem damals mächtigen Chef der russischen Wagner-Söldner, im Sommer 2023. Und nun zuletzt: Die Ankunft nordkoreanischer Truppen an der Front, die an der Seite Russlands kämpfen.
Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg, der mit großer Unsicherheit begann, als der erste, russische Angriff es nicht vermochte, die ukrainische Regierung zu stürzen. Und diese Ungewissheit dauert an. Doch inmitten davon gibt es zwei übergreifende Elemente der Kontinuität.
Russlands Entschlossenheit, die Ukraine zu erobern
Das erste ist Russlands Entschlossenheit, die Ukraine zu erobern. Der Kreml investiert inzwischen etwa acht Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung.
Teile der Wirtschaft wurden einer Kriegsmobilisierung unterzogen und Russland hat seine Außenpolitik im Hinblick auf die Kriegsführung neu ausgerichtet. Damit macht es sich stärker von China als Markt abhängig, und vom Iran und Nordkorea als Lieferanten von Militärgütern.
Kontinuierliche Unterstützung für Kiew
Das zweite übergreifende Element der Kontinuität war die Unterstützung für die Ukraine. Diese hat diplomatische, wirtschaftliche und militärische Komponenten – und ihr Ausmaß war spektakulär.
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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „Zeitenwende“, da der Krieg Deutschland zwang, seine Außenpolitik zu überdenken, und Europa dazu brachte, in die Verteidigung zu investieren. Die Vereinigten Staaten stellten in der Zwischenzeit umfangreiche Ressourcen zur Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen bereit.
Nun stellt sich immer häufiger die Frage, wann diese Unterstützung für die Ukraine nachlassen oder enden wird. Der Krieg scheint endlos. Russland rückt auf dem Schlachtfeld vor. Die Ukraine wurde in die Defensive gedrängt, und in Europa ist die Kriegsmüdigkeit offensichtlich.
Sie drückt sich aus im Aufstieg politischer Parteien – in Deutschland beispielsweise der AfD und des BSW –, die die fortgesetzten Ausgaben für den Krieg infrage stellen. In den Vereinigten Staaten zeigt sich die Kriegsmüdigkeit in den Wahlkampfaussagen von Donald Trump und JD Vance, die beide der Meinung sind, dass die Unterstützung für die Ukraine zu kostspielig ist.
Trumps Waffenlieferungen halfen Kiew 2022
Doch bisher ist diese Hilfe nicht eingestellt worden. Selbst Länder, deren Staats- und Regierungschefs dem Krieg skeptisch gegenüberstehen oder Russland gegenüber nachgiebig sind (wie Ungarn), bleiben Teil des Sanktionsregimes. Sie haben nicht mit der Nato und der EU gebrochen, um sich mit Russland zusammenzuschließen oder den Weg der Neutralität einzuschlagen.
Schon während seiner Präsidentschaftskampagne 2016 spekulierte Donald Trump darüber, die Krim als Teil des russischen Territoriums anzuerkennen und ein Abkommen mit Präsident Wladimir Putin zu schließen. Als er jedoch Präsident wurde, hob er die Sanktionen gegen Russland nicht auf und schickte tödliche Militärhilfe in die Ukraine. Diese Waffen – etwa die Javelin-Panzerabwehrraketen – erwiesen sich 2022 als unerlässlich für die Verteidigung Kiews.
Der Grund für die fortgesetzte Unterstützung der Ukraine von außen, trotz der damit verbundenen Risiken und Kosten, liegt tiefer als in der Zusammensetzung von Regierungen und in den Persönlichkeiten, die sie führen. Für Europa und die Vereinigten Staaten gleichermaßen ist es keine Frage der Präferenz, sondern des nationalen Interesses, der Ukraine zu helfen, den Krieg zu gewinnen, oder sie vor einer Niederlage zu bewahren.
Kein Widerspruch zu „America First“
Ein verlorener Krieg in der Ukraine würde Millionen Flüchtlinge nach Europa treiben, ein aggressives Russland würde weiter in Richtung Westen an die Türschwelle des Nato-Bündnisses rücken und andere Länder dazu einladen, ihre militärischen Pläne auf europäischem Gebiet zu verfolgen.
Donald Trump ist dem amerikanischen Nationalinteresse verfallen, getreu seinem Motto „America first“. Er hat versprochen, eine Außenpolitik zu gestalten, die sich ausschließlich auf die Sicherheit und den Wohlstand der Amerikaner konzentriert – und nicht dem „Globalismus“ erliegt.
Hin und wieder deutet Trump an, dass die Ukraine ein Anliegen der globalen Elite und nicht der Durchschnittsamerikaner sei. Das Gleiche gilt für seinen Vize JD Vance, der als Marine im Irakkrieg diente und die internationale Präsenz des US-Militärs verringern möchte. Vance und Trump werden versucht sein, nicht das zu tun, was Joe Biden in Bezug auf die Ukraine getan hat.
Doch so sehr sie sich auch bemühen werden, anders zu sein: Erst einmal im Weißen Haus, werden Trump und Vance die Notwendigkeit erkennen, eine intakte Ukraine zu erhalten und den Krieg gegen Russland nicht zu verlieren.
Sie werden erkennen, wie wichtig es ist, in der Ukraine die Stellung zu halten. Sie werden gezwungen sein, anzuerkennen, dass ein Europa, das aufgrund einer besiegten Ukraine im Chaos versinken könnte, die Amerikaner ärmer und unsicherer machen würde.
Sie und die europäischen Politiker und Parteien, die mit Trumps Weltanschauung sympathisieren, mögen sich einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit wünschen, aber in Bezug auf die Ukraine wird dies nicht möglich sein. Es gibt gute Gründe für Kontinuität bei der Unterstützung der Ukraine – und sie wird wahrscheinlich noch lange andauern.
Von Michael Kimmage
Das Original zu diesem Beitrag "Auch wenn sie es ankündigen: Warum Trump und Vance die US-Hilfe für die Ukraine nicht streichen werden" stammt von Tagesspiegel.